Brief an Justizminister Buschmann: Verbände fordern Kündigungsschutz

Wer Mietrückstände nicht zahlen kann, dem droht trotz Krise die Wohnungslosigkeit. Mietervereine sprechen sich für effektiven Schutz aus.

Ein Wohngebiet im Morgenlicht

Gas und Strompreise steigen, doch Regelungen zum Kündigungsschutz bleiben bisher vage Foto: Sebastian Gollnow/dpa

BERLIN taz | Die Gas- und Strompreise steigen drastisch: Vielen der 48 Millionen Mie­te­r*in­nen stehen deshalb saftige Nachzahlungen bevor – womöglich im vierstelligen Bereich. Wer diese auch nur teilweise oder vorübergehend nicht zahlen kann, der droht nach jetziger Rechtslage, aus der Wohnung geworfen zu werden und im schlimmsten Fall auf der Straße zu landen.

Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung von Anfang September sieht zwar die Aussetzung von Strom- und Gassperren vor, Regelungen zum Kündigungsschutz von Mietwohnungen sind allerdings vage. Fristgerecht gekündigt werden kann faktisch derzeit weiterhin jeder, der im Zahlungsverzug ist – Energiekrise hin, Rettungspakete her.

Wegen dieses ungelösten Problems hat sich ein breites Bündnis aus Sozialverbänden, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, zahlreichen Mietervereinen, Juristinnenverbänden sowie Trägern der Wohnungslosenhilfe nun mit einem offenen Brief an den Justizminister Marco Buschmann (FDP) gewandt: Darin fordert das Bündnis angesichts der Krise einen „effektiven Kündigungsschutz“, um Wohnungen zu sichern. Die „sogenannte Zahlungsverzugskündigung“ nennen sie im Brief „eines der brisantesten wohnungspolitischen Problemfelder“. Der Brief liegt der taz vor.

Im Schreiben an Buschmann, das auch der Arbeitskreis der sozialdemokratischen Ju­ris­t*in­nen der SPD mitträgt, kritisiert das Bündnis, dass selbst durch eine Nachzahlung des Mietrückstands bisher nur fristlose Kündigungen abgewendet werden können – während Kündigungen mit ordentlicher Kündigungsfrist Bestand hätten. „Der Wohnungsverlust droht dann ein paar Monate später, obwohl der Mietrückstand beglichen wurde“, heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung.

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Benjamin Raabe vom Republikanischen An­wäl­t*in­nen­ver­ein sagte der taz: „Es besteht hier dringender Handlungsbedarf.“ Seit einem Urteil des Bundesgerichtshof von 2005 laufe auch das zuvor gut funktionierende Schutzsystem ins Leere, weil Wohlfahrtsbehörden im Bedarfsfall keine Mietrückstände mehr zahlten. Deswegen müsse man eine Zahlungsverzugskündigung wieder durch Bezahlung der Mietrückstände ausgleichen können, fordert Raabe, selbst Fachanwalt für Mietrecht: „Alle, die damit beruflich zu tun haben, fordern eine Reform – übrigens auch der Bundesgerichtshof.“

Aus Sicht des Bündnisses stellt die jetzige Rechtslage für Betroffene ein Dilemma dar: Sozialrechtliche Schutzvorschriften zur Verhinderung von Obdachlosigkeit seien ausgehebelt – „denn Mie­te­r*in­nen können von den Sozialleistungsbehörden die Übernahme ihrer Mietschulden nur verlangen, wenn dadurch Wohnungslosigkeit vermieden wird.“ Da die Nachzahlung eine fristgerechten Zahlungsverzugskündigung aber nicht abwenden könne, verweigerten die Sozialleistungsbehörden regelmäßig die Übernahme, heißt es im Schreiben an Buschmann.

