Weiterbaggern im Kohletagebau Garzweiler: RWE kauft Windräder vom Markt

Beim vorzeitigen Abriss einer einzelnen Turbine am umkämpften Tagebau Garzweiler soll es nicht bleiben. RWE will schneller mehr Platz. Was heißt das?

Riesiges Baggerrad vor blauem Himmel, dahinter dampfendes Kraftwerk und mehrere Windräder

Die Bagger sprengen selbst das Fotoformat: Fossile und Zukunftsenergien am Tagebau Garzweiler Foto: imago/Jochen Tack

Aachen | TAZ Als vor zehn Tagen plötzlich eine der acht Windenergieanlagen neben dem Braunkohletagebau Garzweiler demontiert wurde, sorgte das für ordentlich Konfusion: Dringend benötigte Zukunftsenergie macht Platz für Kohleverstromung und Klimazerstörung? taz-Recherchen zeigen: Mit dem Abbau der einen Anlage ist es womöglich nicht getan. Hinter den Kulissen wird derzeit eifrig gefeilscht, was mit den verbleibenden sieben passiert.

Fünf Anlagen gehören der Energiekontor AG, drei – darunter die jetzt demontierte – der wpd windmanager GmbH & Co KG. Alle acht Turbinen wurden 2001/02 errichtet, stehen noch über einen Kilometer von den Baggern entfernt und haben eine Betriebsgenehmigung bis mindestens Ende 2023 oder 2024. Warum also die eilige Aktion?

Klaus Meier, Geschäftsführender Gesellschafter von wpd, sagt, RWE habe um „eine Neubestimmung der Rückbautermine gebeten“. Heißt: vorzeitig weg damit. Und ja, der Energiekonzern habe auch eine Kompensationszahlung geleistet, Höhe unbekannt. „Die Einigung war vor den Auswüchsen am Energiemarkt. Im Jahr 2022 hätten wir einem vorfristigen Rückbau nicht mehr zugestimmt.“ RWE wäre also demnach auch noch ein indirekter Kriegsgewinner.

„Wir erleben eine massive Energiekrise, in der es auf jede Kilowattstunde erneuerbarer Energie ankommt“, erklärt Antje Grothus, grüne Landtagsabgeordnete und Sprecherin für Transformation. „Hier werden ohne Not Windräder am Kohletagebau abgerissen. So wird der Konflikt um Garzweiler befeuert und der Energiewende ein Bärendienst erwiesen.“

Und die anderen Anlagen?

Konkret bedeutet der Abriss für wpd einen Ertragsverzicht von gut drei Millionen Kilowattstunden. Die beiden anderen Turbinen, so Meier, würden erst im März 2023 und Oktober 2024 abgebaut. Und ja, die RWE-Manager hätten gern auch diese beiden Anlagen mit verschwinden lassen wollen: Sie hätten „das betriebliche Bedürfnis gesehen, die Flächen vorzeitig und entgegen der vertraglichen Laufzeit zurückzubekommen“.

Auch die fünf Anlagen der Firma Energiekontor haben eine Betriebsgenehmigung bis Ende Dezember 2023. Firmensprecher Till Gießmann erklärt, hier sei ebenfalls geplant, die Anlagen früher abzubauen. „Da diese Entscheidung von den Eigentümern und nicht von uns als Dienstleister zu treffen ist, kann ich dies allerdings nicht weiter kommentieren.“ Eigentümer solcher Windparks sind meist Fonds oder dutzende Privatpersonen.

Gießmann relativiert indes: „Wir reden über fünf alte Anlagen, deren Leistung zusammen einer einzigen modernen entspricht.“ Derzeit befänden sich in Deutschland Anlagen von zusammen zehn Gigawatt im langwierigen Genehmigungsprozedere, das entspreche tausenden Windkraftanlagen der Leistung in Garzweiler. „Und das dauert und dauert. Nichts ist schneller gegangen bisher, trotz aller Ankündigungen von Herrn Habeck. Darüber sollte man sich viel mehr aufregen.“

Ministerium „nicht glücklich“

Das grün geführte NRW-Wirtschaftsministerium ist „nicht glücklich“ mit dem plötzlichen Turbinenabriss, sagt Sprecher Matthias Kietzmann, „das passt nicht in die Zeit“. Warum greift das Ministerium dann nicht ein? „Wir haben keine Befehlskette zu Unternehmen“, sagt Kietzmann. Wohl aber fordert Ministerin Mona Neubaur jetzt, die sieben verbleibenden Anlagen „so lange wie möglich in Betrieb“ zu lassen. „Darauf haben wir das tagebautreibende Unternehmen hingewiesen.“

RWE-Sprecher Guido Steffen bestätigt, dass „drei weitere Windkraftanlagen zum 30. 6. 2023 zurückgebaut werden“ sollten. Man prüfe derzeit aber eine kleine Verlängerung. „Nach aktuellem Kenntnisstand ist eine Verschiebung um vier Monate auf den 31. 10. 2023 vertretbar.“ Um wie viel Geld es geht: kein Kommentar.

Dieses mögliche Zugeständnis bei der Laufzeit dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Bagger stocken. Denn das besetzte Dorf Lützerath steht weiter im Weg. Womöglich haben die Beteiligten – Kommune, Landesregierung und Polizei – Angst vor einem Desaster wie bei der Räumung im Hambacher Wald vor vier Jahren. Damals gab es nicht nur einen Toten, das Landgericht Köln stufte das Vorgehen nachträglich auch als rechtswidrig ein – und mit Kosten von 50 Millionen Euro war es der teuerste Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens.

Allein die Planung der Räumung, schätzt der NRW-Chef der Polizeigewerkschaft, Michael Mertens, würde wohl an die zwei Monate dauern; der Einsatz wäre vielleicht ebenso lang, mit einer vermutlich wieder vierstelligen Zahl an Polizeikräften jeden Tag. „Je länger man wartet, desto mehr wird sich die Szene dort eingraben und verbarrikadieren. Irgendwann wird Lützerath zu einer Festung“, sagte Mertens der Rheinischen Post. Kein Verantwortlicher könne „ernsthaft wollen, dass die Polizei einen solchen Einsatz über Weihnachten und Neujahr fährt“. Das sei „wie bei Zahnschmerzen. Am besten, macht man es sofort.“

Und dann: Marsch, marsch, weg mit den störenden Windrädern!

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