Debütalbum von Wilhelmine: Neue deutsche Nahbarkeit

Den Yogi-Tee um Rat fragen: Die queere Berliner Sängerin Wilhelmine hat mit „Wind“ ein sehr persönliches Debütalbum kreiert. Wie klingt es?

Wilhelmine vor blauem Hintergrund

Möchte Verletzlichkeit wieder salonfähig machen: Popsängerin Wilhelmine Foto: Warner Music

Liebe und Herzschmerz sind bekanntlich zentrale Themen in der Popmusik. Auch Wilhelmine verschließt sich ihnen auf ihrem Debütalbum „Wind“ nicht. Mit ihrer Single „Schwarzer Renault“ verdaut die Sängerin aus Berlin das Ende einer Beziehung. Sie schildert darin anschaulich, was bei einer Trennung während der Trauerphase passiert. Egal, wohin sie blickt: Dauernd erinnert sie etwas an ihre Ex. Dazu spielen sehr dezente, elektronische Klänge.

Zwei Lieder weiter ist Wilhelmine in „Ich gehör wieder mir“ schon wieder bereit für einen Neuanfang. Zum pulsierenden Beat erfreut sie sich daran, dass sie endlich wieder küssen kann, „ohne dass mein Gewissen immer noch nach dir fragt“. So weit, so erwartbar. Um einiges interessanter wird es in dem sanft groovenden „Bitte geh nicht“.

Dieses Stück entspringt Wilhelmines Befürchtung, dass ihre Partnerin sie verlassen könnte. „In meinem Leben gab es viele Aufs und Abs und Instabilität“, sagt die Musikerin im Zoom-Interview. „Verlustangst ist zentral.“ Geboren wurde Wilhelmine 1990 in Berlin, ihre ersten Lebensjahre verbrachte sie in einem besetzten Haus in Kreuzberg.

Anti-Atomproteste und Haustiere

Mit sechs zog sie mit ihren Eltern und anderen Haus­be­woh­ne­r:in­nen ins Wendland, erlebte als Kind die Proteste gegen das Atommüllendlager in Gorleben hautnah. Ein bisschen Romantik gab es dennoch: In der niedersächsischen Provinz konnte sie sich einen Wunsch erfüllen: Haustiere. Zudem sang sie in der Mädchenband Direkt und spielte Fußball im gleichen Verein wie die spätere Nationaltorhüterin Almuth Schult.

Wilhelmine: „Wind“ (Warner Music)

Nach dem Abitur sah sie sich allerdings weder als Fußballprofi noch als Musikerin. Erst ging Wilhelmine für ein Jahr nach Spanien, anschließend entschied sie sich für eine Ausbildung zur Kauffrau für audiovisuelle Medien. Eine Weile studierte sie und kehrte zurück nach Berlin, um Straßenmusik zu machen und in U-Bahnhöfen aufzutreten.

Bis 2019 ihre erste Single „Meine Liebe“ herauskam, auf der sie ihre Homosexualität offen ansprach. Ihre EP „Komm wie du bist“ folgte 2020. In ihren Liedern verpackt Wilhelmine Splitter der eigenen Biografie in eingängige Melodien. Gefühlig ist das schon, aber nicht unbedingt so, wie es im deutschsprachigen Mainstream-Pop gewünscht ist. Mit ihrem Debüt geht Wilhelmine diesen Weg konsequent weiter. Gewiss verschmäht sie auf „Wind“ die eingangs erwähnten Liebeslieder nicht.

Positives Abschiedslied

Doch sie erweitert ihr Themenspektrum, befragt auch mal ihren Yogi-Tee um Rat. Dass Wilhelmines Jugend nicht wohlbehütet vonstatten ging, hört man deutlich aus ihrer Musik. Der melancholische Song „Sicher“, in ein Streicherarrangement gebettet, lässt keinen Zweifel daran, wie sehr die Vortragende der Suizid einer nahestehenden Person, offenbar eine Vaterfigur, getroffen hat: „Ich habe versucht, ein positives Abschiedslied zu schreiben“, erklärt Wilhelmine dazu lakonisch.

Das nachdenklich-sphärische „Mein Bestes“ hat Wilhelmine jener Person gewidmet, die sie großgezogen hat – obwohl sie gar nicht ihre leibliche Mutter ist. In „Alles beim Alten“ gesteht die Berlinerin: „Eigentlich war ich nie cool mit Veränderungen.“ Inzwischen hat sie sich aber weiterentwickelt: „Umbrüche finde ich schön. Ich glaube, dass man da hineinwächst.“

Die Songs sind Seismografen für Wilhelmines Befindlichkeit. „An die Freude“ kommt dagegen als wuchtiges Mutmachlied daher, mit der Botschaft: „Du bist nicht allein.“ Musikalisch sticht dieses Stück heraus. „Bei der Produktion habe ich etwas Neues probiert“, erklärt Wilhelmine. „Das ist mein Avril-Lavigne-Moment.“

Fragt man die Künstlerin, wofür sie mit ihrer Musik steht, antwortet sie prompt: „Ich stehe für Nahbarkeit, für einen Safe Space, für eine Community. Ich möchte Verletzlichkeit wieder salonfähig machen.“ Was ihr nicht behagt: Dass es in Songtexten so oft Vorwürfe hagelt: „Ich versuche die zu vermeiden. Aus meinen Formulierungen sollen Leute etwas mitnehmen.“

So bleibt Wilhelmine eine Ausnahmeerscheinung im deutschsprachigen Pop. Man schätzt sie für ihre Glaubwürdigkeit, ihre Emotionalität. Jedenfalls meistens.

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