Das Phänomen der Montagsdemos: Die Rechte und die bürgerliche Mitte

Wer sind die Leute, die auf die neuen Montagsdemos gehen? Woher kommen sie, was treibt sie um? Beobachtungen aus Brandenburg an der Havel.

Ein Lautsprecherwagen mit vielen Megafonen auf dem Dach: Bei einer Demonstration der AfD Ende September in Erfurt aufgenommen

Detail auf einer Demonstration der AfD, hier in Erfurt, Ende September 2022 Foto: KH/imago

BRANDENBURG AN DER HAVEL taz | Unter Trommelgerassel und Trillergepfeife setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Brandenburg-Flaggen und solche mit Friedenstauben wehen im Wind, auf einem Banner, das vorneweg getragen wird, steht „Frieden, Freiheit, Souveränität“. Seifenblasen fliegen durch die Luft. Die etwa 150 Menschen, die am Montagabend durch Brandenburg an der Havel ziehen, sind ein eingespieltes Team. Viele hier sind dabei, seit die Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen während der Pandemie begonnen haben, allmontaglich durch die Stadt zu ziehen. Man kennt sich, begrüßt sich mit Handschlag, nutzt den Spaziergang, um sich über das Neueste auszutauschen.

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Die Montagsdemos des verschwörungsideologischen und rechten Spektrums sind in Brandenburg und ganz Ostdeutschland zurück. War im Sommer das Protestgeschehen nahezu vollständig eingeschlafen, gingen an den vergangenen beiden Montagen brandenburgweit mehr als 10.000 Menschen in etwa 40 Orten auf die Straße. „Die politische Rechte scharrt in Brandenburg derzeit mit den Füßen“, sagt Christoph Schulze vom Moses Mendelssohn Zentrum der Uni Potsdam, der die rechte Szene seit Jahren beobachtet. Er rechne mit dem „massiven Versuch“ des Spektrums, in den nächsten Monaten „flächendeckende Proteste“ auf die Beine zu stellen.

Um Coronamaßnahmen geht es inhaltlich dabei kaum noch. Das neue große Thema sind die hohen Energiepreise – und die Sanktionen gegen Russland. Denn diese seien schuld an Inflation und Krise, nicht etwa der russische Angriffskrieg oder die Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen kriegstreibender Diktatoren, da sind sich am Montag auch in der Stadt Brandenburg alle einig. „Wir kriegen ja Gas, wenn wir den Boykott auflösen“, sagt ein Mann auf der Auftaktkundgebung. Immer wieder ruft jemand auf der Demo in ein Megaphon: „Sanktionen beenden! Keine Waffenlieferungen! Nord Stream 2 öffnen!“ Die Menge antwortet darauf mit: „Auf die Straße!“.

Aufbauen kann die neue rechte Protestwelle auf der guten Vernetzung der Coronaproteste und deren Mobilisierungspotenzial. Das Netz der Telegramkanäle der „Freien Brandenburger“, der örtlichen Kopie der rechtsextremen „Freien Sachsen“, spannt sich über alle Landkreise. Bis in Kleinstädte wie etwa Seelow (5.500 Einwohnende) reicht das Protestangebot. Die Akteure seien „die gleichen wie vorher“, sagt Schulze. Neben den Freien Brandenburgern spiele die AfD eine große Rolle. Das Spektrum der Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen reiche bis zu Neonazis und Reichsbürgern.

Wie schon bei den Coronaprotesten

Wichtig ist ihm aber zu betonen, dass es sich „auf der Ebene der Teil­neh­me­r:in­nen“ wie schon bei den Coronaprotesten um eine „heterogene Bewegung“ handelt. Selbst Menschen, die 2015 noch ehrenamtlich Geflüchtete unterstützt hätten, seien dabei. Das verschwörungsideologische Milieu rekrutiere sich aus dem gesamten politischen Spektrum. Liberale ziehe es ebenso dorthin wie Menschen aus dem „linksnationalen“ Lager um die Aufstehen-Bewegung von Sahra Wagenknecht.

Auch in Brandenburg an der Havel mutet der Großteil der Demonstrierenden bürgerlich an. Es sind Menschen um die 50, Ehepaare, Freunde aus der Nachbarschaft. „Wir sind seit Anfang an dabei“, sagt eine von zwei Frauen, die sich als ungeimpfte Pflegerinnen vorstellen. Am Anfang sei es ihnen um die Impfpflicht gegangen, inzwischen seien sie aber „wegen allem“ hier. „Wir wollen, dass es wieder so wird wie vor zweieinhalb Jahren“, sagt die eine, die eine Fahne mit einer Friedenstaube trägt. Von Rechten, die auf der Demo sind, wollen beide nichts wissen.

