Die Wahrheit: Im Hexenring der Pilzprozesse

Im Feld, im Wald, auf der Flur und überall: Pilzberater schießen wie Fruchtkörper aus dem Boden.

Das Bild zeigt Lamellenpilze auf dem Waldboden

Auch für sinistre Lamellenträger muss vor dem Pilzgericht die Unschuldvermutung gelten Foto: Daniel Vogl/dpa

Endlich Gerechtigkeit, endlich Waffengleichheit zwischen Mensch und Pilz: Der Europäische Pilzgerichtshof verfügte jüngst, dass jedem Pilz auf einer Pilzberatungsstelle ein eigener Pilzberater zur Seite gestellt werden muss!

Diese mykologischen Anwälte sollen die Position der Pilze stärken, die vorher allein gelassen dem Urteil der Pilzberatungsstellen ausgeliefert waren. So ein Pilzberater wird darauf dringen, dass auch vor einem Pilzgericht die Unschuldsvermutung des Angeklagten zu gelten hat.

Zur Verteidigung ihrer Mandanten soll den Pilzberatern jedes juristische Mittel recht sein. Der erste Rat an den Mandanten wird sein, zu schweigen und alles dem Berater zu überlassen. Das wird vermutlich von der verängstigten Pilzklientel weitgehend befolgt werden.

Als Nächstes wird der engagierte Pilzberater zu beweisen versuchen, dass die Vorgerichtbringung des Pilzes völlig rechtswidrig war und rückgängig gemacht werden muss, da die achtlosen Pilzsammler ihr Sammelgut nicht über seine Rechte informiert hatten. Entspricht das der Wahrheit, müssen die Pilzsammler zähneknirschend in den Wald zurück und die abgesäbelten Pilze wieder eingraben. Dann wird ein saftiges Schmerzensgeld in einem Zivilgerichtsverfahren eingeklagt.

Gekaufte Zeugen

Wenn der Pilzsammler aber beweisen kann, dass er das Sammelgut im Pilzkörbchen über seine Rechte aufgeklärt hat, lehnt der routinierte Pilzberater den Gutachter des Pilzgerichts als befangen ab. Dieser habe nämlich schon immer etwas gegen Giftpilze gehabt. Zeugen für diese Behauptung sind leicht gegen den Preis von ein bis zwei Pilzkörbchen aufzutreiben.

Sollte auch dieses Manöver nicht verfangen, folgt die Phase der Verunsicherung der Gegen-seite: Der Herr Pilzrichter möge doch erstmal beweisen, dass der harmlose Pilz im Anklagekörbchen vor ihm giftig ist, er könne ja gern eine kleine Kostprobe nehmen. Verweigert das dieser, folgen Befangenheitsantrag II und die nächste Finte.

Schließlich ist ein der Giftigkeit bloß beschuldigter Pilz noch immer völlig unbescholten. Für ein unbefangenes Pilzgericht hat jeder Pilz zunächst als essbar zu gelten! Und niemand darf wegen seines Namens vorverurteilt werden, heißt er auch Satanspilz, Speiteufel oder Giftreizker, es kommt schließlich immer auf den Einzelfall an. Die Anschuldigungung, dass die Pilzberatungsstelle Racial Profiling betreibt, sollte die nächste Eskalationsstufe des engagierten Myzel-Anwalts sein. Nur weil ein Grünblättriger Schwefelkopf oder Knollenblätterpilz giftgrün ist, soll er aus dem Verzehr genommen werden? Unschuldsvermutung, euer Ehren!

Marodierender Mob

Fruchtet auch diese Argumentation nicht, sollte die konfrontative Phase folgen. Giftig ist schließlich nicht gleich giftig. Der Faltentintling zum Beispiel ist nur normal giftig und wird erst stark giftig, wenn bei seinem Verzehr gleichzeitig Alkohol genossen wird. In so einem Fall müssen wir das vorzeitige Ableben des Konsumenten als Eigenverschulden bezeichnen. Außerdem heißt auch sehr giftig nicht immer gleich tödlich giftig, da müssen wir doch die Kirche mal im Dorf lassen.

Tödlich giftig sind beispielsweise der Fleischbräunliche Schirmling und der Frühlingsknollenblätterpilz. Die Frühjahrslorchel gilt auch als tödlich, doch ihr Gift tötet keineswegs zuverlässig. Woran das liegt, ist in Jäger- und Sammlerkreisen jedoch umstritten. Sollte der Pilzpflücker hieran eine Mitschuld tragen? Schlampige Zubereitung, Transportschäden und unfachgemäßes Absäbeln des Fungus könnten ursächlich sein, wer weiß das schon. Ist den Pilzsammlern überhaupt zu trauen, diesem marodierenden Mob des Waldes, der für so manche Brandstiftung im Sommer verantwortlich sein wird, euer Ehren?

Ist der Pilz inzwischen langsam rot angelaufen, dringt der routinierte Pilzberater auf Ver-handlungsunfähigkeit seines Mandanten, zumindest aber auf Prozessunterbrechung oder Verschiebung der Urteilsverkündung.

Schmarotzer mit faulender Kappe

Und dann gibt es noch die Pilzkollegen, die unter flagranter Namensdiskriminierung leiden. Die sollte man ohne großes Bohei zum ungeprüften Verzehr zulassen. Mit wahren Schimpfnamen belegten Pilzen wie dem Schöngelben Klumpfuß kann man doch seine tödlich giftige Wirkung schon aus Mitgefühl nicht verargen.

Vergessen wir nicht, Pilze sind von Haus aus Schmarotzer und Fäulnisbewohner. Ihr Fleisch ist blaß und schwammig, beliebter macht sie dieser äußere Eindruck nicht gerade. Die Nebelkappe ist ein gutes Beispiel dafür, dass Pilzen gerade in Pilzberatungsstellen oft Unrecht geschieht. Besagte Nebelkappe kann auf manchen Magen giftig wirken, andere Pilzfreunde essen sie aber ohne Folgen. Also muss für jede dieser armen Pilzkappen die Pilzunschuldungsvermutung gelten!

Wir sehen, Pilzberater ist ein verantwortungsvoller Beruf, der sich durch die Schuld der unseligen Pilzfreunde noch verkompliziert. So wirkt der champignonartige Grünling erst bei Mehrfachverzehr tödlich. Hätte sich der gierige Sammler auf ein einziges Grünlingsmahl beschränkt, wäre er also weiter gesund und munter geblieben.

Gut, wenn so ein unschuldiger Grünling von seinem Pilzberater herausgehauen wird. Da kann sich der erfolgreiche Berater am Abend eine wohlverdiente selbstbelegte Pizza funghi gönnen!

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kari

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