Kuba nach dem Referendum: Der steinige Weg zu mehr Rechten

Kubas neues Familiengesetz ist modern und weitet die Menschenrechte deutlich aus. Aber hätte es überhaupt abgestimmt werden dürfen?

Zwei Kinder in Uniform schauen an einer älteren Person empor, die sie um um mehrere Kopflängen überragt

Abstimmung zum Referendum am 25. September in Kuba Foto: Alexandre Meneghini/reuters

BERLIN taz | Jetzt ist sie also verabschiedet, die 25. Version des neuen Familiengesetzes. Bei einer Beteiligung von 74 Prozent stimmten am vergangenen Sonntag rund zwei Drittel der Kubaner beim Referendum für das Ja, rund zwei Millionen mit Nein. Nach monatelangen Debatten in den sozialen Netzwerken, in den Gemeinden und an den Arbeitsplätzen bedeutet das neue Gesetz eine deutliche Ausweitung der Menschenrechte in Kuba.

Am offensichtlichsten ist vermutlich die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und andere Errungenschaften für die LGBTI-Community. Aber das 130 Seiten starke Dokument erweitert auch die Schutzrechte für andere verletzliche Gruppen.

Die Soziologin und Aktivistin Massiel Carrasquero etwa führt aus, dass auch ihr als alleinstehender Cishetero-Frau künftig der Zugang zu künstlicher Befruchtung offensteht – bislang hätte sie dafür verheiratet sein müssen. Gleiches, wie auch das Recht auf Leihmutterschaft und Adoption, steht auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu.

Ebenfalls erkennt das Gesetz auch die Multi-Elternschaft an: Es kann also anerkannte Familien mit mehr als zwei Müttern oder Vätern geben. Experten führen aus, dass das Gesetz damit genau jene Dynamiken aufnimmt, die in kubanischen Familien ohnehin schon vorkommen.

Organisierte Kampagnen fundamentalistischer Gruppen

Die Rechtsanwältin und Feministin Alina Herrera betont den Fortschritt, dass Kinderehen in Zukunft verboten sind. Künftig gilt ein Mindestalter von 18 Jahren. Außerdem gibt es mehr Schutz vor innerfamiliärer Gewalt, von Menschen mit Behinderungen und älteren.

Einer der meistdiskutierten Punkt war der Ersatz des Begriffes „elterliche Gewalt“ durch „elterliche Verantwortung“, die im Übrigen zu gleichen Teilen bei Vätern und Müttern liegt. In einem Kontext, wo es noch immer an der Tagesordnung ist, Kinder mit Prügeln und Anschreiben zu „erziehen“, hat dieser Passus eine Menge Widerstand erzeugt.

Zum ersten Mal auch wird explizit Haus- und Sorgearbeit in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung anerkannt. Einige dieser Neuerungen sind längst in internationalen Abkommen verankert, die Kuba unterschrieben hat, die aber bislang keine Entsprechung in der nationalen Gesetzgebung hatten.

Der Weg zum neuen Gesetz war nicht leicht. Dagegen standen organisierte Kampagnen fundamentalistischer Gruppen, die auf den „ursprünglichen Zuschnitt der Familie“ pochten und bereits früher ihren Einfluss unter Beweis gestellt haben. Und die politische Opposition stellte sich ebenfalls gegen das Gesetz, mit dem Argument, dass man „in der Diktatur nicht wählen geht“ oder dass es wichtigeres gibt und diese Rechte warten können. Man könne nicht für ein paar Menschenrechte für einige Personengruppen eintreten und für alle anderen nicht.

„Über Würde kann man nicht abstimmen“

Auch die Werbung für ein Ja in den Staatsmedien war keine große Hilfe, denn alles wurde extrem politisiert und ein Ja für das Familiengesetz wurde direkt als Zustimmung zur Regierung dargestellt. Wohl auch deshalb wird es nicht wenige „Denkzettelwähler“ gegeben haben, die durch ihr Nein zum Familiengesetz ihre Ablehnung der Regierung zum Ausdruck bringen wollten.

„Ich glaube, die jungen Leute waren die besten Fürsprecher des Gesetzes“, sagt die 34-jährige Philologin Grettel Escalona. „Unsere Generation versteht Fragen von Respekt leichter. Aber es gibt auch die ältere Generation, die sich damit schwertut – nicht nur mit der Homoehe an sich, sondern vor allem mit der Idee, dass so eine Familie Kinder haben darf.“

Dazu kommen Machismus und Homophobie, die noch immer der kubanischen Gesellschaft innenwohnen. Und darüber hinaus kommt die ganze Debatte in einem Moment schwerster Wirtschaftskrise, in der die Menschen weder Zeit noch Muße haben, sich mit viel anderem zu beschäftigen als dem täglichen Überleben. Oder wie es der LGBTI-Aktivist Según Ulises Padrón Suárez, ausdrückt: „Unser einziger Vorteil ist es, dass wir Recht haben.“

Aber es gab auch noch eine andere Debatte. In den Worten des kubanischen Intellektuellen Julio César Guanche: Über Würde kann man nicht abstimmen. Per Referendum zu fragen, ob eine Mehrheit damit einverstanden ist, anderen Rechte zu gewähren, ist verfassungswidrig und widerspricht der Essenz der Menschenrechte: Sie sind unveräußerlich und unverhandelbar. „Das zur Abstimmung zu stellen öffnet Tür und Tor für die Autokratie, selbst wenn es zunächst demokratisch erscheint, wird doch die „Volkssouveränität“ bemüht.“

Entweder Ja stimmen, oder alles bleibt, wie es ist

Und natürlich gab es auch den Vorwurf des pinkwashing. Tatsächlich ist noch nie seit 1959 irgendein Gesetz per Referendum zur Abstimmung gestellt worden. Aber die Optionen waren jetzt halt diese: Entweder Ja stimmen, oder alles bleibt, wie es ist. Die queere Akademikerin Yasmin Portales sagte in einem Interview: „Ja, es ist beleidigend und furchtbar, Menschenrechte zur Abstimmung zu stellen. Aber wenn das der Weg ist, dann muss man ihn gehen. Sonst akzeptiert man gleich die Niederlage.“

Krise ist ein zu kurzes Wort. Man versteht es besser, wenn man weiß, dass es in Kuba stundenlange Stromabschaltungen gibt, dass Medikamente und Essen fehlen und der kubanische Peso jeden Tag weniger wert ist. Allein in den letzten Monaten sind fast 200.000 Kubaner in die USA geflohen – der größte Massenexodus unserer Geschichte. Hunderte sitzen noch immer für ihre Teilnahme an den Protesten des 11. Juli 2021 im Gefängnis, davon einige mit Haftstrafen von 20 bis 30 Jahren.

Das ist also die Lage, in die ein solches Gesetz hereinplatzt, wie ein Versprechen auf ein gerechteres Land. „Ich habe mit Ja gestimmt, weil ich eine drei Jahre alte Tochter habe“, sagte Grettel Escalona, „damit sie keine Angst hat zu sein, was immer sie sein will, damit sie glücklich wird mit der Art Familie, die sie einmal gründen will.“

Manche meinen, dass die kubanische Gesellschaft für ein so modernes Familiengesetz nicht bereit ist, und wahrscheinlich haben sie recht. Es gibt seit Jahrzehnten kaum oder keine Kultur der Rechtsprechung, der Debatte, der Unterschiede. „Wir leben noch immer in einer konservativen Gesellschaft“, sagt Anwältin Herrera, „und das ist besorgniserregend.“

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