Der Typus Elon Musk: Alles im Alleingang

Musk kauft Twitter, stellt der Ukraine Satelliteninternet zur Verfügung. Ein politischer Akteur, auf dessen Macht Gesellschaften nicht vorbereitet sind.

Elon Musk mit Handy in der Hand

Gefährlich: Multimilliardär Elon Musk macht, was er will Foto: reuters

Es war ein gutes halbes Jahr für alle, die sich in der harten Realität etwas Seifenopern-Würze wünschen: Erst will Multimilliardär (Geld! Reichtum!) Elon Musk Twitter übernehmen. Twitter lehnt ab. Dann will Twitter, aber Musk nicht mehr (erste Beziehungskrise). Zwischendurch gibt es noch ein paar Volten (Verdächtigungen, Betrugsvorwürfe, die Beziehung scheint vor dem Aus zu stehen), bei denen man getrost den Faden verlieren durfte. Und am Ende ging es dann ganz schnell (Blitzhochzeit in Vegas!): Twitter gehört jetzt Musk.

Ginge es bei dieser Tech-Übernahme doch nur um den Unterhaltungswert. Aber leider ist es ernst. Und damit notwendig, sich mit der Machtkonzentration von Musk zu beschäftigen – und damit, wie Gesellschaften eigentlich darauf vorbereitet sind.

Nun sind mächtige Menschen, meistens Männer, erst einmal nichts Neues. Auch nicht, wenn sie nicht als Politiker, sondern als Unternehmer auf die politische Bühne treten. Microsoft-Gründer Bill Gates etwa setzte mit seiner heutigen Ex-Frau Melinda mit der Bill & Melinda Gates Foundation schon in den 90er Jahren den Ton: Wir Unternehmer können globale politische Probleme, wie prekäre Gesundheitsversorgung, extreme Armut, mangelnden Zugang zu Bildung, besser angehen als die Politik. Nicht nur, dass sich die Unternehmer unabhängig von legitimierenden demokratischen Strukturen sehen, was die Handlungsgeschwindigkeit in der Regel erhöht. Sondern es schwingt noch etwas anderes mit: die Gewissheit der Disruption.

Die vermeintliche Rettung der Welt

Am Freitag hat Elon Musk den rund 44 Milliarden Dollar teuren Kauf von Twitter abgeschlossen. Er feuerte drei Mitglieder des bisherigen Führungs­teams. Außerdem kündigte er an, einen „Rat zur Moderierung von Inhalten“ zu installieren und Konten zu entsperren. Rechte Ak­ti­vis­t:in­nen loteten die neue Situation schon Stunden nach der Übernahme aus und brachten ­Verschwörungserzählungen in Umlauf. Unterdessen drohten zahlreiche Nut­ze­r:in­nen mit der Kündigung ihrer Konten.

Das Bewusstsein dafür, selbst schon mal etwas derart Gesellschaftsveränderndes erfunden oder entwickelt zu haben, Microsoft, Paypal, Amazon, dass in der Konsequenz irgendwie auch die (vermeintliche) Rettung der Welt durch eigenes Handeln erreichbar scheint. Oder zumindest die Beseitigung von Hungersnöten.

Laut Wall Street Journal traute WeWork-Mitgründer Adam Neumann das seinem Unternehmen tatsächlich zu. Eine Einschätzung allerdings, die aus der Zeit vor seinem zwischenzeitlichen wirtschaftlichen Absturz stammte. Etwas weniger schillernd, aber ebenfalls einflussreich: Peter Thiel. Paypal-Mitgründer, der heute mit sehr rechten politischen Thesen unterwegs ist, auch schon als Unterstützer von Donald Trump.

Dennoch ist Musk eine eigene Kategorie: Nicht nur, weil mit ihm ein Privatmensch eine derart große und finanzschwere Tech-Übernahme stemmt. Sondern auch, weil sich in seinem Handeln die Ebenen Digitalisierung, Reichtum und Privatisierung vermischen, mitunter verstärken und so zu einer Art Musk­isierung führen: einer absurden Anhäufung von Reichtum und daraus resultierender (Meinungs)Macht. Diese wird potenziert durch Elemente der Digitalisierung wie Twitter, die die Reichweite einzelner Ak­teu­r:in­nen überdimensional vergrößern.

Ohne Moderation geht nichts – eigentlich

Dass Gesellschaften nicht auf eine derartige Machtkonzentration vorbereitet sind, zeigt das Beispiel Twitter. So kann Musk quasi im Alleingang die Regeln der für die Meinungsbildung und mithin auch die Demokratie wichtigen Plattform verändern. Zwar gibt es auch im US-amerikanischen Recht ein paar Grundelemente, an die sich Online-Netzwerke halten müssen, etwa Regeln zum Urheberrecht. Doch sehr viel gäbe es zumindest in den USA Musks Freie-Rede-Paradigma nicht entgegenzusetzen. In dieser Denklogik sind Hassrede oder Mordaufrufe nur einige legitime Meinungsäußerungen von vielen.

