Kritik an Genre True Crime: Mein Star, der Serienmörder

Zwischen Retraumatisierung und Täterkult: Das Genre True Crime steht immer wieder in der Kritik. Aktuell wegen der Netflix-Serie „Monster“.

Polizeifoto Dahmer

Der Serienmörder als Hotness-Symbol: Jeffrey Dahmer Foto: imago

Auf TikTok ist Serienmörder Jeffrey Dahmer ein Star. Die eine Userin hat Mitleid mit ihm, die nächste trägt sein Konterfei als Ohrringe, eine andere hat sich sein Gesicht aufs Bein tätowiert. Der Grund dafür ist die neue Net­flix-Serie „Monster“, die Dahmers Leben und seine Morde in zehn Episoden erzählt. Während Dahmer bis vor Kurzem wohl den wenigsten in Deutschland ein Begriff war, ist der Mörder aus Milwaukee, Wisconsin, in den USA schon lange eine Art Popstar: Bereits 1993, im Jahr bevor er im Gefängnis erschlagen wurde, gab es den ersten Spielfilm über ihn. Dem folgten zahlreiche weitere Filme, Serien und Bücher, deren negativer Höhepunkt nun „Monster“ mit Evan Peters in der Hauptrolle ist.

Zusammen mit Ted Bundy gehört Dahmer zu den beliebtesten Serienmördern der Welt, und so makaber es ist, in diesem Kontext von „beliebt“ zu sprechen, so treffend ist es leider auch. Denn für viele treten seine grausamen Verbrechen in den Hintergrund, obwohl der 1960 geborene Dahmer von 1978 bis 1991 17 Männer ermordete, die größtenteils Schwarz oder People of Color waren. Danach stellte er unbeschreibliche Dinge mit ihren Leichen an, aß sie teilweise sogar. Wie kann es da sein, dass sich die (primär weiblichen) Fans so ungerührt davon zeigen?

Die Frage stellte sich auch schon, als Netflix Anfang 2019 mit „Conversations with a Killer“ eine vierteilige Doku-Serie über Ted Bundy veröffentlichte, der in den Jahren 1974 bis 1978 mindestens 30 Frauen vergewaltigt und ermordet hatte. Die Begeisterung über Bundy war so groß, dass der offizielle Account von Netflix tweetete: „Ich habe viel über Ted Bundys angebliche Hotness gelesen und möchte alle freundlich daran erinnern, dass es in unserem Angebot TAUSENDE heiße Männer gibt – von denen fast alle keine verurteilten Serienmörder sind.“ Trotzdem benutzt Netflix nun die „Hotness“ von Jeffrey Dahmer auch als Marketinginstrument. Erst kürzlich postete der deutsche Instagram-Account des Streaminganbieters „Er ist ’ne 10, aber na ja … ihr wisst schon.“

Jung, weiß, konventionell attraktiv

Dass Dahmer und Bundy so populär sind, hat mehrere Gründe. Zum einen liegt es daran, dass beide Männer jung, weiß und recht konventionell attraktiv waren. Die beiden Serienmörder Gary Ridgway oder John Wayne Gacy beispielsweise haben keine vergleichbare Fangemeinde. Und zum anderen an der romantisierenden Weise, wie sie in fiktionalen Filmen und Serien dargestellt werden: Die Geschichte ist oft aus ihrer Perspektive erzählt, Verweise auf frühere Schicksalsschläge fungieren als eine Art Erklärung für die späteren Taten, und die Kameraführung, szenische Inszenierung und Musikuntermalung tun ihr Übriges. Daran hat sich bisher nichts geändert – egal, wie oft bereits über die ethischen und moralischen Fragen geschrieben wurde, denen sich True-Crime-Formate eigentlich stellen müssten.

Ein Argument, das häufig zur Verteidigung für die Formate angebracht wird, lautet, dass sie an die Opfer erinnern und möglicherweise sogar rückwirkend Unrecht wiedergutmachen würden. Letzteres kam kürzlich rund um „Serial“ auf. Die Podcast-Serie, in der verschiedene (Mord-)Fälle aufgerollt werden, hat sowohl das Genre True Crime in den Mainstream gehoben als auch die andauernde Beliebtheitswelle von Podcasts eingeläutet. Bereits zum Start 2014 hatte jede Folge rund 1,5 Millionen Zuhörer*innen, bis 2016 wurde die erste Staffel 100 Millionen Mal heruntergeladen.

