Ein Raum voller Menschen, die miteinander sprechen und umhergehen

Sie sollen die Gesellschaft widerspiegeln: die Teil­neh­me­r:in­nen bei der Auftaktveranstaltung zum Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat Foto: Paulina Malys

Bür­ge­r:in­nen­rä­te in der Klimakrise:Das Los als Lösung?

Zufällig ausgewählte Menschen sollen in Freiburg und Umgebung Vorschläge für eine bessere Klimapolitik machen. Das erste Fazit fällt gemischt aus.

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7.11.2022, 10:56  Uhr

Nachdem die Schülerin Tabea Trost, der Systemadministrator Stefan Falk und der Postfilialleiter Heiko Quappe tagelang Dokumente gewälzt, Ex­per­t:in­nen befragt und sich genau überlegt haben, wie sie die Region vor der Klimakatastrophe retten können, räuspert sich ein Mitglied des Horbener Gemeinderates und sagt: „Das, was ihr da gemacht habt, ist reine Zeitverschwendung gewesen.“

Horben ist ein Dorf bei Freiburg und es hat zusammen mit 15 anderen Städten und Gemeinden im Mai den ersten interkommunalen Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat Deutschlands ins Leben gerufen. 91 Bür­ge­r:in­nen wurden dafür ausgewählt.

Ihre Aufgabe: Der Lokalpolitik Empfehlungen schreiben, wie die Region möglichst schnell zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann. Im Oktober liegen sie auf dem Tisch der Gemeinden. Die Reaktion der Lo­kal­po­li­ti­ke­r:in­nen entscheidet darüber, was aus ihnen wird: Ein Anstoß für eine neue Politik oder ein Ärgernis für den Papierkorb.

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Bür­ge­r:in­nen­rä­te sollen Bür­ge­r:in­nen in Entscheidungen einbeziehen und die Demokratie stärken. Das besondere ist, dass die Teil­neh­me­r:in­nen ausgelost werden und sich vorher nicht mit dem Thema auskennen müssen. Sie sollen die Bevölkerung widerspiegeln. In Irland empfahl eine Citizens’ Assembly nach langen Beratungen und Diskussionen die Legalisierung der Abtreibung und die Einführung der Ehe für alle, was im angeblich so konservativen Land eine Überraschung war. Die Regierung setzte beide Projekte um und der Prozess wurde zum Vorbild.

Doch funktioniert ein Bür­ge­r:in­nen­rat auch, wenn es darum geht, die Klimakrise aufzuhalten? Sind die Lösungen für die Probleme nicht längst bekannt? Und: Haben wir überhaupt noch die Zeit zu reden, müssten wir nicht längst handeln?

An politischer Legitimation für die Bekämpfung der Klimakrise fehlt es jedenfalls nicht. In Umfragen wird das Thema immer wieder als das drängendste Problem unserer Zeit genannt, selbst während der Hochphase der Coronapandemie war das so. Gleichzeitig denken fast 75 Prozent der Bevölkerung laut einer Umfrage, die Bundesregierung tue nicht genug oder eher nicht genug, um den Klimawandel zu bekämpfen. Auch die Kommunen bekamen kein gutes Zeugnis.

Es gibt ein Thema, das insbesondere in Baden-Württemberg für Kontroversen sorgt: Windkraft. Komplizierte Planungsverfahren und erbitterter, lokaler Widerstand haben den Windradausbau in Baden-Württemberg faktisch zum Stillstand gebracht. Im vergangenen Jahr wurden nur 31 neue Windräder in Betrieb genommen. Da hingt das Ländle sogar Bayern hinterher. Wird der Rat hier eine Lösung finden?

„Wenn die eigenen Bürger öffentlich Druck machen, können sich die Gemeinderäte nicht mehr wegducken“, sagt Gabriele Michel. Von ihr ist die Idee des Freiburger Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­ra­tes ausgegangen. Seit 2019 setzte sich die Autorin und Dozentin mit einigen Mit­strei­te­r:in­nen für die Gründung eines solchen Rates ein. In der Zwischenzeit wurde auch ein bundesweiter Bürgerrat Klima initiiert, der vor der Bundestagswahl 2021 seine Empfehlungen vorlegte. Auch in Berlin erarbeiteten zufällig ausgewählte Menschen lokale Forderungen.

