Krieg in der Ukraine: Der Kaiser ist nackt

Die russischen Angriffe ändern nichts daran, dass Putin schwächelt. Außerdem dürfen Verhandlungen nicht über den Kopf der Ukraine hinweg geführt werden.

Putin im Profil

Der russische Präsident Putin am Freitag in Astana, Kasachstan Foto: Turar Kazabgapov/reuters

Tote und Verletzte, dazu zerstörte Kraftwerke, Schulen, Wohn- und Krankenhäuser: Mit massiven Luftangriffen auf Dutzende Städte hat Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukrai­ne in dieser Woche eine neue Eskalationsstufe erreicht. Leidtragende sind vor allem erneut Zivilist*innen, die jetzt auch an bisher sicher geglaubten Orten im Westen des Landes in Angst und Schrecken versetzt werden.

Doch diese brutale De­mons­tra­tion der Stärke vermag nicht zu verschleiern, was schon länger offensichtlich ist: dass Moskau zusehends auf verlorenem Posten kämpft und Staatschef Wladimir Putin die Hosen immer weiter herunterlassen muss. Nach fast acht Monaten Krieg hat der Kreml militärisch nicht einmal seine Minimalvorgaben erreicht. Anstatt den Dombass komplett zu besetzen, machen die ukrainischen Streitkräfte dort wieder Boden gut.

Russlands Annexion von vier Gebieten der Ukraine, die die UN-Vollversammlung am Mittwoch mit überragender Mehrheit als völkerrechtswidrig verurteilt hat, soll Fakten schaffen. Mit der Realität hat das wenig zu tun. So wurde auch die Stadt Saporischschja in den vergangenen Tagen wiederholt Ziel von Luftangriffen – nach dem Motto: Wenn sich die Menschen nicht freiwillig „befreien“ lassen wollen, muss ihnen der Wunsch nach Anschluss an den großen Bruder eben in die Köpfe gebombt werden.

Die Explosion auf der Krim-Brücke, wer auch immer die Urheberschaft für diese Aktion für sich beanspruchen darf, enthält eine für Moskau bittere Erkenntnis. Sie lautet: Die russische Armee ist nicht einmal in der Lage, „ihr“ Territorium zu schützen. Mit der Teilmobilisierung läuft es ebenfalls nicht rund. Die machen Tausende russische Männer zu einer Abstimmung mit den Füßen über das Regime, indem sie fluchtartig das Land verlassen.

Warum sich in einem sinnlosen Krieg verheizen lassen?

Zu Putins letztem Aufgebot gehören übrigens auch Strafgefangene, die nach einem heroischen Einsatz an der Front auf Freilassung hoffen dürfen – so sie denn überleben. Zu all dem passt das Säbelrasseln von Putins Verbündetem, dem belarussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko.

Dessen abstruse Behauptungen, Länder wie Polen oder Litauen planten einen Angriff auf sein Land, verbunden mit der Ankündigung, mit Russland gemeinsame Bodentruppen aufstellen zu wollen, könnten auf Belarus’ baldigen offiziellen Eintritt in den Krieg an der Seite Russlands hindeuten. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass Lukaschenko genau dies zu verhindern versucht. Die Kampfmoral seiner Truppen ist überschaubar. Warum sich in einem sinnlosen Krieg, der nicht zu gewinnen ist, verheizen lassen?

Auch die Mehrheit der Be­la­rus­s*in­nen steht Moskaus „Spezialoperation“ ablehnend gegenüber. Unruhen und Aufruhr beim Nachbarn jedoch, wie während der wochenlangen Massenproteste nach der gefälschten Präsidentenwahl 2020, kann Putin jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Wenn der Kreml glaubt, durch wahllose Angriffe die Ukrai­ne­r*in­nen in die Knie zu zwingen, dürfte sich auch das erneut als krasse Fehleinschätzung erweisen.

Jede Rakete, die auf die Ukraine niedergeht, schweißt die Menschen nur noch enger zusammen. Auch der Plan, den kriegslüsternen „kollektiven Westen“ auseinanderzu­dividieren, geht nicht auf. Aufhorchen lassen die vor allem an die USA adressierten Bemühungen von Außenminister Sergei Lawrow, mit dem Feind doch wieder ins Gespräch zu kommen. Doch sollte sich niemand blenden lassen.

Das Ziel Moskaus ist unverändert: Die Ukraine, die keine Existenzberechtigung hat, als Staat von der Landkarte zu löschen. Genau aus diesem Grund darf es eine Einigung mit Washington über die Köpfe der Ukrai­ne­r*in­nen hinweg nicht geben, genauso wenig wie Verhandlungen zu Russlands Bedingungen. Wie weiter? Gewissheiten, zumal im Krieg, gibt es nicht. Dennoch scheint sich abzuzeichnen, dass sich nicht nur die Ukrai­ne­r*in­nen auf einen langen Kampf einstellen müssen.

Deutlich wird auch, dass der Anfang vom Ende der Putin’schen Herrschaft eingeläutet ist. Ob dieser Machttransfer erfolgt und was er bedeutet – wer weiß das schon. Doch dann würden die Karten vielleicht neu gemischt.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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