Neue Kunst im Diözesanmuseum: Hipper Heiliger Geist

Die neue Ausstellung des Diözesanmuseums in Freising überrascht: mit Werken von internationalen Kunststars und Fokus auf körperliche Ambivalenzen.

Rot-oranges psychedelisches Licht

Installation des US-Künstlers James Turrell Foto: @James Turrell

Freising Schon beim Betreten des Freisinger Diözesanmuseums gerät was Durcheinander in der Schaltzen­trale der eigenen Synapsen. Dachte man vor der Tür noch: Kirche, Gott, Staubfänger, fragt man sich jetzt, ob sich hier eine esoterische Hippie-Kommune ihren Gemeinschaftsraum mit einer Gruppe Gothic Punks in Game-of-Thrones-Kostümen teilt. Oder ob hier gleich ein Männerballett bras bas zu Tanzmetall von Rammstein tanzt? Oder ob das hier die Pyroshow von Gott selbst ist, der da hinten in der Ecke sitzt und zündelt.

Hat sich der eigene Geist halbwegs wieder sortiert, schreitet man durch den von weißen, hohen Arkadengängen umgebenen und durch eine milchige Glasdecke erhellten Lichthof in die Richtung des bunten Lichtbündels. Es kommt aus einer Nische, zu der Treppenstufen führen. Man sieht helloranges, wie dichter Nebel strömendes Licht, das einen ovalen Rahmen um einen dunkelroten Kreis bildet.

Fast unmerklich färbt sich der Kreis hellgrün, und das Oval lila. In Dutzenden Schattierungen und Größen wechseln Kreis und Ovalschichten von blau bis pink die Farben. Wo Wand ist, wo Grenze, ob der Kreis der Einstieg in die Ewigkeit, das Zentrum einer ayurvedischen Lichtzeremonie oder einfach eine überdimensionierte Lavalampe – egal. Was da strömt, betört die Sinne, man will da hin, da rein, ob man das geräuschlose Rauschen des Lichts, das man zu hören meint, für göttliches oder psychedelisches Rauschen hält.

Auf dem Weg zum Licht passiert man eine okkult bröckelnde Steinsäule, auf der ein Engel mit dürren Beinchen steht, einen zerfransten, dreckigen Lumpen umgehängt und leicht vornüber gebeugt, so dass man sein Gesicht nicht sehen kann. Halb stürzt er, halb hebt er ab – aber die morbide Tristesse des steinernen Engels ist weniger verstörend als genauso betörend wie das bunte Lichtspiel.

Obwohl die Augen des Engels nicht zu sehen sind, fühlt man seinen Blick beziehungsweise traut man sich kaum, den eigenen Blick vom Engel abzuwenden, in der Hoffnung, man könne ihn durch seine steinernen Lumpen hindurch erreichen und erweichen. Kalter starrer Stein neben wabernd wärmendem Kolorit, Licht und Schatten in einem Raum, Leben und Tod, Freud und Leid – thematisch eigentlich keine allzu große Überraschung für das Museum einer Kirche, man muss nur erst mal verstehen, dass es darum geht.

Internationale Superstars

Zeigen, dass Religion auch in Menschen und Gesellschaften wirkt, in denen Gott, Jesus und andere biblische Figuren nicht mehr unbedingt als heilig gelten, ist das Programm des Anfang Oktober wieder eröffneten Diözesanmuseums. 1870 als klassizistischer Bau auf dem Freisinger Domberg errichtet, wurde es bis 1974 als „Knabenseminar“ genutzt, danach als Museum.

Um die Strahlkraft des Museums zu intensivieren, wurden internationale Superstars gewonnen: Kein geringerer als der für seine Licht-Raum-Installationen berühmte US-Land-Art-Künstler James Turrell hat das Lichtspiel in der ehemaligen Kapelle des Knabenseminars entworfen. Und der steinerne Engel „Arcangelo“ wurde von der belgischen Künstlerin Berlinde de Bruyckere angefertigt, die zu den bedeutendsten Bildhauerinnen der Gegenwart gehört.

Noch im Bau ist außerdem eine Votivkapelle, die von der für ihre drastischen Körperskulpturen bekannten US-Künstlerin Kiki Smith entworfen wurde. Alle drei sind ein ziemlicher Scoop für das Museum, dessen verantwortlicher Oberhirte ebenfalls ein Superstar ist: Kardinal Reinhard Marx.

Doch nicht Marx, sondern der Museumsdirektor Christoph Kürzeder und sein Team haben die neue Dauerausstellung „Wie immer. Nur anders“ kuratiert. Und sie haben dafür gesorgt, dass aus dem Museum keine Busreisenabwurfstelle wird, an der man Senioren billigen Nippes mit Weihraucharoma verkauft, sondern ein Museum, über das die Welt reden soll.

Die Ausstellung zielt nicht auf heiliges Staunen, sondern auf Unterhaltung

30 km nördlich von München gelegen, beherbergt es über 40.000 Objekte, die ältesten stammen aus dem 5. Jahrhundert. Es ist die größte Kunstsammlung der katholischen Kirche – nur die Vatikanischen Museen sollen mehr besitzen. Im Juli 2013 wurde das Diözesanmuseum überraschend geschlossen, wegen Mängeln beim Brandschutz und einer fehlenden Nutzungsgenehmigung.