Besonders in Freiburg und Umgebung ist, dass sich mehrere Gemeinden und Städte zusammengetan haben. Politische Empfehlungen zu Energie können nicht an der Stadtgrenze enden, das war die Idee. Aus etwa 4.000 gelosten Menschen der Region wurden die 91 Teil­neh­me­r:in­nen ausgesucht. Tabea Trost, 16, Schülerin aus Freiburg bekam eine der Einladungen, genauso wie Stefan Falk, 64, Systemadministrator aus Elzach und Heiko Quappe, 39, Postfilialleiter aus Freiburg.

Portrait von Tabea Trost

Tabea Trost, MItglied des Kli­ma­bür­ge­r*in­nen­ra­tes Foto: privat

Damit die Teil­neh­me­r:in­nen die Bevölkerung der Region möglichst gut abbilden, wurden unter den Interessierten die Kriterien Alter, Bildung und Migrationserfahrung berücksichtigt. Beim Alter hat das ganz gut geklappt, doch Menschen mit Migrationserfahrung sind unterrepräsentiert. Auch bei den Bildungsabschlüssen ist das Bild verzerrt: Fast 50 Prozent der Teil­neh­me­r:in­nen haben eine Fach- oder allgemeine Hochschulreife, dabei sind es in Baden-Württemberg nur 34 Prozent. Zu dieser Verzerrung kommt es auch deshalb, weil es ein ehrenamtlicher Job ist, den am Ende dann doch diejenigen machen, die sich besonders für das Thema interessieren – und sich das Engagement leisten können. Auch wenn die Teil­neh­me­r*in­nen eine Aufwandsentschädigung bekommen.

Rechtlich bindend sind die Empfehlungen des Rates nicht. Also was, wenn die Ge­mein­de­rä­t:in­nen die Empfehlungen einfach ignorieren? „Dann wäre das eine Katastrophe für die Demokratie“, sagt Gabriele Michel. Lokalpolitik lebe davon, die Menschen vor Ort ernst zu nehmen.

Fünf Samstage treffen sich die Teil­neh­me­r:in­nen über den Sommer. Am ersten Tag teilen sie sich nach Themenfeldern in Gruppen auf. Tabea Trost und Stefan Falk gehen in die Windkraft-Gruppe, Heiko Quappe in eine Gruppe, die sich mit weiteren erneuerbaren Energien beschäftigt. Außerdem gibt es die Themenfelder Solar auf Freiflächen, Solar auf Gebäuden und Energiesparen. Jede Gruppe erarbeitet Empfehlungen, über die dann alle gemeinsam am Ende abstimmen.

Tabea Trost, Schülerin

„Ich hoffe, dass wir etwas verändern“

Tabea Trost trägt geblümte Vans, die Haare hat sie in der Mitte gescheitelt. Sie geht in die 12. Klasse eines Gymnasiums und vor dem Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat hat sie sich noch nie politisch engagiert. „Es wird ja immer viel gemeckert. Aber ich finde, dass man sich auch einbringen und etwas vorschlagen muss“, sagt sie. Der Rat sei für sie die Möglichkeit gewesen, genau das zu machen. „Ich hoffe, dass wir etwas verändern.“

„Seien Sie radikal“, empfiehlt ein Experte

An den ersten Samstagen lernen sich die Teil­neh­me­r:in­nen kennen und hören sich Vorträge von Ex­per­t:in­nen an, die sie auf einen einigermaßen gleichen Wissensstand zum Klimawandel bringen sollen. Die Veranstaltungen finden in den teilnehmenden Kommunen statt: in einer Konzerthalle in Merzhausen; im Kreisgymnasium in Neuenburg und in einer Veranstaltungshalle in Emmendingen.

