Wettbewerb für Bürgerwissenschaften: „Citizen Science in deiner Stadt“

Drei Projekte wurden beim Citizen-Science-Wettbewerb ausgezeichnet. Bei zwei Projekte ging die Initiative von der Wissenschaft aus.

Jugendliche beim Fußballspielen

In Mannheim helfen Jugendliche als „Sprach-Checker“ dabei, die Sprachenvielfalt zu erfassen Foto: Theodor Barth/laif

BERLIN taz | Das Mundwerk der Menschen, ihr Wohnen und ihr Zusammenleben waren am Ende dann doch interessanter als die Natur um sie herum. Beim ersten Citizen-Science-Wettbewerb in Deutschland, dessen drei Sieger in der vorigen Woche im Berliner Museum für Naturkunde gekürt wurden, fiel die Entscheidung eindeutig aus. Mit jeweils 50.000 Euro Preisgeld können die Bürgerforschungsprojekte aus Hamburg, Mannheim und Dresden ihren Ansatz zur Verknüpfung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft realisieren.

Die Sprachvielfalt im Kiez checken, soziale Geschichten vom Stadtrand aufschreiben sowie Baukultur und klimagerechte Architektur erfassen – dies sind die drei Gewinnerthemen aus insgesamt knapp 50 Einreichungen beim Wettbewerb „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt“. Organisiert wurde der Wettbewerb von „Wissenschaft im Dialog“, der Kommunikationsinitiative der deutschen Wissenschaft und vom Museum für Naturkunde Berlin in enger Zusammenarbeit mit der Onlineplattform „Bürger schaffen Wissen“, auf der inzwischen knapp 200 Bürgerforschungsprojekte mit über 100.000 Freiwilligen aus Deutschland eingetragen sind.

Zwei der drei Siegerprojekte wurden von der Wissenschaft in Gang gebracht. Anders dagegen war die Genese des Hamburger Projekts „Stadtrandgeschichten – Migration und gesellschaftliche Vielfalt erforschen“, bei dem die Laienhistoriker der vorhandenen Geschichtswerkstatt im Stadtteil Süder­elbe die treibende Kraft waren. „Stadtrandgeschichten“ will mit Methoden der Geschichtswissenschaft und des Theaters erforschen und darstellen, wie „in der durch Migration geprägten Hamburger Region Süderelbe persönliche Geschichten als Teil der Lokalgeschichte zum gemeinsamen Identifikationsanker werden können“, so die Projektbeschreibung.

Beim Mannheimer Projekt „Die Sprach-Checker – So sprechen wir in der Neckarstadt“ wiederum war die etablierte Wissenschaft der Anstoßgeber. Konkret das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, das sich seit vielen Jahren um die Kartierung der Sprache und ihrer Dialekte in Deutschland kümmert. Hier kam die Idee auf, in einem besonderen Stadtquartier mit hohem Ausländeranteil die Kinder und Jugendlichen als „Sprach-Checker“ einzusetzen, die aufnehmen, welche Muttersprachen in ihrem Viertel über die Lippen kommen. Sozialpsychologischer Nebeneffekt: In dem Problemkiez könnte mit seiner lingualen Vielfalt auch ein spezieller Reichtum sichtbar gemacht werden, über den die homogeneren Viertel Mannheims nicht verfügen. Die jungen Bürgerforscher, so die Erwartung des Projekts, „erfahren so mehr über die mehrsprachige Wirklichkeit in der Stadtgesellschaft“.

Das Wissen der Stadt

Von hohem Nutzen für die kommunale Baupolitik und -administration ist das Projekt mit dem Konzepttitel „Baukultur und klimagerechte Architektur in Dresden – Gebäudewissen kartieren, erforschen und vermitteln“. Konkret geht es darum, das Wissen der Dresdner Bürger über die vielfältigen Gebäude ihrer Stadt in einer digitalen Karte zusammenzuführen und auf diese Weise sichtbar zu machen.

„Je mehr Informationen auf der Onlineplattform mit dem Namen ‚Colouring Dresden‘ zusammenkommen, umso bunter wird der interaktive Stadtplan von Dresden“, erläuterte die Projektgruppe. Die gesammelten Informationen können Wissenslücken über die stark kriegszerstörte Stadt schließen. Gefragt wird etwa: Wie alt sind Gebäude, welche Materialien sind verbaut, wie werden die Bauten genutzt und sind sie bereits energetisch saniert? Der entstehende Datenschatz soll helfen, die Baukultur in Dresden zu erhalten und den Gebäudebestand ressourcen- und klimaschonend weiterzuentwickeln, zum Beispiel durch mehr hitzeangepasstes Bauen und Sanieren in der Zukunft.