„Offenes Haus“

„Eingänge, Übergänge, Durchlässe“ lautet ein Motto des generalsanierten Museums. In dessen Zen­trum stehe der „Dialog zwischen Kirche, Kunst und Gesellschaft“, sagt Direktor Kürzeder. Das Haus sei „ein Angebot, eine Möglichkeit“, um christliche Perspektiven auf die Fragen des Lebens kennenzulernen, sagt Kardinal Marx. Ein „offenes Haus“ solle es sein, „offen für den kritischen Dialog“ sagt Generalvikar Christoph Klingan.

Von einem Haus der „geöffneten Wände“, spricht Architekt Peter Brückner. In fast allen Mauern wurden Durchgänge geschaffen, die für Licht, Weitblick und Verbindungen sorgen. Von den Kunstwerken bis zur Architektur, das Motiv der Grenzüberschreitung, die verbindet, was nur auf den oberflächlichen Blick unverbunden ist, ist der rote Faden des neuen Museums.

Die neue Dauerausstellung im 1. Stock muss sich deshalb auch keinesfalls im Dunkeln oder hinter den spektakulären Kunstwerken im Lichthof verstecken. Auf der 2.500 qm großen Ausstellungsfläche herrscht ein heiliges Gewusel von Rosenkränzen, Kreuzen, Gebetbuchbildchen, Münzen, Medaillen, Krippen und Kitsch hinter Vitrinen sowie ein groß- und freizügig gestalteter Parcours, der durch die thematisch sortierten Räume führt.

Sie lassen viel Platz zum Verweilen und Umlaufen der Statuen, Skulpturen und Ikonen. Objekte, die der alten Kirche zu „leichtfüßig, affektiert und pastellbunt“ erschienen und aus ihnen verbannt wurden, sind zu sehen.

Grenzüberschreitend sind immer wieder auch hier die Blicke, die uns begegnen: verrutscht, jauchzend, schmachtend, schockiert, verschmitzt, leidend, sterbend, begierig, verlockend, versonnen selbstbewusst, ulkig oder deppert, so viele Blicke von so vielen Jesusen und Marias, Engeln und Aposteln. So wie bei den Blickfängern im Lichthof laden einen auch die Objekte in den Ausstellungsräumen dazu ein, sie von oben bis unten, von hinten und vorne, von ganz nah zu betrachten.

Unterstützt von der farblichen Gestaltung der Wände entsteht nie Überdruss. Man hat nicht das Gefühl, an Dingen vorbeizulaufen, die einst in düsteren Kirchen standen und heute nur noch Staubfänger und Symbole finsterer Zeiten sind. Im Gegenteil. Man vergisst manchmal, im Museum zu sein und glaubt, durch die Kulturlandschaft eines englischen Gartens zu schlendern.

Mehr Landschaftsarchitektur als Liturgie

Der Eindruck wird verstärkt von den riesigen Fenstern, die das heilige Gesamtkunstwerk Oberbayern rahmen: die zu Füßen liegenden Städte Freising und München, die Isar und die Alpen. Von den Sichtachsen über die Exponiertheit bis zur Weitläufigkeit – das Freisinger Diözesanmuseum ist mehr Landschaftsarchitektur als Liturgie, mehr mythisches Arkadien als karges Abendmahl.

Die Ausstellung zielt nicht auf Ehrfurcht oder heiliges Staunen, sondern auf erhellende Unterhaltung. Noch dem größten Ungläubigen dürften hier die Augen geöffnet werden. Nicht zwingend für die Existenz von Gott oder Göttlichem. Sondern für die welthaltige und ambivalente Darstellung von Körperlichkeit in der christlichen Ikonografie.

Man wird vor einigen Gemälden stehen und in einige Gesichter gucken und meinen, dass man sie schon mal irgendwo gesehen hat. Bei Instagram? Vielleicht. Und doch nicht ganz. Denn auf bildbasierten Medien wie Instagram geht es mittlerweile wesentlich religiöser zu als in den Kunstwerken der Katholiken. Auf Instagram zählt das perfekte Gesicht, ohne Makel, ohne Fehler. Die Gesichter auf dem Freisinger Domberg hingegen sind mit all ihren Makeln, Schmerzen und Begierden viel näher an der Realität.

Die Ausstellung im Diözesanmuseum ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die katholische Kirche in Zukunft vermarkten kann, wenn sie irgendwie überleben will: nicht, in dem sie ihre Geschichte verklärt, sondern über sie aufklärt. Dabei kann auch die Diözese selbst noch etwas lernen. Zwar wird die Vorgeschichte des Museums, das Knabenseminar, im Erdgeschoss gezeigt. Auf die Misshandlungsvorwürfe ehemaliger Schüler aber geht Kardinal Marx auch am Abend der Eröffnung nicht ein.

Richtig aufregend dürfte es nächstes Jahr werden. Direktor Christoph Kürzeder plant im Frühjahr die Ausstellung „Verdammte Lust“ zu zeigen, in der es um das Dilemma kirchlicher Sexualmoral und Scheinheiligkeit gehen soll.

Die Reaktionen vom Kardinal und seiner Kirche darauf werden mindestens so interessant wie die Ausstellung.

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