Die taz war bei den ersten Treffen nicht dabei. Ein Experte für Raumplanung habe folgenden Ratschlag geben, erzählt ein Teilnehmer zu einem späteren Zeitpunkt: „Seien sie radikal in ihrem Empfehlungen. Es kann gar nicht mutig genug sein.“

Portrait von Stefan Falk

Stefan Falk, Mitglied des Kli­ma­bür­ge­r*in­nen­ra­tes Foto: privat

Am vierten Samstag sprechen die Mitglieder des Rates Pas­san­t:in­nen auf den Wochenmärkten der Region an. Trost hat sich den Bauernmarkt im Freiburger Stadtteil Stühlinger ausgesucht. Unter Kastanienbäumen verkaufen Land­wir­t:in­nen Äpfel und Salat. Die Teil­neh­me­r:in­nen des Rates haben sich mit ihrem Info-Stand zwischen den Olivenverkauf und den Bäcker gestellt.

Tabea Trost spricht eine Frau mit vollen Einkaufstüten an und es schwingt etwas Stolz in ihrer Stimme mit, als sie den Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat vorstellt. „Das ist ja super“, sagt sie, als Trost ihren Vortrag beendet hat. Ob sie Anregungen habe, fragt Trost. „Nein, eigentlich nicht. Ich frage mich eher, ob Sie ein paar Tipps für mich haben. Wir haben zu Hause eine alte Ölheizung. Wie sieht es denn da mit Zuschüssen aus?“ Trost ist überfragt, aber sie notiert sich: Informationsangebote schaffen.

Drei Portugiesinnen laufen vorbei. Als Trost sie auf Windkraft anspricht, sagen sie: „Wir haben überall Windräder bei uns an der Küste. Das ist gar kein Problem. Wir finden das schön.“

Das Logo zeigt Häuser Windräder, einen Baum und Solaranlagen

Was bedeutet die Energiewende ganz konkret vor Ort? Wir als taz reisen für eine Reportageserie in Dörfer und Städte, in denen um die Energiezukunft und die Folgen der Klimakrise gerungen und gestritten wird. Alle Texte, lokalen Veranstaltungen und Videos finde Sie unter taz.de/klimaland.

Es ist ein Heimspiel für den Klimabürger:innenrat. Auf dem Freiburger Wochenmarkt gibt es niemanden, der sich gegen erneuerbare Energien ausspricht. Trotzdem sind die Geg­ne­r:in­nen der Windräder ein Thema. Wie soll man mit ihnen umgehen, den Menschen oben im Schwarzwald, die auf ihren Bergen keine Windräder haben wollen?

Weniger Widerstand als erwartet

Stefan Falk wohnt in einem kleinen Tal im Schwarzwald. Er war auf dem Markt seiner Heimatgemeinde Elzach, aber auch dort habe er mit keinem Windkraftgegner gesprochen. Im Gegenteil. Die Leute interessierten sich für erneuerbare Energien, sagt Falk.

Dass die Zahl der Wind­kraft­geg­ne­r:in­nen in Baden-Württemberg eher klein ist, bestätigt eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2018, die vom Energieunternehmen EnBW in Auftrag gegeben wurde. 87 Prozent der Befragten fanden den Ausbau von Windrändern wichtig. Und: 82 Prozent der Befragten mit einem Windrad in Wohnortnähe waren damit einverstanden.

Stefan Falk denkt schon seit den 90er Jahren über die lokale Nutzung von erneuerbaren Energien nach. Damals hatte er die Idee, ein kleines Wasserkraftwerk zu bauen. Doch als er die Genehmigung beantragte, sagte ihm ein Mitarbeiter des Landratsamtes: „Das wird zehn Jahre dauern.“

Stefan Falk, Systemadministrator

„Mich fasziniert es, Energie zu gewinnen, ohne dass dadurch etwas weniger wird“

Also dachte sich Falk etwas anderes aus. Er kaufte eine thermische Solaranlage, 25 Quadratmeter groß, legte das Betonfundament und schweißte Stahlgestelle auf sein Grundstück. Zuerst belächelten ihn seine Nach­ba­r:in­nen dafür, jetzt beneiden sie ihn. „Mich fasziniert es, Energie zu gewinnen, ohne dass dadurch etwas weniger wird“, sagt Falk.

