Pjöngjang zündet Mittelstreckenrakete: Nordkorea schickt Japaner in Keller

Noch nie flog eine nordkoreanische Rakete so weit. Der jüngste Waffentest könnte jedoch nur Vorbote für weitere Provokationen sein.

Test einer Rakete.

Von der nordkoreanischen Regierung verbreitet: Foto einer Mittelstreckenrakete vom Typ Hwasong-12 Foto: Korean Central News Agency/ap

PEKING taz | Auf der koreanischen Halbinsel hat Nordkorea die Eskalationsstufe deutlich erhöht: Nach zuletzt fast täglich abgefeuerten Kurzstreckenraketen zündete das Regime in Pjöngjang am Dienstag zum ersten Mal seit acht Monaten eine Mittelstreckenrakete.

Mehr noch: Der Flugkörper legte eine Rekorddistanz von über 4.500 Kilometern zurück und überquerte dabei die japanische Inselgruppe, wo er in gleich zwei Regionen einen seltenen Raketenalarm auslöste. Die Regierung in Tokio rief dort ihre Bürger auf, in Gebäuden oder Kellern Schutz zu suchen.

Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol sprach von einer „rücksichtslosen“ Provokation, Japans Premier Fumio Kishida nannte den Raketentest „ungeheuerlich“.

Dabei könnte dies wohl nur ein Vorbote für deutlich größere Provokationen in den nächsten Wochen und Monaten sein. Das legt nicht nur die verschärfte Rhetorik der nordkoreanischen Staatsmedien nahe, sondern auch ein Blick ins Archiv: Das letzte Mal, als Nordkorea im Jahr 2017 eine Rakete über Japan fliegen ließ, dauerte es lediglich eine Woche, bis Machthaber Kim Jong Un einen Atomwaffentest folgen ließ.

Noch dürfte Pjöngjang Rücksicht auf China nehmen

Dagegen spricht derzeit, dass Pjöngjang seinen großen Nachbarn China wohl nicht verärgern will, ehe dieser am 16. Oktober einen historischen Parteikongress in Peking abhalten wird. Doch danach könnten die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel deutlich zunehmen.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Atomtest später im Laufe des Monats passieren könnte, scheint jetzt sehr hoch“, kommentiert der renommierte Experte Go Myong Hyun vom Seouler Asan-Institut in Seoul: „Doch selbst dann könnte Nordkorea wohl von Glück sprechen, wenn es nur ein Zehntel der Aufmerksamkeit erhalten würde, die es noch 2017 genossen hat.“

Denn gefühlt ist die internationale Staatengemeinschaft derzeit mit deutlich dringlicheren Problemen befasst – etwa dem russischen Krieg in der Ukraine sowie der Energieknappheit und globalen Inflation. An die nordkoreanischen Raketentests hat sich die Weltöffentlichkeit fast schon wie eine Art Hintergrundrauschen gewöhnt.

Auch handelte es sich ja bislang vor allem „nur“ um Kurzstreckenraketen. Zudem wurden sie in einer derartigen Frequenz abgefeuert, dass die Fähigkeit zur Empörung selbst innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft deutlich nachließ.

Pjöngjang zündete allein letzte Woche vier Raketen

Allein letzte Woche zündetet Pjöngjang bei vier Gelegenheiten Kurzstreckenraketen – offenbar als Reaktion auf US-südkoreanische Seemanöver, für die erstmals seit vier Jahren ein US-Flugzeugträger entsendet wurde.

Dennoch gibt es kaum einen Zweifel daran, dass sich das Konfliktpotenzial schon bald deutlich erhöhen wird. Denn wie Südkoreas Verteidigungsministerium am Dienstag erneut betonte, bereitet Nordkorea derzeit die Tests von weit bedrohlicheren Flugkörpern vor: So soll das Regime den Start einer Interkontinentalrakete sowie einer ballistischen U-Boot-Rakete planen.

Denkbar ist zudem – basierend auf einer Analyse von Satellitenaufnahmen –, dass Nordkorea seinen ersten Atomwaffentest seit 2017 durchführen wird.

Im Grenzdorf Panmunjom, wo sich Kim Jong Un und Donald Trump noch vor drei Jahren die Hände reichten, ist der triste Zustand der innerkoreanischen Beziehungen mit bloßen Augen zu erkennen: Unkraut wuchert auf der nordkoreanischen Seite, die Fenster der blauen Militärbaracken sind mit dickem Staub bedeckt. Wo vor der Pandemie die Aushandlung eines Friedensvertrags noch denkbar schien, zeigt sich nun eine regelrechte Geisterstadt.

Nordkorea beantwortet Anruf aus Seoul nicht

Da passt auch ins Bild, dass Nordkorea an diesem Dienstag nicht einmal mehr den Hörer abnimmt: Die Anrufe über die innerkoreanische Telefonleitung, neben einer Militär-Hotline die einzige direkte Verbindung zwischen den zwei Ländern, gehören traditionell zur täglichen Routine, um den Kontakt zu halten und Eskalationen zu vermeiden.

Doch erstmals seit Monaten blieb der morgendliche Anruf der Südkoreaner im Norden unbeantwortet. Ob es sich um ein technisches Problem oder eine bewusste Entscheidung der Nordkoreaner handelt, sei derzeit noch offen.

Südkoreas Militär reagierte dementsprechend ohne Vorwarnung auf den nordkoreanischen Raketentest – indem es am Dienstag zwei seiner Kampfflugzeuge Präzisionsbomben über dem Gelben Meer abfeuern ließ.

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