„Serial“ legt Justizfehler offen

Sie erzählt von der Ermordung der 18-jährigen Schülerin Hae Min Lee 1999 in Baltimore, mutmaßlich durch ihren Ex-Freund Adnan Syed. Im Jahr 2000 folgte die Verurteilung wegen Mordes. Am 19. September 2022 nun wurde Syed überraschend aus dem Gefängnis entlassen. Ein Gericht hatte den Schuldspruch gegen Syed „im Interesse von Fairness und Gerechtigkeit“ aufgehoben, begründet wurde dies mit neuen Informationen, die zu zwei Verdächtigen vorliegen würden. Seit dieser Woche ist nun klar, dass die Staatsanwaltschaft kein neues Verfahren gegen ihn einleitet.

Einige „Serial“-Fans sind überzeugt: Es war vor allem die Recherche des Podcasts, die zur Revision des Falles geführt hat. Immerhin legt „Serial“ mehrere Justizfehler offen. Ja, „Serial“ hat massiv zur Bekanntheit des Falls geführt. Fakt ist aber auch, dass sein Fall nicht der Erste ist, der neu geprüft wird. Allein in Baltimore City wurden in den vergangenen 22 Jahren insgesamt 30 Männer freigelassen, die fälschlicherweise verurteilt worden waren – ein Urteil geht sogar auf 1968 zurück. Laut einer Studie des National Registry of Exonerations aus dem Jahr 2020 gab es in der Zeit von 1989 bis 2019 in den USA mindestens 2.400 Freilassungen.

Rassistisches Justizsystem

„Serial“ hat Syed populär gemacht und ein öffentliches Interesse an dem Mord und dem Prozess geweckt. Es ist aber wahrscheinlich, dass sein Fall so oder so überprüft worden wäre – immerhin ist die Staffel über ihn bereits acht Jahre alt, hat also nicht in direkter Konsequenz zu einer Revision geführt. Aber eigentlich steht hier etwas anderes im Raum, nämlich das rassistische und kaputte US-Justizsystem, das gerade People of Color aufgrund weniger Indizien verurteilt. True-Crime-Dokus und -Podcasts können helfen, Licht auf bestimmte Fälle zu werfen. Das System selbst reparieren sie aber nicht.

Und dann wäre da noch die Frage bezüglich der Gefühle der Angehörigen. „Für mich ist das kein Podcast“, sagte Young Lee, Bruder der ermordeten Hae Min Lee, kürzlich vor Gericht. „Es ist das echte Leben, ein nicht enden wollender Albtraum seit mehr als 20 Jahren.“ Selbstverständlich liegt es auch im Interesse der Familie, aufzudecken, ob Syed der Mörder ist oder nicht. Trotzdem ist die mediale Aufmerksamkeit retraumatisierend.

Retraumatisierung

Das wird noch deutlicher, wenn ein (eindeutig schuldiger) Mörder zum Popstar stilisiert wird, wie es jetzt mit Jeffrey Dahmer geschieht. Rita Isbell, die Schwester von Dahmers Opfer Errol Lindsey, sprach damals im Namen der Opfer vor Gericht, ein Moment, der in „Monster“ nachgestellt wird. „Es fühlte sich so an, als würde ich es noch einmal durchleben“, schrieb sie kürzlich in einem Essay für Insider darüber, wie es war, diese Szene zu sehen. „Es brachte all die Gefühle zurück, die ich damals empfunden habe. Ich wurde wegen der Serie nie kontaktiert. Ich finde, Netflix hätte uns um Erlaubnis bitten sollen. Sie haben das nicht getan. Sie machen einfach Geld mit dieser Tragödie.“

True Crime ist seit Jahren ein sehr erfolgreiches Genre und wird so schnell nicht verschwinden. Produktionsfirmen sollten sich aber fragen, ob die Darstellung dieser realen Mordfälle in ihren Filmen und Serien dem Thema angemessen ist – oder ob dadurch nicht nur die Opfer retraumatisiert werden, sondern die Mörder auch „Fans“ bekommen, die dann mit Jeffrey-Dahmer-Ohrringen und -Tattoos durch die Welt laufen.

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