AfD bei der Niedersachsenwahl: Es rechtsruckt wieder

Die AfD gewinnt in der Krise: Erstmals seit 2018 ist sie bei einer Landtagswahl im Westen zweistellig – dank zögernder Ampel und fehlender Linken.

AfD-Kandidat in Niedersachsen reckt die Fäuste hoch

Freude in Niedersachsen: der niedersächsische AfD-Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes

10,9 Prozent hat die AfD bei der Landtagswahl in Niedersachsen im vorläufigen Endergebnis erreicht. Das ist ein Zuwachs von 4,7 Prozentpunkten. Zuletzt im Jahr 2018 holte die sich seit Gründung stetig radikalisierende Partei ein derart starkes Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland. Vor ein paar Monaten ging in der Partei noch die Angst um, dass man in Niedersachsen wie zuletzt in Schleswig-Holstein aus dem Landtag fliegen könnte – beide Landesverbände sind extrem zerstritten. Auch in Niedersachsen hat die AfD ihren Fraktionsstatus wegen Streitigkeiten verloren.

Beim Wahlergebnis der AfD zeigt sich deswegen besonders deutlich, dass nicht etwa der Wahlkampf der AfD Niedersachsen, geschweige denn deren politische Arbeit oder Streitigkeiten sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben. Einzig die Energiekrise ist für das hohe Abschneiden der AfD verantwortlich.

Für die extrem rechte Partei bedeutet Niedersachsen eine Trendwende und die Festigung ihrer zuletzt deutlich gestiegenen Umfragewerte: Die Entwicklung der AfD zu einer radikalisierten Ost-Partei ist damit vorerst gestoppt. In der Krise wählen sie auch viele Menschen im Westen – trotz fehlender Lösungen für die Energiekrise und trotz mangelnder wirtschafts- und sozialpolitischer Rezepte zur Inflationsbekämpfung.

Für die AfD reicht es, Abstiegsängste zu befeuern, Horrorszenarien an die Wand zu malen und die schwächsten Gruppen der Gesellschaft mit rassistischen Ressentiments gegeneinander auszuspielen. Getreu dem Motto: Je schlechter es der Bevölkerung geht, desto besser für die AfD. Zuletzt war die rechte Version der Verelendungstheorie dem AfD-Politiker Harald Weyel vor offenem Mikro herausgerutscht. Er war nicht der erste AfD-Politiker, der sagte, dass es Deutschland schlecht gehen müsse, damit die Partei profitieren könne.

Angst-Kampagne zieht Protestierende und Wäh­le­r*in­nen

Auch AfD-Chef Tino Chrupalla machte am Wahlabend direkt dort weiter: Er sprach vom drohenden dritten Weltkrieg, Habecks Wirtschaftskrieg und der angeblich von der europäischen Zentralbank gemachten Inflation – als gern gesehener Gast in Moskau blendete der AfD-Chef dabei natürlich den Hauptverantwortlichen für die Krise aus: Wladimir Putins Russland. Die Angstkampagne zum „heißen Herbst“ mobilisierte am Samstag 10.000 in weiten Teilen offen rechtsextrem auftretende Anhänger nach Berlin und nun knapp 400.000 Niedersachsen an die Wahlurne.

Die AfD kann damit vor allem von einer zögerlichen und durch die FDP blockierten Ampel profitieren, die in einer im Portemonnaie spürbaren Krise zu lange mit Gasumlage und halbgaren Entlastungspaketen herumeierte. Hinzu kommt, dass eine linke Opposition, ob nun in den Parlamenten oder auf der Straße, derzeit ausfällt. Die Trendwende der AfD ist ein Alarmsignal an demokratische Politiker*innen, vernünftige soziale Politik zu machen – und an die außerparlamentarische Linke, endlich in Bewegung zu kommen und progressive linke Forderungen auf die Straße zu bringen.

Ein positiver Fakt: Laut der Wahlanalyse von Infratest Dimap sind nur 38 Prozent der AfD-Wähler von der Partei überzeugt. 53 Prozent hätten aus Enttäuschung über andere Parteien die Rechten gewählt. Hier zeigt sich erneut: Die AfD schwimmt oben in der Krise. Dafür spricht auch, dass Wäh­le­r*in­nen in Niedersachsen Energie und Inflation laut der Forschungsgruppe Wahlen als wichtigste Probleme wahrgenommen haben. Finden demgegenüber De­mo­kra­t*in­nen in gebotener Zeit Antworten auf soziale Verwerfungen und gesellschaftliche Herausforderungen, kann die AfD klein gehalten werden – wenn man sie zudem weiter konsequent ausgrenzt.

Merz' rechte Sprüche helfen der AfD

Was der Wahlabend noch gezeigt hat: Zulauf bekommt die AfD auch, wenn man ihr nach dem Mund redet. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz etwa vom „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge spricht, ist das nicht nur widerwärtig, sondern auch brandgefährlich: Es normalisiert rechtsextreme Diskurse, reißt rhetorisch die sogenannte Brandmauer ein, die in solchen Momenten nicht sonderlich dick wirkt. Merz müsste eigentlich wissen, dass solche Stunts dazu führen, dass Wäh­le­r*in­nen lieber das Original, hier: die AfD, wählen – gleichzeitig verschreckt die Union mit menschenfeindlicher Sprache den anständigen Teil ihrer Wählerschaft. In Zahlen: Die CDU erzielte das schlechteste Ergebnis seit den 50ern. Viele ihrer Wähler*innen, 40.000, verlor die CDU an die AfD.

Ein weiterer Grund zur Hoffnung ist die Stichwahl zum Oberbürgermeister in Cottbus: Dort verlor der AfD-Kandidat Lars Schieske, der teilweise mit reinen NPD-Parolen Wahlkampf machte, deutlich in der Stichwahl gegen den SPD-Kandidaten Tobias Schick: Schick bekam 68,6 Prozent der Stimmen, während der AfD-Kandidat selbst in einer rechten Hochburg wie Cottbus mit 31,4 Prozent noch weit weg davon ist, mehrheitsfähig zu sein.

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Inland und taz Berlin. Themenschwerpunkte: soziale Bewegungen, AfD, extreme Rechte

Wer hat wie wo gewählt in Niedersachsen? Die Wahlergebnisse im Land und in den Wahlkreisen und die Wählerwanderung in Grafiken finden Sie hier.

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