Sieben Jahre, bis sich ein Windrad dreht

Seit 2017 fährt er Elektroauto, mittlerweile hat es 85.000 Kilometer auf dem Tacho. Stefan Falk muss nicht vom Kampf gegen den Klimawandel überzeugt werden. Er beschreibt seine Motivation so: „Ich habe vier Kinder und ich möchte, dass sie in einer Welt leben, die noch lebenswert ist.“

Falk arbeitet als Systemadminis­tra­tor in einer Schule und am liebsten würde er die Handlungsempfehlungen wie eine Anleitung formulieren, um ein Computerproblem zu lösen. In etwa so: Um ein Windrad zu bauen, gründen Sie eine Genossenschaft. Stellen Sie den Antrag. Fangen Sie mit dem Bauen an. Freuen Sie sich über den Wind. Erhalten Sie das Geld auf Ihrem Konto!

Doch im echten Leben dauert es dann im Schnitt sieben Jahre, bis sich das Windrad dreht. Denkmalgeschützte Gebäude, der Rotmilan, Landschaftsschutzgebiete, all das verzögert oder verhindert den Bau von Windrädern. Manchmal dauert ein Genehmigungsverfahren so lange, dass Naturschutzgutachten im Laufe des Prozesses veraltet sind und neu erstellt werden müssen.

Am Nachmittag des Markttages treffen sich die Mitglieder des Rates in einer Realschule in Freiburg, um über die Gespräche zu reden. Das Gebäude ist modern, die Betonwände sind blank, die Decken aus gepresster Holzwolle.

Heiko Quappe, Postfilialleiter

„Windräder machen die Natur kaputt“

Auch innerhalb der Gruppe ist es schwierig, jemanden zu finden, der gegen Windräder ist. Einen gibt es allerdings.

Heiko Quappe, 39, sitzt in einer Pause in einer Sofaecke der Schule und sagt: „Windräder machen die Natur kaputt.“ Er erzählt von Vögeln und von Insekten, die von Rotoren geschreddert werden.

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Was ist mit dem Argument, dass auch die Erderhitzung Arten bedrohe, wenn Tiere und Pflanzen ihren Lebensraum verlieren?

Quappe redet einfach weiter und weiter, er springt von Vermutung zu Vermutung und landet bei der Ukrai­ne. Er ist überzeugt, dass Wladimir Putin dort angegriffen habe, weil er sich bedroht fühlte. Gegenargumente lässt er nicht gelten, stattdessen wechselt er einfach das Thema.

Portrait von Heiko Quappe

Heiko Quappe, MItglied des Kli­ma­bür­ge­r*in­nen­ra­tes Foto: privat

An Heiko Quappe zeigt sich, wie der Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat an Grenzen stößt. Was können Expert:innen-Inputs und Argumente bewirken, wenn die Diskussion nicht funktioniert?

Zur Frage, was gesellschaftlicher Dia­log, was Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung erreichen kann, sind in den letzten Jahren viele Bücher erschienen. Dass eine relevante Zahl von Menschen Politik als abgehoben und unnahbar empfindet, ist ein Problem für die Demokratie.

Aber wie viel Kraft sollte eine Gesellschaft investieren, laute Minderheiten zu verstehen?

Quappe und die Wind­kraft­be­für­wor­te­r:in­nen sind kaum ins Gespräch gekommen. Ein- oder zweimal habe jemand versucht, ihn von Windrädern zu überzeugen. Aber der habe ihm gar nicht richtig zugehört, sagt Quappe. Man habe aneinander vorbeigeredet.

Was braucht es, damit man sich gegenseitig ernst nimmt?