Dabei stand der Reporter keine fünf Minuten am Rand der Demonstration, da steckte ihm eine junge Frau bereits einen Flyer der Jungen Alternative zu, dem als zum Teil rechtsextrem geltenden Jugendverband der AfD. „Falls du mal mehr machen willst, als auf Demos zu gehen“, sagt sie. In einem Infostand wird vor dem „Great Reset“ gewarnt, eine rechte Verschwörungstheorie, laut der globale Finanzeliten die Pandemie erfunden hätten, um die Macht an sich zu reißen. Außerdem dort zu finden: Artikel über Impfungen, Flüchtlingsströme, Chemtrails, Blackouts, Kinderpornographie. Für alle Ängste ist etwas dabei.

Schulze sagt, die Szene sei dabei, neue Inhalte auszutesten. Erzählt werde „mit anderen Vokabeln die gleiche Geschichte“: Dunkle Mächte, meist antisemitisch konnotiert, hätten sich verschworen, um das einfache Volk zu unterdrücken. „Dafür haben sie das Coronavirus hochgejazzt, nun zwingen sie das friedliebende russische Volk in einen Krieg, um unsere Energieversorgung zu zerstören.“ Alles Leid würde diesen Mächten zugeschrieben.

Bis weit in den Mainstream

„Es ist die Mischung aus rechten Organisationsstrukturen und bürgerlichem Publikum, das die Proteste so gefährlich macht“, sagt auch Thomas Prenzel. Er engagiert sich im Aktionsbündnis Brandenburg, einer Art Dachorganisation für zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechts. Mit Sorge beobachtet er, wie in der Energiekrise rechte Narrative über den russischen Angriffskrieg bis weit in den Mainstream vorrückten.

Wohin es führen kann, wenn nicht-rechte Menschen rechte Argumente übernehmen, hat sich kürzlich ebenfalls in der Stadt Brandenburg gezeigt. An einem Samstag Mitte September hatten Po­li­ti­ke­r:in­nen der Linken Potsdam-Mittelmark, die dem „Aufstehen“-Bündnis zuzurechnen sind, eine Demo mitorganisert, die vom örtlichen, ebenfalls aus einer Aufstehen-Initiative hervorgegangen „Bündnis für Frieden“ veranstaltet wurde.

Etwa 2.000 Menschen kamen zu dem überraschend großen Protest. Darunter auch das Klientel der Montagsdemos, AfD-Politiker, Rechtsextreme und Quer­den­ke­r:in­nen, wie etwa der Journalist „Pressefuchs“ auf Twitter dokumentierte. Bekennende Linke liefen neben Menschen mit Kleidungsstücken und Flaggen des Deutschen Kaiserreichs. Ein Demonstrant hielt ein Schild mit der Forderung, „die Zuwanderung von Sozialschmarotzern“ zu „stoppen“.

Vor allem in den Reihen der Rechten dürfte diese Konstellation Freude ausgelöst haben. Dort träumt so mancher unverhohlen davon, dass sich Linke und Rechte zusammentun, um die verhasste Regierung zu stürzen. Dabei setzen sie jedoch voraus, dass sich die Linken in die nationale Hierarchie einordnen und ihre Träume von Selbstorganisation, Internationalismus und ihre antifaschistischen, antirassistischen und feministischen Überzeugungen aufgeben. Von linken Inhalten bliebe da nichts übrig, außer vielleicht eine etwas symbolische Betätschelung der nun rassifizierten Arbeiterklasse.

Applaus für die Brandenburger Demo

Von einigen Linken, wie etwa dem Berliner Abgeordneten Alexander King, kam dennoch Applaus für die Brandenburger Demo. Dabei hatten die Forderungen vom „Bündnis für Frieden“ mit linken Inhalten kaum etwas zu tun. In einem auf Telegram geteilten Aufrufflyer wurde „Souveränität für Deutschland“ gefordert, ein Code aus der Reichsbürger-Szene. Man müsse sich gegen die „Vormundschaft der USA“ wehren. Es brauche eine „Politikerhaftung“ und die „Aufarbeitung der Regierungsentscheidungen, vor allem der vergangenen 2,5 Jahre“. Und natürlich: Nord Stream 2 solle geöffnet, die Sanktionen gegen Russland beendet werden.

Nur einen Tag nach der Demo distanzierte sich der Kreisverband der Linken in Brandenburg an der Havel deutlich von dem Protest und verwies auf den verantwortlichen Kreisverband Potsdam-Mittelmark. Dessen Vorsitzender Harald Mushack gestand der taz gegenüber ein, dass eine Abgrenzung nach rechts auf der Demo „zum Teil nicht gelungen“ sei. Welche Forderungen der Demo überhaupt linken Ideen entsprochen hätten, sagte er nicht.

Stefan Wollenberg, Landesgeschäftsführer der Brandenburger Linken, schrieb der taz, es gebe „keine Schnittmenge“ zwischen der Partei Die Linke und den Forderungen der Demo. Distanziere sich das Bündnis nicht klar von rechts, könne es keine „wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Linken-Mitgliedern“ geben.

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