Vor etwa zehn Jahren wäre eine solche Haltung nicht besonders außergewöhnlich gewesen. Doch mittlerweile hat sich sogar bei den Onlineplattformen die, wenn auch bislang keineswegs vollständige, Erkenntnis durchgesetzt, dass es ohne Moderation nicht geht. Und das ist nur logisch: Ihrer kapitalistischen Logik verhaftet, belohnen die Algorithmen drastische Inhalte. Was große Gefühle, wie Empörung, Wut, Hass, Abwehr, auslöst, findet viel schneller Reichweite als der ausgewogene, hintergründige Gedanke. Wie eine Regulierung dieses Dilemma lösen soll, ohne die Kapitalismus-Logik abzuschaffen – diese Frage bleibt bislang unbeantwortet.

Die EU hat es mit dem Digital Services Act, den sie in diesem Jahr beschlossen hat, versucht. Der sieht unter anderem Regeln für die Moderation vor, für das Melden von mutmaßlich illegalen Inhalten und für Beschwerdeverfahren. Offen ist, wie viel das bringt.

Eine App, die alles kann

Perspektivisch möchte Musk aus Twitter übrigens eine App machen, die alles kann. Das Vorbild: die chinesische App WeChat. Die ist längst nicht nur eine Messenger-App. Von Bezahlen über Social Media bis hin zu einer Art Meta-Funktion, die Apps innerhalb der App erlaubt, bietet sie so ziemlich alles. Umfassende Überwachung inklusive.

Doch schon jetzt gilt: Twitter ist einer der für die Meinungsbildung wichtigsten Inhalteanbieter. Gleichzeitig befindet sich in Musks Hand ein Infrastruktur-Anbieter, der sein Satelliten-Internet eines Tages auf der ganzen Welt genutzt sehen will: Starlink. Diese Art von vertikaler Verflechtung wird noch für Debatten sorgen. Etwa wenn es um die Netzneutralität geht – also darum, dass Netzbetreiber sämtliche durchgeleiteten Datenpakete gleich behandeln sollen. Und nicht der Starlink-Betreiber beispielsweise Twitter-Posts gegenüber Facebook-Nachrichten oder Mastodon-Inhalten bevorzugt.

Dazu kommt die geopolitische Komponente: Musk betätigt sich in Äußerungen, aber auch mit Starlink als mächtiger Akteur. Ulrich Walter, Professor für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München und früherer Astronaut, bezifferte gegenüber der Welt die Effizienzsteigerung der ukrainischen Infanterie durch die Kommunikation via Starlink auf rund 300 Prozent. Die Echtzeitkommunikation erlaube, dass Drohnen, die Standorte der russischen Armee melden, diese Information ohne Verzögerung über eine zentrale Stelle an die ukrainischen Einheiten weitersenden – die wiederum mit Angriffen reagieren können, ehe die russische Einheit ihren Standort verändert habe. „Wir haben da jetzt einen Echtzeitkrieg, der so nur mithilfe von Kommunikationssatelliten möglich ist“, so Walter.

Heute A, morgen B, übermorgen Y

Aber: Musk kann für den Einsatz von Starlink-Satelliten in einer Region eben nicht nur den Daumen heben, sondern ihn auch senken. Jenseits von demokratischen Entscheidungsstrukturen, parlamentarischer Kontrolle, Checks and Balances: alles Komponenten, die in demokratischen Kontexten eine gewisse Planbarkeit oder Vorhersagbarkeit gewährleisten. Verlangte Musk zwischenzeitlich von der US-Regierung finanzielle Unterstützung, um den Starlink-Einsatz in der Ukraine aufrechtzuerhalten, schreibt er kurz darauf: „Was soll’s … auch wenn Starlink immer noch Geld verliert und andere Unternehmen Milliarden an Steuergeldern erhalten, werden wir die ukrainische Regierung weiterhin kostenlos finanzieren.“ Heute A, morgen B, übermorgen Y: ein typischer Musk sozusagen.

Die bislang beste Erklärung für das von außen erratisch wirkende Handeln von Musk hat übrigens Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo geliefert. Lobo führte im Frühjahr, kurz nachdem Musk sich bereits teilweise bei Twitter eingekauft hatte, eine Äußerung von Musk aus dem Jahr 2018 an: Demnach versteht Musk die Welt, in der wir leben, als eine Simulation – ein Prinzip, das mit dem Film „Matrix“ Bekanntheit erlangt hat.

„Ich denke, dass es höchstwahrscheinlich – hier geht es nur um die Wahrscheinlichkeit – viele, viele Simulationen gibt“, erklärte Musk damals. Es wäre eine Art Spiel von jemandem oder etwas, das sich anschaut und vielleicht auch steuert, wie die unterschiedlichen Simulationen laufen. Die Idee ist keine Erfindung von Musk, sondern eine, die in der Schnittmenge von Technik und Philosophie durchaus ernsthaft diskutiert und inklusive Wahrscheinlichkeiten durchgerechnet wird. Lobos Schlussfolgerung: Musk versuche, die Simulation zu hacken, die Instanz dahinter quasi aus der Reserve zu locken. Nach diesen Maßstäben müsste man Musks Verhalten neu bewerten: Es wäre einfach logisch.

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