Vor allem brauche man Zeit, sagt Heiko Quappe. „Die fünf Tage waren wahrscheinlich nicht lang genug, um sich richtig kennenzulernen.“

Stelltafeln mit Packpapier, die mit Post-its und Zeichnungen den Diskussionsverlauf zeigen

Windräder auf dem Feldberg, Photovoltaik auf den Wiesen: Wie radikal sind die Forderungen auf diesen Post-its? Foto: Paulina Malys

Quappe freut sich, wenn ihm jemand zuhört. Er erzählt, wie froh er sei, am Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat teilzunehmen. Besonders aufmerksam habe er bei der Videobotschaft eines Managers des regionalen Energieversorgers zugehört. Der Manager erzählte von Problemen mit dem Bau von Südlink, einer Stromleitung, die Baden-Württemberg mit Windstrom aus der Nordsee versorgen soll.

Die Leitung sollte längst fertig sein, aber sie wurde immer wieder gerichtlich gestoppt, weil die betroffenen Gemeinden mit der Streckenführung nicht einverstanden waren, und nun könnte es knapp werden mit dem Strom im Süden, wenn die Atomkraftwerke ausgestellt werden. Quappe interpretiert das so: „Wir haben den Atomstrom zu früh abgestellt.“

Dass der Klimawandel gestoppt werden muss, steht für ihn aber außer Frage. Bloß ohne Windräder. „Photovoltaikanlagen auf Dächern finde ich zum Beispiel super“, sagt er. Und Geothermie, also die Nutzung der in der Erdkruste gespeicherten Wärmeenergie.

Stefan Falk und Tabea Trost beschäftigen sich an diesem Nachmittag mit den Begriffen Windhöffigkeit, Ausbauvorrangebiet und Genehmigungsfreiheit. Die Gruppe hat sich in ein Klassenzimmer zurückgezogen, gut zehn Menschen sitzen in einem Stuhlkreis. Besonders die Älteren der Windkraftgruppe scheinen es darauf anzulegen, die Empfehlungen möglichst kompliziert zu formulieren und viele Fachbegriffe zu nutzen. Die Teil­neh­me­r:in­nen wurden im Laufe des Prozesses mit technischen Details bombardiert. „Das muss juristisch wasserdicht sein“, sagt eine Frau. Dabei gibt es gar keinen Juristen in der Gruppe.

Rücksicht die eigene Wiederwahl ist nicht nötig

Eine Frau möchte, dass jeder ein kleines Windrad auf seinem Grundstück bauen kann, ohne dafür eine Genehmigung zu beantragen. Die anderen sind etwas genervt, weil die Frau darüber wohl schon öfter geredet hat, aber sie lässt sich nicht von ihrem Thema abbringen. „Ich finde wir gehen zu sehr ins Detail“, sagt Tabea Trost.

Die Moderatorin lässt die Diskussion laufen, ermuntert Teilnehmer:innen, die noch gar nichts gesagt haben. Jeder soll zu Wort kommen, auch wenn das, was er sagt, eher Wunschdenken ist.

Dann wird es auf einmal spannend, denn jemand wirft eine entscheidende Frage in den Raum: Wie viele Windräder brauchen wir denn eigentlich in den drei Landkreisen?

„In dieser Studie steht 670, damit die Grundlast gesichert wird.“

„Wirklich so viele?“

„Das kann nicht sein. Das ist ja utopisch. Dann müsste ja auf jedem Berg ein Windrad stehen.“

„Der eine Experte hat von 270 geredet.“

„Na gut, dann schreiben wir 270 rein.“

Die Gruppe diskutiert, ob man nicht auch empfehlen sollte, auf Feldberg, Blauen und Belchen, also auf den höchsten Bergen des Schwarzwalds, Windräder zu bauen. „Da oben ist am meisten Wind“, sagt ein jüngerer Teilnehmer. Könnte man nicht sogar die Gemeinden verpflichten, zuerst auf den Gipfeln Windräder zu bauen? Was sie hier sagen, das ist für Baden-Württemberg ziemlich radikal.

