Tagung über kollektive Gewalterfahrungen: Die leidende Welt als Stuhlkreis

Um kollektive Gewalterfahrungen ging es bei einer Tagung in Berlin. Diskutiert wurde, ob der Traumabegriff den Blick auf die Politik verstellt.

Nancy Faeser steht in einer gruppe von Menschen vor einem niedergebrannten Wohnhaus

Nach einem Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine in Mecklenburg-Vorpommern: das „Nie wieder!“ werde Tag für Tag dementiert Foto: Jens Büttner/dpa

Wenigstens einmal musste dieses deutsche Zauberwort für diesen Diskurs geäußert werden: „Verantwortung“, also für die Geschichte Deutschlands, vor allem, hierauf ist die Vokabel meist gemünzt, für die Shoah, den organisierten, aus keiner Kriegssituation heraus geborenen Massenmord an Juden in Deutschland und sonstwo in Europa. Verantwortung – die hätten wir zu tragen, sagte Oliver Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Auch wenn die überlebenden Opfer des Holocaust, Zeitzeug*innen, fast allesamt nicht mehr leben, wie Lukas Welz sagte, Vorstandsvorsitzender von Amcha, einer der wichtigsten internationalen Organisationen zur Aufklärung über die Leiden der Überlebenden des deutschen Verbrechens.

So weit, so richtig: „Transgenerationale. Prägungen und Erinnerungen nach kollektiven Gewalterfahrungen über Generationen hinweg“ lautete der Titel des Tages im Akademiebau des Jüdischen Museums in Berlins. Es galt, so etwas wie eine Brücke zu bauen ins zeitgenössische Leiden in aller Welt, im Gefolge der postjugoslawischen Kriege etwa in Bosnien und Herzegowina, in der Ukraine, in Ruanda oder auch bei Flüchtlingen, die sich auch in Deutschland ihrer Leben nicht mehr sicher sein können.

Dass für die Beschreibung dieser Leiden (gerade der Schwächsten, Kinder, Frauen, Alte) vor allem ein Wort gängig werden konnte, nämlich „Trauma“, wurde im ersten Panel debattiert. Taugt „Trauma“ (und dazu gehörig: „Resilienz“, Widerstandsfähigkeit) als Chiffre zur Beschreibung unterschiedlichsten Leidens, auch als überlebende Person, überhaupt noch?

Natan Sznaider, in Israel lebender Soziologe und selbst Angehöriger der sogenannten „zweiten Generation“, also Kind von Holocaustentronnenen, kritisierte die Beliebigkeit im (aktivistischen) Alltagsgebrauch des Wortes freundlich, doch in der Sache scharf: Es werde nicht unterschieden zwischen einem persönlichen Schmerz, einem möglicherweise verkapselten Leiden, einer Unsagbarkeit dessen, was das eigene Leben beschwert, und einer politischen Dimension: Die gibt der Begriff selbst nicht unbedingt her, aber so wird er für politische Zwecke fast missbraucht.

Die leidende Welt werde da als Stuhlkreis betrachtet, in der über Traumata, einst nichts als ein für den psychoanalytischen Prozess nützlicher Begriff, geredet werde – und über Resilienzen! –, als sei ein Verständnis von gemeinsamem Leid schon alliierend und politisch wirksam.

Smalltalk-Wort für missliche Befindlichkeiten

Seine Kritik galt besonders Martin Auerbach, Leiter von Amcha in Israel, der diese Unterscheidung zwischen Persönlichem und Politischem nicht treffe. Marina Chernivsky sekundierte, nicht alle Leiden führten bei den Kindern und Enkeln zu Beschädigungen, es gäbe sehr wohl ein Leben mit „normalem“ seelischem Erbschaftsgepäck.

Tatsächlich ist das Wort „Trauma“, so äußerte am Ende der Veranstaltung Kristin Platt (Uni Bochum), zu einer Art Smalltalk-Wort für alle misslichen Befindlichkeiten bis zum echten Heavy Historical Stuff geworden. Worauf es aber ankäme, so Esther Mujawayo, aufgewachsen in Ruanda, jetzt in Deutschland lebend, sei, dass die Gewalterfahrungen, gerade von Frauen, Opfer sexualisierter Gewalt, sagbar werden im Sinne: „Ich werde überhaupt gehört“, denn dieses Leid – eben nicht allein das soldatische Leid – müsse nicht tabuisiert sein.

Am Ende redete sich Tahera Armeer von der Amadeu-Antonio-Stiftung fast in Rage. Überall zu den gedenkpolitischen Feiertagen, auch demnächst zum 9. November, mutmaßlich auch zum Holocaustgedenktag am 27. Januar, sei vom „Nie wieder!“ die Rede, jeder und jede brächte diese Formel über die Lippen, aber dieses „Nie wieder!“ werde Tag für Tag dementiert, gerade jetzt wieder, da wieder Unterkünfte von Flüchtlingen in Brand gesteckt würden.

Was zu denken gab, war schließlich der Hinweis, dass bei Kriegen, wie aktuell der Russlands gegen die Ukraine, aber nicht nur dort, internationale Hilfsorganisationen nach „Trauma“-Hilfe und Resilienzworkshops riefen: Und nichts sei unpassender als eben solche psychologischen Dienste, wo es doch vor allem politische Fragen seien, die über Krieg und Frieden entschieden.

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