Kompromiss beim Bürgergeld: Gespenster aus dem Gruselkabinett

Rein taktisch ist der Kompromiss beim Bürgergeld ein Sieg der Union. Die von ihr angefachte Sozialneid-Debatte aber offenbart das wahre Problem.

Merz spricht

Wer sich so wuchtig selbst lobt, scheint es nötig zu haben: CDU-Chef Friedrich Merz Foto: Michael Kappeler/dpa

Friedrich Merz behauptet, dass die Union den „Kern des Bürgergeldes“ zerstört habe. Die CSU, die in der Debatte durch besonders unschöne Hetze gegen Arbeitslose auffiel, klopft sich auf die Schulter und bescheinigt sich, „schwere Systemfehler“ beim Bürgergeld gestoppt zu haben. Wenn man recht versteht, hat die Union mit ihrem tapferen Widerstand gerade noch so verhindert, dass die Mittelschicht in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar ihre Jobs kündigt und es sich in der sozialen Hängematte gemütlich macht. Wer sich so wuchtig selbst lobt, scheint es nötig zu haben.

Rein taktisch gesehen ist es ein Erfolg für die Union. Fraktion und Landesregierungen zogen an einem Strang. Beim Doppel-Wumms, dem 200-Milliarden-Paket, hatte die Union im Bundestag laut Nein, im Bundesrat kleinlaut Ja gesagt. Das wirkte nicht so überzeugend. Jetzt haben Merz & Co kalt die Schwäche der Ampel genutzt, denn die stand unter Zeitdruck.

Das Gesetz musste schnell über die Bühne gehen, damit Hartz-IV-EmpfängerInnen ab dem 1. Januar 50 Euro mehr bekommen. SPD und Grüne hatten schlechte Karten, weil die FDP mit ihrem Nein zu sechs Monaten Sanktionsfreiheit faktisch das Lager gewechselt hatte. Es ist schwierig, Gesetze durchzubringen, wenn sich ein Teil der Regierung mit der Opposition verbündet.

Ist das Bürgergeld also kaputt, wie Merz triumphierend meint? Nein, eher demoliert. Dass es keine ersten sechs Monate ohne Sanktionen gibt, verfestigt das alte Prinzip Fordern vor Fördern. Allerdings – als sanktionsfrei war das Bürgergeld nie gedacht. Die zweite Beule ist: Arbeitslose dürfen künftig nicht mehr zwei Jahre, sondern nur ein Jahr unbehelligt größere Wohnungen nutzen. Das betrifft ein paar Tausend Haushalte – ein Unterschied ums Ganze ist es nicht.

Für den Niedriglohnsektor hat die Union nur Ignoranz übrig

Das gilt auch für das Schonvermögen, das nun 40.000 und nicht 60.000 Euro für einen Single-Haushalt beträgt. Das ist eher eine kleine Delle. Denn die Vermögenden, die es sich mit Bürgergeld gut gehen lassen, sind kein sozialer Fakt, sondern eher Gespenster aus dem Gruselkabinett der Konservativen und Neoliberalen. Ein Kern des Bürgergelds, Ausbildung statt Zwangsjobs, bleibt intakt.

Die Union mag sich als Geist sehen, der stets verneint und so das Gute schafft. Das ist Illusion. Für den Niedriglohnsektor, das größte soziale Problem hierzulande, hat die Union nur Ignoranz übrig. Nein reicht nicht.

Bei den erhitzten Debatten über mehr oder weniger bedeutende Details des Bürgergelds ist etwas Wesentliches in Vergessenheit geraten: SPD und Grüne wollten ursprünglich die Berechnungsgrundlage ändern. Das hätte bedeutet: nicht 500 Euro, sondern mehr als 600 Euro. Diese Idee hat die SPD still begraben, obwohl sie für ein würdiges Leben nötig ist. Die von der Union angefachte Sozialneid-Debatte hat gezeigt, wie groß das Verhetzungspotenzial ist. Man sieht nun, wie schwierig der Kampf für ein höheres Bürgergeld wird. Das ist eine bittere Aussicht.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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