Schwedens neue konservative Regierung: Geführt von rechts außen

Schweden hat ein neues Regierungsbündnis. In diesem haben die rechtsextremen Schwedendemokraten das Sagen, obwohl sie nicht zur Regierung gehören.

Jimmie Akesson, Chef der Schwedendemokraten, am Wahlabend in Stockholm Foto: Stefan Jerrevang/TT/imago

STOCKHOLM taz | „Inga rasister på våra gator“ skandierte Fridays for Future am Freitagvormittag vor dem Reichstag in Stockholm: „Keine Rassisten auf unseren Straßen.“ Gleichzeitig wurden im Reichstag die entscheidenden Weichen dafür gestellt, dass mit den rechtsextremen Schwedendemokraten erstmals eine Partei mit Neonaziwurzeln und rassistischer Politik ausschlaggebenden Einfluss auf die künftige Regierungspolitik des Landes bekommen wird.

Ulf Kristersson, Vorsitzender der konservativen Moderaten, meldete um 11 Uhr Parlamentspräsident Andreas Norlén den erfolgreichen Abschluss der Regierungsverhandlungen. Am Montag will er sich im Parlament zum künftigen schwedischen Ministerpräsidenten wählen lassen. Als Chef einer Koalition seiner Partei mit den Christdemokraten und Liberalen und „in enger Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten“. Diese würden zwar formal nicht Teil der Regierung sein, aber deren parlamentarische Unterstützung beruhe auf einem Zusammenarbeitsabkommen, hinter dem alle vier Parteien gleichberechtigt stünden.

„Übereinkommen für Schweden“ heißt dieses 60-seitige detaillierte Abkommen, das die Vorsitzenden der vier Parteien eine Stunde zuvor auf einer gemeinsamen Pressekonferenz präsentiert hatten. Im Bereich Ausländer- und Kriminalpolitik hätte seine Partei nahezu alle Versprechen, die sie ihren WählerInnen gemacht habe, durchsetzen können, erklärte der Schwedendemokraten-Vorsitzende Jimmie Åkesson stolz.

Schwedens Aylrecht solle auf das absolute Minimumniveau gesenkt werden, das die EU zulasse. Während des Asylprozesses sollen Flüchtlinge sich durchweg in Lagern aufhalten, um sie bei einer Ablehnung ihres Asylantrags schneller abschieben zu können, die Rechtsmittel werden begrenzt. Statt unbefristeter wird es nur noch zeitbegrenzte Aufenthaltsgenehmigungen geben, die Voraussetzungen für den Familiennachzug und für Arbeitskrafteinwanderung werden verschärft, Sozialleistungen gekürzt.

Entwicklungshilfe wird zusammengekürzt

Die Zeit, in der Schweden aus humanitären Gründen die relativ meisten UN-Quotenflüchtlinge in Europa aufgenommen hat, werden ebenfalls vorbei sein. Wurden in diesem Jahr 6.400 aufgenommen, wird deren Zahl von 2023 ab auf jährlich 900 begrenzt. Erst am Donnerstag hatte die UNHCR an die EU-Länder appelliert, 40.000 anstatt der bislang versprochenen 23.000 aufzunehmen.

Auch in einem weiteren humanitären Bereich läutete Schwedens neue Regierung eine „Zeitenwende“ (Åkesson) ein: Seit 1968 galt ein Reichstagsbeschluss mit der Zielvorgabe, für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens bereitzustellen. Dieses Ziel wird nun ersatzlos gestrichen, das Budget kräftig zusammengekürzt.

In der Klimapolitik sollen mehrere CO2-Steuern gesenkt werden, beispielsweise die auf Treibstoffe. „Wir wollen die Klimaumstellung schaffen, ohne dass das Budget von Familien und Unternehmen Schaden nimmt“, erklärte Kristersson, der auch ein „Preisdach“ für Strom und den Bau neuer Atomreaktoren ankündigte: Der Ausbau der Windkraft solle nicht mehr im Zentrum stehen.

Zeigten die Vorsitzenden der vier Parteien am Freitag demonstrative Einigkeit, hatten sich die Regierungsverhandlungen offenbar als schwieriger erwiesen als zunächst erwartet. Zweimal hatte Kristersson bei Parlamentspräsident Norlén eine Verlängerung für die Sondierungsphase beantragen müssen, zuletzt am Mittwoch. Knackpunkt war offensichtlich bis zuletzt die Frage, ob die Liberalen Teil der Koalition sein sollten oder nicht. Diese selbst und Kristersson wollten das, die Schwedendemokraten versuchten es zu verhindern.

Die Liberalen sind einfach eingeknickt

Die Liberalen hatten vor vier Jahren mit der damaligen rot-grünen Minderheitskoalition ein Regierungsübereinkommen getroffen. Hatten vor eineinhalb Jahren angesichts stark gesunkener Umfragewerte und der Gefahr, an der 4-Prozent-Parlamentssperrklausel zu scheitern, dann aber die Seiten gewechselt und angekündigt, sie würden nach der Wahl eine konservativ geführte Regierung unterstützen: Eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten lehnten sie aber ab.