Die Beispiele zeigen, dass sich die Bürgerforschung – die historisch ihre Wurzeln in der Naturbeobachtung hat – immer stärker auf sozialwissenschaftliche Themen zubewegt. Dies war auch auf der vierten Konferenz der European Association für Citizen Science (ECSA) festzustellen, die Anfang Oktober mit rund 400 Teilnehmern in Berlin stattfand.

Unter dem Rahmenthema „Bürgerforschung für einen gesunden Planeten“ wurden nicht nur Projekte aus den Bereichen Ökologie und Medizin vorgestellt, sondern ebenso Partizipationsformate, die mit dem Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft auch praktische Verbesserungen auf der kommunalen Ebene anstreben.

Der Direktor des Museums für Naturkunde in Berlin, Johannes Vogel, zeigte sich als Gastgeber der Tagung beeindruckt von der Bandbreite der vorgestellten Projekte. Der Schutz der Natur sei eng mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit verbunden. Wichtig sei, unter Beteiligung der breiten Bevölkerung Ansätze zur Prävention von Krankheiten und Pandemien zu fördern. Die sozialmedizinische Fachrichtung des „Public Health“ müsse mehr Impulse von Bottom-up-Initiativen aus der Bürgerschaft und von Patientengruppen bekommen. „Und wir müssen diese Kooperation auch in den politischen Raum tragen“, forderte Vogel, der selbst zu den Gründungsmitgliedern der ECSA gehört, die heute rund 4.000 Mitglieder zählt.

Klimaneutrale Städte

Ein Aktionsfeld ist der lokale Klimaschutz. Das Citizen-Science-Projekt „Terrifica“, das von der EU-Kommission gefördert und vom Wissenschaftsladen Bonn koordiniert wird, will neben der langfristigen Ausrichtung auf klimaneutrale Städte im Jahr 2050 auch aktuelle Schritte zur Anpassung an den Klimawandel anstoßen.

In den beteiligten Städten, darunter Barcelona, Oldenburg, Poznań und Belgrad, werden die Bürger angeleitet, in digitalen Openstreetmap-Karten solche Orte einzutragen, die aus ihrer Sicht eine ökologische Verbesserung benötigen, etwa durch neue Wasserflächen im Stadtgebiet oder Lebensmittelproduktion auf öffentlichem Gelände („Essbare Stadt“). Die Vorschläge werden von Forschern auf ihre Wirksamkeit geprüft und den kommunalen Entscheidungsträgern übermittelt.

Mit dem Phänomen der sogenannten Hitzeinseln in dicht bebauten Gebieten, das aufgrund des Klimawandels immer häufiger und intensiver auftritt, beschäftigt sich das Citizen-Science-Projekt „3-2-1-heiss!“, das im schweizerischen Kanton Aargau vom dortigen Departement Bau, Verkehr und Umwelt in Gang gesetzt wurde.

Wo es im Kanton Aargau besonders heiß wird, wird auf Klimakarten im Internet dargestellt. Erhoben wurden die Daten von Bürgern, die mit einer „Sense­Box“, einem Temperatursensor, ausgerüstet wurden. Sie konnten so beim Hundespaziergang, dem Arbeits- oder Schulweg die Temperaturen in fünf Gemeinden messen.

Die jüngste Messkampagene fand an den heißesten Tagen des Jahres zwischen dem 13. und 31. August statt. Im Anschluss an die Messaktion wurden die Ergebnisse zwischen Bürgerforschern und Kommunalpolitikern diskutiert, um gemeinsam Ideen für die Schaffung von angenehm kühlen öffentlichen Aufenthaltsorten zu entwickeln.

Interessant ist an dem Projekt, dass hierbei nicht die Wissenschaft, sondern die Fachpolitik den Kontakt mit den Bürgern gesucht hat, um zu klimagerechten Lösungen zu gelangen.

Auf der Berliner Konferenz gab auch das großangelegte Forschungsprojekt „CS Track“ (https://cstrack.eu) Einblicke in erste Zwischenergebnisse. Das Projekt verfolgt das Ziel, die europäische Citizen-Science-Landschaft zu kartieren und die Arbeitsweisen und Wirkungen von Citizen-Science-Projekten zu untersuchen. Dafür wurden bisher Interviews und Onlinebefragungen mit über 1.000 Bürgerforschern durchgeführt, der Diskurs in sozialen Medien analysiert und eine Datenbank mit über 4.700 Citizen-Science-Projekten aus 22 Ländern angelegt.

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