Der Vizekanzler und die Union: Warum gehen alle auf Habeck los?

Manche Besitzstandswahrer der alten Bundesrepublik sehen im Vizekanzler eine Gefahr – und greifen an. Habeck braucht Rückendeckung aus seiner Partei.

Robert Habeck hebt verteidigend die Hände

Wirtschaftsminister Habeck bei einer Kabinettssitzung im Kanzleramt Foto: ap

Das alte und nicht mehr funktionierende Politik-Knowhow des 20. Jahrhunderts hat uns in die Scheiße geritten. Und nun sagen die beiden ehemaligen Volksparteien und verständlicherweise besonders laut die Union: Wir brauchen dieses alte Knowhow, um aus der Scheiße zu kommen, in die die Grünen und speziell der Vizekanzler uns reinreitet.

Jetzt könnte man einfach sagen: Hä? Wie soll uns die alte Politik von den Problemen befreien, die sie selbst hervorgerufen hat? Aber so einfach ist es nicht. Die Pandemie läuft weiter, in Europa ist Krieg, das fossile Wirtschaftsmodell erodiert, da bekommen die Leute Angst. Und nicht nur „die Leute“. Wir auch. Wer Angst hat oder einfach vor lauter Komplexität nicht mehr erkennen kann, wie die Lage liberaldemokratisch, institutionell also, in kleinen Schritten verbessert werden könnte, der wird empfänglich für jede Form von Populismus, statt die eigene Verstrickung anzuerkennen.

Jetzt wird die Bundesrepublik längst nicht so populistisch und antidemokratisch angegriffen wie die USA, Großbritannien, Frankreich oder Italien. Und wir können wirklich dankbar sein, dass die AfD bisher von Pflaumen geführt wird, die ihr Drecksgeschäft fachlich nicht oder ungenügend drauf haben.

Aber wenn man sich etwa den kleinen Youtube-Kanal des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt anschaut, der die „Stimme der Mehrheit“ sein will, dann erkennt man hinter dem Dilettantismus das destruktive Potenzial.

Populistisch geprägte Verhärtung des öffentlichen Gesprächs

Nun sollte man sich hüten, die „Springer-Presse“ wieder zum Feindbild Nummer 1 zu adeln. Das wäre eine alte und unzureichende Antwort auf eine neue und viel komplexere mediengesellschaftliche Entwicklung. Aber meine These ist, dass wir eine populistisch geprägte Verhärtung des öffentlichen Gesprächs erleben werden, die im Kern um die Grünen und um ihren Chef im Wirtschafts- und Klimaministerium ausgetragen wird.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Das ist erst mal positiv, denn das öffentliche Gespräch findet am entscheidenden Ort für die postfossile Zukunft statt, die nun mal prioritär eine gelingende Transformation der Wirtschaft ist. Es ist auch folgerichtig, weil seinen Gegnern und Feinden klargeworden ist, dass Robert Habeck die entscheidende Figur ist, wenn sie diese Transformation der Bundesrepublik bremsen, verhindern oder gar selbst übernehmen wollen.

Wenn man die Chefs der abgewählten CDU/CSU richtig interpretiert, dann wollen Friedrich Merz und Markus Söder, Stand jetzt, mit Unterstützung von liberalkonservativen Medien das Vertrauen eines wachsenden Teils der Mehrheitsgesellschaft in die Grünen mit einem populistisch angehauchten Anti-Habeck-Kurs so radikal schrumpfen, dass sie am Ende wieder mit der SPD als Junior ihren alten Stiefel weitermachen können. Das Gefühl, das sie dafür erzeugen wollen: Wir sind immer noch weniger schlimm als die Grünen!

Robert Habeck ist in diesem Moment der gefährlichste Mann für manche Besitzstandswahrer der alten Bundesrepublik. Je mehr er hinkriegt, desto kleiner werden sie. Dass sie da nicht wohlwollend zusehen werden, ist klar. Insofern wäre es für den Vizekanzler sicher hilfreich, wenn zumindest seine eigene Partei nicht, wie jüngst in der Atomfrage, das Loch auch noch selbst aushebt, in das die anderen ihn versenken wollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.