Der Feldberg ist mit 1.493 Metern Baden-Württembergs höchster Gipfel und ein Symbol, das von zwei Gruppen beansprucht wird. Zum einen sind das die Naturschützer:innen, denen der Ski-Rummel im Winter zu groß ist, weil er die letzten Auerhühner des Schwarzwalds bedroht. Zum anderen sind das die Touristiker:innen, die versuchen, den Gipfel als Naturerlebnis zu verkaufen, obwohl längst Seilbahnen und eine geteerte Straße hinaufführen. Beide Gruppen sind sich einig: Windräder haben auf dem Feldberg nichts zu suchen.

Stefan Falk schaut in sein Smartphone, ihm geht das Ganze zu weit. Feldberg … Irgendwann nimmt sich Tabea Trost, die Jüngste in der Runde, ein Herz und sagt: „Wenn wir uns den Feldberg als Ziel setzen, dann kommen wir nicht weit. Da gibt es zu viel Gegenwehr.“ Es könnten die Worte einer Politikerin sein, die strategisch überlegt, wie sie am Besten ans Ziel kommt.

Der Gruppe ist die Radikalität ihrer Idee offenbar unheimlich geworden. Dabei hätte genau das auch eine Stärke sein können: einen provokanten, vielleicht sogar utopischen oder unpopulären Vorschlag zu machen. Die Bür­ge­r:in­nen müssen, anders als Politik:innen, keine Rücksicht auf eine mögliche Wiederwahl nehmen.

Was werden die Lokal­politiker:innen sagen?

Am fünften Samstag trifft sich der Rat in Stegen, einem Dorf zehn Kilometer von Freiburg entfernt. Heute müssen die Empfehlungen fertig werden. Die Gruppe hat noch viel zu tun. Doch an diesem Nachmittag spricht erst mal die Bürgermeisterin von Stegen ein Grußwort.

Die Politikerin mit der Dauerwelle steht auf der Bühne der Turnhalle, Tabea Trost, Stefan Falk und Heiko Quappe hören höflich zu. Die Luft ist stickig an diesem Julitag in der Sporthalle.

Zeichnung eines Teilnehmers: Haus mit Sonne und Bäumchen, davo ein kleiner E-Kabinenroller

Eine von vielen Ideen Foto: Paulina Malys

„Wir in Stegen machen schon viel gegen den Klimawandel“, sagt die Bürgermeisterin. Die Gemeinde habe ein Lastenrad angeschafft, das Bür­ge­r:in­nen kostenlos ausleihen können. Es gebe eine Verdirbnix-Box, um Lebensmittel zu retten. Und die LED-Straßenlaternen.

Eigentlich müsste nun jemand einschreiten und die Bürgermeisterin fragen, wie um alles in der Welt ein Lastenrad, ein Lebensmittelschrank und ein paar Laternen die Klimakrise aufhalten sollen, aber das macht keiner. Die Bürgermeisterin spricht weiter ihre Werbebotschaft.

Etwas fürs Klima tun, das klingt gut. Vielleicht haben viele Gemeinden auch nur wegen dieses öffentlichen Drucks an diesem Beteiligungsverfahren teilgenommen. Welcher Bür­ger­meis­te­r kann es sich schon leisten, als jemand dazustehen, der das Klima nicht schützen will?

Als die Bürgermeisterin ihre Rede beendet hat, setzen sich Tabea Trost und Stefan Falk in einen Stuhlkreis. „Unsere Vorstellungen sind noch nicht konkret genug“, sagt Stefan Falk. „Wir sollten deutlich machen: Außer Windkraft und Solar haben wir nichts, was uns aus der Klemme hilft.“ Kopfnicken. Das soll in die Präambel, das Vorwort.

Die Präambel beginnt mit den Worten: „Der menschengemachte Klimawandel zerstört die Lebensgrundlage der gesamten Menschheit.“ Und endet: „Je länger wir warten, umso dramatischer werden die Auswirkungen und umso drastischer werden die Maßnahmen sein, dem entgegenzuwirken.“

Am Ende des Tages einigt sich die Windkraft-Gruppe auf vier Punkte. Alle ausgewiesenen Windkraftflächen sollen sofort genutzt werden, an den Standorten mit dem meisten Wind zuerst. Die Kommunen sollen Planung und Genehmigung vereinfachen und zusammenarbeiten. Wo bisher kleinere Windräder stehen, sollen sie durch größere ersetzt werden. Bür­ge­r:in­nen sollen von den Erträgen lokaler Anlagen profitieren und mit Kommunikation und Transparenz soll Wind­kraft­kri­ti­ke­r:in­nen vor Ort begegnet werden.

