Energiewende im Nachbarland: Polen steigt in die Atomenergie ein

Die Regierung plant gleich drei Atomkraftwerke, um auf Kohlestrom verzichten zu können. Der erste Reaktor soll 2033 ans Netz gehen.

Küste mit Wald in Polen.

Zwischen den Dörfern Lubiatowo und Kopalino sollen die Reaktoren stehen Foto: imago

WARSCHAU taz | Mit gleich drei Atomkraftwerken will das nationalpopulistisch regierte Polen in die Atomenergie einsteigen. Auf viele Polen, die sich zurzeit Sorgen machen, wie sie wegen der hohen Energiepreise über den Winter kommen sollen, wirkten die Worte von Premier Mateusz Morawiecki wie ein Ablenkungsmanöver: Statt sich um die Probleme der Menschen hier und heute zu kümmern, freute er sich auf den ersten polnischen Atomstrom in elf Jahren und lobt die gute Zusammenarbeit mit den US-Amerikanern. Der „billige Strom“, wie ihn die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) seit Jahren verspricht, soll erst ab 2033 fließen, wenn der erste Reaktor ans Netz gehen soll.

Mit einer Resolution zum Bau der ersten Atomkraftwerke in Polen legt die PiS ihre langfristigen Energie- und Klimaziele fest: „weg von der schmutzigen Kohle, hin zur sauberen Atomenergie!“. Das bisherige Credo von der Förderung der „heimischen Kohle“ scheint sich erledigt zu haben. Den Zuschlag für den Bau des ersten Atomkraftwerks erhielt der US-Konzern Westinghouse Electric Company. Er soll drei Druckwasserreaktoren des Typs AP 1000 für einen Preis von rund 20 Milliarden US-Dollar bauen. „Wir bestätigen“, so Morawiecki am Mittwoch, „dass unser Atomenergieprojekt die zuverlässige und sichere Technologie von @WECNuclear nutzen wird.“ Baubeginn soll 2026 sein. Bis dahin müssen alle Genehmigungen eingeholt werden.

Im kleinen Dorf Lubiatowo (Lübtow) in Hinterpommern, rund 70 Kilometer nordwestlich von Danzig und direkt an der Ostsee gelegen, sind die Bewohner wie gelähmt. Schon Ende Februar hatten sie lautstark gegen den „favorisierten Standort für Polens erstes Atomkraftwerk“ protestiert. Noch immer flattert an einem niedrigen Holzgartenzaun das bereits verwitterte Transparent: „Nein zum Atom in Lubiatowo“. Die meisten der knapp 150 Einwohner haben schon vor Jahren von der Landwirtschaft auf „Ferien auf dem Bauernhof“, Reiterferien und Gastronomie umgestellt. Sie fürchten nun um ihre Existenz. Denn wer wird schon seine Füße in den feinen Ostseesand strecken, wenn nebenan das Kühlwasser der Reaktoren in die Ostsee fließt? Auch der Wald rund um das Dorf soll zugunsten des Atomkraftwerks weichen – insgesamt rund 500 Hektar.

Die Landgemeinde Choczewo (Chottschow), zu der außer Lubiatowo noch 30 weitere Dörfer zählen, ist allerdings schon 2015 auf das millionenschwere Förderangebot der Aktiengesellschaft PGE (Polnische Energie-Gruppe) eingegangen. Seither hat PGE in den für einen AKW-Standort vorgesehenen Orten Infrastrukturmaßnahmen gefördert. So prangt denn auch auf der Website der von Choczewo bis heute das Umfrageergebnis von 2017: Damals waren 67 Prozent der rund 5.000 Einwohner der Landgemeinde für den Bau eines Atomkraftwerks und 33 Prozent dagegen. Eine aktuelle, polenweite und repräsentative Umfrage des Portals Oko.Press kommt zu einem anderen Ergebnis: Die Mehrheit der Polen – 45 Prozent aller Befragten – ist für den Ausbau der erneuerbaren Energien, 29 Prozent befürworten den Einstieg in die Atomenergie, und 23 Prozent möchten den bisherigen Energiemix auf der Basis von Kohle und Gas beibehalten.

Absichtserklärung für weiteren Reaktor

Schon zwei Tage nachdem Morawiecki die geplante 20-Milliarden-US-Dollar-Investition für Polens erstes Atomkraftwerk bekannt gegeben hatte, meldete sich Polens Vizepremier Jacek Sasin aus Südkoreas Hauptstadt Seoul. Er habe gerade eine Absichtserklärung für den Bau eines weiteren Atomkraftwerks in Polen unterzeichnet, so Sasin. Südkoreas staatliches Energieunternehmen Korea Hydro and Nuclear Power (KHNP) werde gemeinsam mit der polnischen Aktiengesellschaft PGE sechs APR1400-Reaktoren mit einer installierten Gesamtleistung von 8,4 Gigawatt bauen. Als Standort sei Konin bei Poznan/Posen in Großpolen vorgesehen.

In Südkorea kündigte Sasin dann auch noch den Bau eines dritten Atomkraftwerkes an. Den Zuschlag könnte dieses Mal Frankreich bekommen. Der staatlich kontrollierte französische Energiekonzern EDF hatte Ende Oktober 2021 ebenfalls ein Angebot vorgelegt. EDF würde in Polen gern ein AKW mit vier bis sechs Reaktoren mit einer Gesamtleistung von 6,6 bis 9,9 Gigawatt bauen.

Mit den drei AKWs will Polens Regierung rund 30 Prozent des landeseigenen Strombedarfs decken. Ob die jetzt unterzeichneten Verträge aufrechterhalten werden, wenn die PiS die Parlamentswahlen im Herbst 2023 verliert, ist nicht gesagt. Die PiS hatte weder die demokratische Opposition noch die Bürger vor Ort in ihre Entscheidungsfindung miteinbezogen. Der Baubeginn des amerikanischen AKW in Lubiatowo bei Danzig soll erst in vier Jahren sein. Gut 20 Kilometer von Danzig entfernt, in Żarnowiec (Zarnowitz), steht bis heute eine gigantische Bauruine. Hier sollte schon in den 1980er Jahren das erste Atomkraftwerk Polens entstehen. Doch dann kam es zum GAU im ukrainischen Tschernobyl und den Polen wurde klar, wie gefährlich diese Technologie ist. 1990 gab die Regierung den Bau des AKW auf.

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