Regierungskrise in Großbritannien: Die Untote von der Downing Street

Finanzminister Hunt tritt die Wirtschaftspolitik der Premierministerin in die Tonne. Die Zweifel an Liz Truss wachsen.

Liz Truss sitzt mit Jeremy Hunt im Unterhaus

Jeremy Hunt setzt sich schon mal etwas ab von Liz Truss Foto: Jessica Taylor/reuters

LONDON taz | „Trussonomics“ ist tot, aber Liz Truss lebt. Der Plan der neoliberalen Wachstumspolitik der neuen britischen Premierministerin Liz Truss wurde am Montag begraben: erst in einer fünfminütigen Live-Ansprache des neuen britischen Finanzministers Jeremy Hunt am späten Vormittag und dann am Nachmittag ausführlicher in einer Erklärung im Parlament. Die Premierministerin schwieg, aber sie bleibt im Amt.

Hunt schaffte nahezu alle Vorkehrungen, die sein am Freitag gefeuerter Vorgänger Kwasi Kwarteng am 23. September in seinem „Mini-“Haushalt angekündigt hatte, aus der Welt. Von Kwartengs 49 Milliarden Pfund an Steuersenkungen nahm er 32 Milliarden (37 Milliarden Euro) wieder zurück, die sonst ungedeckt die britischen Staatsschulden erhöht hätten. Den Kostendeckel für Energiepreise für Verbraucher:innen, den Kwarteng zwei Jahre lang laufen lassen wollte, verkürzte er auf April 2023. Er kündigte außerdem Gespräche mit allen Ministerien über Einsparungen an. Seinen vollen Plan will er, wie zuletzt auch von Kwarteng geplant, am 31. Oktober präsentieren.

Kwarteng hatte die britische Wirtschaft mit seinen Ankündigungen ins Schleudern gebracht, da die Finanzmärkte das als Risiko wahrnahmen. Zudem wurde er stark kritisiert, weil die Steuern vor allem für Gutverdiener und Unternehmen sinken sollten. Die Idee war gewesen, Investitionen und Anleger in das EU-ungebundene, unabhängige Vereinigte Königreich locken. Das sollte die Wirtschaft von oben nach unten anfeuern, was zu mehr Wachstum und höheren Löhnen führen sollte – das war die Essenz von „Trussonomics“, womit Liz Truss im Sommer den parteiinternen Wahlkampf um die Nachfolge Boris Johnsons gewonnen hatte, während ihr Widersacher, Ex-Finanzminister Rishi Sunak, dies als unverantwortliches Wunschdenken kritisiert hatte.

Aber nachdem die Anleger daraufhin stattdessen britische Anleihen mit einem Risikozuschlag belegten und die Zinsen auch für Verbraucher in die Höhen schnellten, vollzogen Truss und Kwarteng eine Kehrtwende um 180 Grad. So wurde bereits auf dem konservativen Parteitag Anfang Oktober angekündigt, den Spitzensteuersatz von 45 Prozent doch nicht abzuschaffen.

Liz Truss drückt sich vor dem Parlament

Am vergangenen Freitag schließlich entließ Truss ihren Finanzminister Kwarteng und ersetzte ihn durch Jeremy Hunt, dessen politische Karriere eigentlich schon beendet schien. Hunt nahm prompt die Zügel in die Hand und vollendete die Kehrtwende. Dementsprechend hoch standen die Erwartungen am Wochenende und am Montag, dass Truss bald Kwarteng ins politische Aus folgen würde.

Als Labour-Oppositionschef Keir Starmer am Montagnachmittag eine aktuelle Frage im Unterhaus zugestanden wurde, in welcher Premierministerin Truss zur Auswechslung des Finanzministers Stellung nehmen sollte, kam Truss gar nicht erst ins Parlament. Sie schickte Parlamentsministerin Penny Mordaunt ans Redner:innenpult. Mordaunt, die im Rennen um Johnsons Nachfolge als große Rivalin von Truss wahrgenommen worden war und nur knapp den Einzug in die Stichwahl verpasst hatte, ließ Truss immer wieder mit den Worten, „sie hat Dringendes zu erledigen“, entschuldigen.

Die Premierministerin, sagte Mordaunt, sei eine „mutige“ Politikerin, die im Interesse des Landes eine schwere Entscheidung getroffen habe. Dann versetzte sie das Unterhaus mit einer gesalzenen und gewagten Gegenoffensive ins Staunen. Sie lasse sich vom Labourchef nichts sagen, donnerte Mordaunt: Starmer habe „keine Wahlen während des Brexit-Engpasses zugelassen, und bezüglich des Brexits, des Lockdowns oder der Mitgliedschaft zur europäischen Arzneimittelagentur gegen die Interessen des Landes gestimmt und seine eigenen Versprechungen bei seinem Amtsantritt gebrochen“, verkündete sie, zum lauten Jubel der gesamten Toryfraktion.

Die eigentliche Premierministerin Liz Truss tauchte dann zu Jeremy Hunts Erklärung doch plötzlich im Unterhaus auf und hörte ihrem Finanzminister still und emotionslos zu, ohne ein Wort von sich zu geben oder auch nur eine Regung zu zeigen. Dann ging sie wieder.

Hunt überraschte die Parlamentarier mit der Ankündigung eines neuen Beratergremiums für Wirtschaftspolitik. Das Economics Advisory Council soll das unabhängige Prüfamt des Staatshaushalts (Office of Budget Responsibility) und die unabhängige Zentralbank mit einer dritten unabhängigen Meinung ergänzen. Mitglieder dieses Rates werden ehemalige Zentralbankiers und führende Fi­nanz­ex­per­t:in­nen aus dem Privatsektor.

Es müsse nun auch bei den Staatsausgaben alles überprüft und neu überarbeitet werden, betonte Hunt, allerdings mit der Zusage, „jenen zur Seite zu stehen, die am meisten Hilfe brauchen“. Er werde alles tun, um „mit einer nachhaltigen, stabilen Wirtschaftspolitik zu versuchen, dass der Leitzins niedrig bleibt“. Als dann schließlich die eigene Fraktion mit Fragen drankam, stieß Hunt vor allem auf Lob und Willkommensgrüße im Amt. Truss war da schon weg.

Kommt jetzt eine trügerische Ruhe?

Nachdem auch die Finanzmärkte positiv auf Hunts Pläne reagiert hatten, schien Dienstagfrüh der Drang unter den Tories nach einem Wechsel an der Spitze der Regierung vorerst gestillt. Zwar mag der Plan von Truss tot sein, doch noch lebt sie als Premierministerin politisch weiter, geschützt von Kapitän Hunt, dessen Vater zufällig Admiral der britischen Marine war.

Doch es könnte sich um eine trügerische Stille handeln. Nachts wagten sich einige konservative Abgeordnete an die Presse und redeten Truss' Zukunft klein, ohne dabei genannt werden zu wollen. Fünf haben sich öffentlich für ihren Rücktritt ausgesprochen. Mehr noch sollen beim Hinterbänklerkomitee bereits ein Misstrauensvotum beantragt haben.

In einem Fraktionstreffen am Montagabend stellte Truss klar, sie gedenke die Konservativen in die nächsten Wahlen zu führen. Sie gestand aber Fehler ein und wiederholte ihr „Sorry“ am späten Abend in einem BBC-Interview: „Ich bin zu weit und zu schnell vorangegangen und richte meine Politik nun auf Stabilität in der Wirtschaft aus.“

Wie stabil ihre eigene Position jetzt tatsächlich ist, wird das Land in den nächsten Tagen und Wochen erfahren. Das Schiff jedenfalls steuert gerade ein anderer.

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