Frontex auf der Balkanroute: Eskalation und Achselzucken

Laut EU-Kommission soll die Grenzschutztruppe Frontex auf der Balkanroute ausgebaut werden – ein Plan, der sich jeder konstruktiven Lösung verweigert.

gelbe Europasterne als Stacheldraht geformt

Graffiti in Stuttgart Foto: Arnulf Hettrich/imago

Immer wieder kommen über Privatnetzwerke erschreckende Nachrichten von der Balkanroute: Zwei marokkanischen Jugendlichen gelang kürzlich die Flucht nach Italien. Einen Monat lang seien sie zu Fuß unterwegs gewesen, vorbei an Leichen. Nun schicken sie triumphierende Fotos aus Italien, unfrei, arbeitslos, aber immerhin der Hölle entkommen. Ein Zurückgebliebener stellt sich die Frage, mit der er seit Jahren hadert: Ist mein Leben wertlos genug, zu sterben? Er ist noch nicht volljährig, als er sich das fragt.

Öffentlich sichtbar sind vor allem Nachrichten wie die aktuelle: Die sogenannte Grenzschutzagentur Frontex soll laut EU-Kommission auf der Balkanroute ausgebaut werden. Die EU-Staaten sollen darüber entscheiden. Die Kommission verabschiedete bereits Finanzhilfen von 39,2 Millionen Euro für Überwachungssysteme in der Region. Grund sei, dass dort rund dreimal so viele Menschen unterwegs seien wie im Vorjahr. Serbien hat bereits Abkommen zur Visafreiheit etwa mit Tunesien aufgekündigt.

Es ist ein reflexhaftes Reaktionsschema: Die Ukrainekrise und die fortschreitende Klimakatastrophe sorgen für mehr Fluchtbewegungen, diese wiederum für mehr Abschottung. Es ist eine Politik, die sich von kollektivem Achselzucken nährt und sich einer kon­struktiven Lösung verweigert.

Wohlstand, erkauft nach fortbestehenden kolonialen Prinzipien: im Kernland schlemmen, an der Peripherie prügeln. Das immer offener gewaltsame Zurücktreiben von Geflüchteten, verfälschte Einsatzprotokolle, die vielen Tausend Fälle schwerer oder tödlicher Gewalt an den Grenzen – unwahrscheinlich, dass je jemand zur Verantwortung gezogen wird. Die noch unbequemere Frage: Gäbe es überhaupt noch ein Unrecht, zu dem eine Mehrheit Nein sagen würde?

Wo eine Gesellschaft schon gar nichts von ihrer Gewalt versteht, müsste sie zumindest ihre Denkfehler verstehen. Zehntausende Talente, die sterben, arbeitslos in der Heimat sitzen oder in Lakaienjobs verschlissen werden – das muss sie sein, die berühmte Effizienz des Kapitalismus.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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