Alle Punkte werden bei der Abstimmung angenommen. Nur die Zahl der 270 Windräder aus der Diskussion in der Gruppe steht nicht mehr drin. Sie hätte ein konkreter Anstoß sein können. Irgendwo, im Laufe der Diskussion, ist sie verloren gegangen.

Alle Forderungen sind abgestimmt, nun folgt die Bewährung: Wie kommen die Empfehlungen bei denen an, für die sie entwickelt wurden? Was sagen die Ge­mein­de­rä­t:in­nen vor Ort?

Die Kommunen sind diejenigen, die auch das meiste für den Prozess gezahlt haben. 150.000 Euro hat der Bür­ge­r:in­nen­ra­t etwa gekostet: Organisation, Moderation, Verpflegung der Teil­neh­me­r:in­nen. Ein Drittel haben Spon­so­r:in­nen übernommen, zwei Drittel zahlen die 16 Gemeinden.

Der Rat hat die Teil­neh­me­r:in­nen verändert

Ein Oktoberabend in Horben, das Dorf liegt auf den ersten Höhen des Schwarzwalds, nur ein paar Kilometer von Freiburg entfernt, aber Horben ist eine andere Welt als die Stadt unten im Tal.

Die Ge­mein­de­rä­t:in­nen hier sind bekannt dafür, dass sie gerne streiten, und eine Ratssitzung dauert auch mal drei bis vier Stunden. Um fünf nach sieben fehlen noch drei Ratsmitglieder, denn heute hat ein Haus gebrannt und die Ratsmitglieder sind auch Feuerwehrleute.

Dann kommen die drei fehlenden Ratsmitglieder rein, und es geht los. Vorn steht ein Vertreter des Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­ra­tes im Horbener Gemeinderat und stellt das Gutachten vor. Der Mann trägt ein blaues Sakko, eine beige Hose und er klimpert vor Aufregung mit einem Schlüsselbund in der Hosentasche. Er sagt: „Ich bin ja eigentlich Freiburger und wohne erst seit Kurzem in Horben.“

Das kommt nicht gut an, denn der Zuzug aus Freiburg verteuert die Horbener Immobilienpreise. Und dann sagt er: „Ich habe auch die Schweizer Staatsbürgerschaft.“ Auch das kommt nicht gut an, ein Seufzen in der Runde, denn es gibt Schweizer:innen, die sich Ferienwohnungen in Horben kaufen und ihre Wohnungen die meiste Zeit des Jahres leer stehen lassen.

Der Mann merkt nicht, wie sich die Stirn einiger Rä­t:in­nen längst in Falten gezogen hat, also erzählt er munter weiter, dass er als Biologe nachweisen konnte, dass die Fledermäuse keine Probleme mit Windrädern haben und dass er sich auch sehr gut mit Solaranlagen auskenne, denn er habe in einer Firma mal ein Praktikum gemacht. Hier spricht kein Bürger, hier spricht ein Experte. Und die Mitglieder des Gemeinderates sitzen da wie Schüler:innen, denen Nachhilfeunterricht erteilt wird.

Der Bürgermeister ist skeptisch

Der Mann gehört zur Gruppe „Solaranlagen auf Freiflächen.“ Er führt aus, dass es in Horben viele Wiesen gebe, auf denen man Solaranlagen aufstellen könnte. „Das geht sogar bei einer Neigung bis zu 45 Grad, wie Sie die hier haben“, sagt er und meint damit die Bergwiesen des Dorfes. „Das sollten Sie machen.“

Dann ist er fertig und der Bürgermeister, der bei den Grünen ist, was er aber nicht so oft sagt, denn in Horben sind die meisten Ein­woh­ne­r:in­nen sehr konservativ, räuspert sich. „Das ist ja schön und gut, was Sie da sagen und es ist wichtig, dass wir hier darüber diskutieren“, sagt er. „Aber haben Sie mal die Verordnung zur Öffnung der Ausschreibung für Freiflächen Photovoltaikanlagen für Gebote auf Acker- und Grünflächen in benachteiligten Gebieten gelesen?“ Das sagt er, ohne dabei in seine Notizen zu schauen.

