Personalrekrutierung nach Flughafenchaos: Wenn einfach niemand kommt

Die Luftverkehrsbranche wollte ihre Personalprobleme mit rund 2.000 Beschäftigten aus der Türkei lösen. Nicht einmal 100 Visa wurden ausgestellt.

Ein mit Gepäckstücken beladener Anhänger fährt auf dem Rollfeld

Gerade mal 100 türkische Arbeiter hatten Lust, den Deutschen bei ihrem Chaos an den Flughäfen zu helfen Foto: Jochen Tack/imago

BERLIN taz | Das auf Drängen der Luftverkehrswirtschaft aufgelegte Programm zu Beschäftigung türkischer Mit­ar­bei­te­r:in­nen an deutschen Flughäfen ist grandios gescheitert. Statt der anvisierten mehreren tausend haben deutsche Stellen bis Ende Oktober nur 91 Visa ausgestellt. Das geht aus der Antwort auf eine Frage des Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Pascal Meiser an das Bundesinnenministerium hervor.

Der Hintergrund: Die Unternehmen der Luftfahrtbranche haben in der Coronakrise großzügige staatliche Hilfen in Anspruch genommen, deren Ziel unter anderem der Erhalt von Arbeitsplätzen war. Trotzdem haben sie im Zuge der Pandemie in großem Umfang Jobs abgebaut. Als im Frühjahr die Zahl der Reisenden nach oben schnellte, fehlte Personal. An den Flughäfen herrschte enormes Chaos. Flieger fielen aus, die Abfertigung dauerte mitunter so lange, dass Pas­sa­gie­r:in­nen ihren Flug verpassten.

Die Verantwortlichen suchten zwar händeringend Mitarbeiter:innen. Wegen der erforderlichen Schulungen und Sicherheitsüberprüfungen sind die aber nicht sofort verfügbar. Beschäftigte, die in der Pandemie gekündigt wurden oder von sich aus den Job gewechselt hatten, kehrten nicht zurück. Denn die Arbeitsbedingungen an den Flughäfen sind etwa hinsichtlich der Arbeitszeiten schlecht. Außerdem sind nach Gewerkschaftsangaben befristete Verträge üblich, was die Jobs zusätzlich unattraktiv macht.

Angesichts des Chaos bekniete die Branche im Juni die Bundesregierung, den Einsatz von Beschäftigten aus Nicht-EU-Staaten zuzulassen. Im Blick hatte sie dabei rund 2.000 Mit­ar­bei­te­r:i­nnen aus der Türkei. Bundessozialminister Hubertus Heil und seine Innenminsterin Nancy Faeser (beide SPD) gaben den Forderungen nur bedingt nach und stellten Bedingungen für eine Visa-Vergabe. So durften die Beschäftigten nicht unterhalb des Tariflohns verdienen und mussten angemessen untergebracht werden. Außerdem war eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich. Die Visa waren auf drei Monate befristet, sie endeten spätestens am 6. November.

Branche wiegelt ab

Die Idee, kurzfristig bis zu 2.000 Arbeitskräfte aus der Türkei für die Flugabfertigung an deutschen Flughäfen anzuheuern, war von Anfang an eine Schnapsidee und ein offensichtlicher Versuch der Flughafendienstleister, von eigenem Versagen abzulenken“, kritisierte der Linksparteiabgeordnete Meiser.

Insgesamt sind der Antwort aus dem Innenministerium zufolge bis Ende Oktober 140 Anträge auf Ausstellung eines Visums eingegangen. Neben den 91 Bewilligungen wurden 10 Anträge abgelehnt, 24 zurückgezogen und 15 weitere wegen unvollständiger Unterlagen nicht abschließend bearbeitet.

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft führt den geringen Einsatz der türkischen Arbeitskräfte auf die lange Verfahrensdauer zurück. Das Prozedere habe sich so lange verzögert, dass die Bedarfe an den Flughäfen abgenommen hätten, sagte eine Sprecherin der taz. Die Branche treffe Vorkehrungen, damit sich das Chaos nicht wiederhole, und rekrutiere Personal.

Das reicht nach Meisers Auffassung nicht. „Mit Blick auf die Urlaubssaison im kommenden Jahr muss Verkehrsminister Wissing die Flughafenbetreiber und die dort tätigen Dienstleister jetzt zügig und verbindlich abfragen, wie sichergestellt wird, dass sich das Chaos aus diesem Jahr nicht wiederholt“, forderte er. Naheliegend sei es, mit der Bundesagentur für Arbeit ein Qualifizierungsprogramm aufzulegen. Außerdem müsse sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die Teilprivatisierung bei den Bodenverkehrsdiensten rückgängig gemacht werden kann.

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