Nicht nur diese Bedingung gab die rechtsliberale Partei nun auf. Bis zuletzt hatte sie versucht, sich gegen die von Konservativen, Christdemokraten und Schwedendemokraten geplanten umfassenden Verschärfungen im Ausländer- und Kriminalrecht zu stemmen, bevor sie nun doch einknickte.

So einer Partei sei „nicht zu trauen“, äußerte der Schwedendemokraten-Vorsitzende Jimmie Åkesson mehrmals. Dem Vernehmen nach ließ er sich die Aufgabe der Blockade zu einer Koalitionsbeteiligung der Liberalen mit weiteren Zugeständnissen bezahlen. So soll es in der Regierungskanzlei ein mit Personal der Schwedendemokraten besetztes Koordinierungszentrum geben, damit die Partei von Anfang an über alle Vorhaben und Beschlüsse der Regierung informiert wird und diese kontrollieren kann.

Zwar hat Schweden eine Tradition mit Minderheitsregierungen, die sich mit Zusammenarbeitsabkommen die parlamentarische Unterstützung durch außerhalb der Regierung verbleibende Parteien sichern. Eine umfassende personelle Einbindung in die Regierungsarbeit wie die nun skizzierte, die laut Åkesson und Kristersson noch konkretisiert werden muss, wäre aber ein Novum. Was Kristersson mit der Bemerkung bekräftigte: „Wir sind nicht drei, wir sind vier Parteien.“ Damit stünden die Schwedendemokraten nur auf dem Papier außerhalb der Regierung, wären faktisch aber ein Teil von dieser, lauteten am Freitag die ersten Einschätzungen in den Medien. Die Schwedendemokraten seien „die großen Gewinner“, kommentierte Dagens Nyheter.

Das Personal der Schwedendemokraten hat es in sich

Aber es ist eben auch eine Koalition der Wahlverlierer. Alle drei Parteien hatten bei der Wahl am 11. September Verluste hinnehmen müssen. Zusammen kommen sie nur auf 103 der 349 Reichstagsmandate. Es ist die schmalste parlamentarische Grundlage aller schwedischen Regierungen seit über vier Jahrzehnten. Nur mit Hilfe der 73 Schwedendemokraten-Mandate kann die Kristersson-Koalition mit einer dünnen Mehrheit von zwei Stimmen rechnen.

Wer in einer solchen Konstellation die Zügel in der Hand halten wird – darüber machte sich nicht einmal die konservative Tageszeitung Svenska Dagbladet Illusionen: „Man kann sagen, dass Ulf Kristersson Ministerpräsident in Jimmie Åkessons Regierung wird“, hieß es in einem Kommentar. Sollte die Koalition einmal auf die Idee kommen, nicht nach der Pfeife der Schwedendemokraten tanzen zu wollen, müssten diese nur damit drohen, gemeinsam mit den Sozialdemokraten zu stimmen, schreibt die Gewerkschaftszeitung Arbetet: Zusammen hätten beide nämlich eine absolute Mehrheit von 180 Mandaten.

Waren sich vor vier Jahren noch alle Parteien einig gewesen, den Schwedendemokraten keinen einzigen Ausschussvorsitz im Reichstag zu überlassen, war Teil des Regierungsübereinkommens jetzt, dass die Rechtsaußen-Partei den Vorsitz in vier der einflussreichsten Parlamentsauschüsse erhielt: denen für Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Justiz- und Außenpolitik. Womit die Wahlkampfversprechen der Konservativen und Christdemokraten, „natürlich“ würden die Schwedendemokraten wegen ihrer EU-kritischen und russlandfreundlichen Haltung keinerlei Einfluss auf die Außenpolitik bekommen, gleich wieder kippten.

Auch das Personal für die nun von den Schwedendemokraten besetzten Ämter hat es in sich. Tobias Andersson, Vorsitzender des wirtschaftspolitischen Ausschusses, pflegt seit Jahren engste Kontakte zu der „MAGA“-Bewegung der US-Republikaner. Was er von Donald Trumps Trollfabriken lernte, konnte er in Schweden bei „Battlefield“, einer im Sommer aufgedeckten Trollarmee der Schwedendemokraten, beweisen, die seit 2017 „mit von der Partei finanzierten Netz-Hassern verdeckte Propaganda über anonyme Facebookseiten“ in die sozialen Netzwerke pumpte „und auf Åkessons Anweisung Hass gegen Behörden schüren sollte“, berichtet die Tageszeitung ETC.

Dem Justizausschuss sitzt mit Richard Jomshof der bisherige Parteisekretär der Schwedendemokraten vor, der Schwedens Diskriminierungsgesetz abschaffen will, aus seinem Islamhass nie ein Hehl machte, und für den Ungarns staatliche Medienkontrolle ein Vorbild ist.

Parlamentsvizepräsidentin wird Julia Kronlid, die das geltende Abtreibungsrecht ebenso wie die Evolutionstheorie in Frage stellte und dafür plädierte, dass an Schulen neben Darwins Theorie auch der Kreationismus – die biblische Schöpfungsgeschichte als Tatsachenbericht – gelehrt wird. „Schweden macht sich international zur Lachnummer“, kommentierte die Tageszeitung Aftonbladet ihre Wahl.

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