Weitergabe von Daten an Polizei: Klage von Ex-NSU-Helfer erfolgreich

Karlsruhe schränkt die Datenweitergabe durch den Verfassungsschutz ein. Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Gesetzesänderung.

Ein Mann mit Kapuzenpullover (die Kapuze verdeckt sein Gesicht) und andere Manner

Er erhob Verfassungsbeschwerde: Carsten S., hier im Kapuzenpullover, im Landgericht München Foto: Sebastian Widmann/imago

FREIBURG taz | Die Übermittlungspflichten des Verfassungsschutzes an die Polizei sind unverhältnismäßig weitgehend. Das stellte jetzt das Bundesverfassungsgericht fest. Der Bundestag muss bis Ende 2023 nachbessern.

Konkret ging es um eine schon seit Jahrzehnten bestehende Regelung im Bundesverfassungsschutzgesetz. Paragraf 20 verpflichtet die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern dazu, Informationen an die Polizei weiterzugeben, wenn dies „zur Verhinderung und Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist.“

Gegen diese gesetzliche Übermittlungspflicht erhob bereits 2013 der Ex-NSU-Helfer Carsten S. Verfassungsbeschwerde. Er hatte dem NSU-Terrortrio einst die Tatwaffe überbracht. Später stieg er aus der rechten Szene aus, bereute seine Mordbeihilfe und sagte umfassend aus. 2018 wurde er zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt und lebt heute in einem Zeugenschutzprogramm.

Seine Verfassungsbeschwerde hatte damals der linksliberale Bürgerrechtler Fredrik Roggan geschrieben, der heute Rechtsprofessor an der Brandenburger Polizeihochschule ist. Carsten S. sah sich durch die gesetzliche Übermittlungspflicht in seiner informationellen Selbstbestimmung verletzt. Als betroffen sah er sich vor allem im Zusammenhang mit der 2012 – nach dem Auffliegen des NSU-Terrors – eingeführten Rechtsextremismusdatei (RED). Die Datei sollte zwar keine neuen Daten erfassen, aber die Übermittlung vorhandener Daten an andere Behörden erleichtern.

„Hinreichend konkretisierte“ Gefahr muss bestehen

Beim Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte die Klage nun Erfolg. Die weitgehende Übermittlungspflicht sei unverhältnismäßig, entschieden die Richter:innen. Grundsätzlich sei die Übermittlung von Verfassungsschutzdaten an die Polizei zwar legitim, um Gewalttaten und Hetze von Ex­tre­mis­t:in­nen zu verhindern und aufzuklären. Wenn es aber um Daten geht, die heimlich gewonnen wurden (etwa durch V-Leute oder abgehörte Telefonate), dann ist die Übermittlung in der Regel nur zulässig, wenn auch die Polizei mit ihren Befugnissen die Daten hätte erheben dürfen.

Konkret heißt das: Der Verfassungsschutz darf der Polizei heimlich gewonnene Daten nur übermitteln, wenn eine „hinreichend konkretisierte“ Gefahr besteht oder wenn es einen konkreten Verdacht gibt, dass eine besonders schwere Straftat begangen wurde. Es geht dabei insbesondere um den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Freiheit sowie des Staates. Angriffe auf Sachen gelten nur dann als besonders schwere Tat, wenn die Sachen von öffentlichem Interesse sind, wie etwa ein Kraftwerk.

Das Verfassungsschutzgesetz enthielt zwar ein allgemeines Überermittlungsverbot, wenn Belange des Betroffenen die Sicherheitsinteressen überwiegen. Das Gericht hielt dies für zu unbestimmt. (Az.: 2354/13)

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