Juso-Bundeskongress: Frontalangriff nach Streicheleinheit

Der Juso-Bundeskongress in Oberhausen verläuft lange äußerst harmonisch. Am Ende redet SPD-Chef Lars Klingbeil – und plötzlich ist alles anders.

Lars Klingbeil und Jessica Rosenthal, sitzend

Streit über Deutschland als „Führungsmacht“: Lars Klingbeil und Jessica Rosenthal Foto: Roberto Pfeil/dpa

BERLIN taz | „Ihr macht eine super Arbeit“, ruft die SPD Chefin Saskia Esken den rund 300 Delegierten des Juso-Bundeskongresses zu. Auch die 49 SPD-Abgeordneten im Juso-Alter würden „eine andere Perspektive bei Emanzipation und Selbstbestimmung“ einbringen. „Das ist sehr wertvoll für unser Politik.“ So viele Streicheleinheiten von der Parteiführung gibt es bei Juso-Kongressen nicht immer. Die Zeiten, als die Jusos gegen die Groko und SPD-Spitze wetterten – sie sind scheinbar vorbei.

Zweieinhalb Tage lang debattieren die Jusos in Oberhausen. Das Motto heißt „Solidarisch. Komme was wolle.“ Sie rufen zu einer „Kampagne gegen rechts“ auf, fordern eine drastische Anhebung des Bürgergelds und eine gepfefferte Vermögensabgabe. Esken wirbt für Verständnis für die Zwänge der Ampel. Mit FDP und Grünen zu regieren sei „echt nicht immer einfach“. Und außerdem habe kaum eine Regierung es in so kurzer Zeit mit so vielen Krisen zu tun gehabt. Kein Widerspruch vonseiten der Jusos.

Als Esken ruft: „Wir brauchen eine Vermögensabgabe der Superreichen“, erntet sie tosenden Beifall. Wie ein Refrain kehren in den Reden die Worte FDP und Christian Lindner immer wieder. Dass man einen gemeinsamen Gegner hat, der leider verhindert, dass die SPD-MinisterInnen tun können, was sie eigentlich wollen – auch das scheint die neue Gemeinsamkeit zwischen Jusos und Partei zu fördern. Revolte war gestern?

Klingbeils Auftritt als Türöffner

Auch der Auftritt von Kevin Kühnert, bis 2021 Juso-Chef, jetzt SPD-Generalsekretär, wird mit viel Beifall bedacht. Ein Juso mahnt danach sanft an, Kühnert müsse als Generalsekretär mehr für die Vision einer besseren Welt tun. Kritik nur in homöopathischer Dosis.

Kurz vor dem Ende des Kongresses am Sonntagvormittag knallt es dann doch. Parteichef Lars Klingbeil wirbt für Selbstkritik der SPD in Sachen Russland – und verteidigt seine Formel, dass Deutschland in der EU eine „Führungsmacht“ sei. Die solle Berlin nicht breitbeinig spielen, aber beim EU-Beitritt der Ukraine müsse Berlin führen. Dieses buzzword (das Juso-Chefin Jessica Rosenthal in der taz am Freitag heftig kritisiert hatte) öffnet alle Schleusen. „Wir sind keine Führungsmacht. Das ist und bleibt falsch“, kontert Rosenthal in Oberhausen.

Klingbeils Auftritt ist der Türöffner für vieles, war vorher ungesagt blieb. Sinem Tasan-Funke kritisiert, dass die SPD keine Vision habe und fast so unsichtbar sei wie in der Großen Koalition. „Führt die Koalition endlich.“ Wenn die SPD glaube, wie 2021 mit weißen alten Wählern und gegen schwache Gegner Wahlen zu gewinnen, sei sie auf dem Holzweg.

Phillipp Türmer greift Klingbeil frontal an. Als Parteichef sei man immer ein bisschen Sprecher des Kanzlers. „Aber du gehst zu sehr in dieser Rolle auf.“ Selbstkritik in Sachen Russland sei unglaubwürdig, wenn man gleichzeitig den Verkauf von Teilen des Hamburger Hafen an einen chinesische Staatskonzern durchwinke.

Der SPD-Chef musste sich noch anhören, dass er nur Pressesprecher des Kanzleramts sei. Und die Partei hinter einem unsichtbaren Kanzler verschwinde. Klingbeil kontert, dass „es schwieriger ist, zu regieren als Opposition zu sein“, und appelliert an die Einheit. Der SPD-Chef hatte zuvor jovial bemerkt, so ergeben, wie die Junge Union bei Markus Söder auftrete, wolle er die Jusos nicht. „Den Gefallen habt ihr mir getan“, sagt Klingbeil am Ende.

Am nächsten Wochenende trifft sich die SPD zum Debattenkonvent und einem kleinen Parteitag in Berlin. Mit Kanzler Olaf Scholz, der, anders als 2021, dem Jusotreffen fern blieb. Man darf gespannt sein, ob die Jusos ihre radikale Kritik an der Ampel auch dem Kanzler unter die Nase reiben.

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