Der Bürgermeister erklärt dann, warum es so gut wie unmöglich sei, in Horben eine Photovoltaik-Anlage auf eine Wiese zu setzen und er wirft mit den Begriffen Umweltprüfung, artenschutzrechtliche Prüfung, Änderung des Flächennutzungsplanes und Ausgleichsmaßnahmen um sich. Es mache einfach keinen Sinn, so etwas für Horben zu fordern, sagt er.

Die Projekte scheiterten an der Bürokratie. „Die Verfahren müssen einfacher werden, haben Sie daran mal gedacht?“, sagt der Bürgermeister. „Ja, das haben wir“, sagt der Mann vom Klimarat. Immer wieder stehe im Gutachten, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden sollen.

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Nur sind die Adressatinnen des Gutachtens die 16 Gemeinden – und die können keine Gesetze ändern. Sie können höchstens versuchen, über persönliche Kontakte oder über den Gemeindetag Druck auf die Landes- und Bundespolitik auszuüben.

Hat sich der Rat also an die Falschen gewandt? Bräuchte es eher Empfehlungen ans Bundesland?

Wenn es nach dem Horbener Ratsmitglied vom Anfang geht, dann war der Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat eine Enttäuschung. „Was Sie uns da vorgestellt haben, das wussten wir längst.“ Nicht nur Zeit, sondern auch Geld sei verschwendet worden. „Mit den 100.000 Euro hätte man eine Solaranlage kaufen können. Dann wäre das Geld wenigstens sinnvoll investiert worden“, sagt er.

Die Teil­neh­me­r:in­nen des Rates stellen dem Format hingegen ein gutes Zeugnis aus. In einer Umfrage sagte eine Mehrheit: „Der Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat hat meinen Glauben in unsere Demokratie gestärkt.“

Was von beidem wiegt mehr? Eine dritte Sicht könnte auch stimmen. Vielleicht waren die Erwartungen an den Rat einfach zu hoch. Die Klima­krise lösen, die Demokratie retten, das kann kein Rat der Welt an fünf Samstagen schaffen. In Irland debattierten die Mitglieder der Citizens’ Assembly fünf Monate lang, bevor sie eine Empfehlung zum Thema Abtreibung gaben.

Die Klimakrise kann man nicht zu einer moralischen Frage verdichten, die sich mit Ja oder Nein beantworten ließe. Um Lösungen zu finden, muss man ihre Komplexität verstehen, Puzzleteile zusammensetzen und trotzdem das große Ganze im Blick haben. Das haben die Teil­neh­me­r:in­nen gemerkt. Und wenn Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen nur auf Schwierigkeiten und Zuständigkeiten verweisen, müsste doch einigen klar werden, dass es so nicht weitergehen kann.

Was bleibt also vom ersten interkommunalen Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat Deutschlands? Der Prozess ist noch nicht vorbei. Im Dezember soll es ein Treffen der Kommunen geben. Dabei wollen die Bür­ger­meis­te­r:in­nen überlegen, wie sie die Empfehlungen des Rates umsetzen können.

Und auch die Teil­neh­me­r:in­nen haben sich in den Monaten verändert. Tabea Trost will sich weiterhin für den Klimaschutz engagieren. Heiko Quappe schwärmt für Geothermie. Und Stefan Falk hat wieder eine neue Idee. Er möchte in seiner Heimatstadt eine Energiegenossenschaft gründen und Photovoltaikanlagen beauftragen. Eine Sammelbestellung will er anschieben, möglichst viele sollen mitmachen.

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