Der offene Brief verweist zudem darauf, dass dieser langjährige Misstand in der Krise ein besonderes Problem in Städten mit Wohnungsmangel werden könnte: „Besonders in angespannten Wohnungsmärkten wird häufig wegen höherer Wiedervermietungsmieten von Ver­mie­te­r*in­nen jede Möglichkeit genutzt, den Mietvertrag zu kündigen. Hierdurch geraten Personen, die in Zahlungsschwierigkeiten sind, unter den enormen Druck drohender Wohnungslosigkeit.“

Rainer Tietzsch vom Berliner Mieterverein sagte: „Aufgrund der Energiepreissteigerung und der davon galoppierenden Inflation wird der Handlungsbedarf deutlicher denn je.“ Das Problem sei seit langem bekannt, Mie­te­r*in­nen und Sozialverbände hätten immer wieder vergeblich darauf hingewiesen. Ebenso seien Bundesratsinitiativen ins Leere gelaufen.

Angesichts der Krise sei Zeit zu handeln, sagte auch Werena Rosenke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe: „Jeder Wohnungsverlust muss verhindert werden.“ Daher müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, „dass bei einer Mietschuldenbefriedigung nicht nur die außerordentliche Kündigung, sondern auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses geheilt ist.“ Rosenke erwarte damit nicht zuletzt die Umsetzung einer ohnehin im Ampel-Koalitionsvertrag versprochenen Änderung im Mietrecht.

Buschmann will Vermieter schützen

Im Koalitionsvertrag aus dem vergangenen Herbst versprach die Ampel tatsächlich, Ursachen drohender Wohnungslosigkeit zu beseitigen. Man wolle das Mietrecht evaluieren und entgegensteuern, „wo Schonfristzahlungen dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen“. Zudem will die Ampel mit einem nationalen Aktionsplan die Obdachlosigkeit bis 2030 ganz abschaffen. Derzeit ist hingegen eher zu befürchten, dass sie im Zuge der Energiekrise zunimmt.

Denn auch im letzten Entlastungspaket findet sich nichts Konkretes zu Kündigungsschutz. Es war neben der Aussetzung von Strom- und Gassperren nur vage angekündigt, Mie­te­r*in­nen „durch die Regelungen des sozialen Mietrechts angemessen“ zu schützen, wenn sie von Steigerungen der Betriebskostenvorauszahlungen kurzfristig finanziell überfordert seien.

Was das konkret heißt, ist indes unklar: Diskussionen um Kündigungsmoratorium im Vorfeld des dritten Entlastungspakets hatte bisher keine Folgen.

Und auch Bundesjustizminister Buschmann blieb auf Anfrage der taz zunächst unkonkret und ließ auf finanzielle Unterstützungsmaßnahmen der Ampel verweisen. Fragen zum auch im Koalitionsvertrag vereinbarten effektiveren Kündigungsschutz wiegelte Buschmann trotz Krise und drohender Armut ausdrücklich ab – mit Klintelpolitik für Ver­mie­te­r*in­nen und Wohlhabende.

Sein Sprecher übermittelte auf Anfrage an Buschmanns Ministerium dazu ein Zitat aus einem Interview mit der Funke-Mediengruppe von Ende Juli: „Ein großer Teil der Wohnungen in Deutschland wird von Privatleuten gestellt, für die das die Altersversorgung ist – und die selber die Finanzierung bedienen müssen, weil die Wohnung noch nicht abbezahlt ist. Auch diese Wohnungsbesitzer darf man nicht schutzlos stellen. Das würde sonst zu ungerechten Ergebnissen führen.“ Staatliche Eingriffe in laufende Vertragsverhältnisse hätten zur Folge, dass Probleme von einer auf die andere Vertragspartei verschoben werden, so Buschmann. Ansonsten arbeite man an der Umsetzung der im Koalitionsvertrag verabredeten mietrechtlichen Vorhaben, heißt es.

Auf erneute Rückfrage, dass die Schonfristzahlungen aber doch explizit im Koalitionsvertrag erwähnt sind, heißt es dann wiederum, man prüfe derzeit die Umsetzung des Vorhabens. Kurzum: Mie­te­r*in­nen droht die Kündigung, der FDP-Justizminister denkt zuerst an die armen Hausbesitzer. Was für die Mie­te­r*in­nen am Ende rausspringt, bleibt unklar.

Immerhin gibt es in der Ampel Gegenwind: Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, verwies auf taz-Anfrage auf den Passus im Entlastungspaket, Mie­te­r*in­nen mit sozialem Mietrecht ausreichend zu schützen: „Ich setze mich innerhalb der Koalition mit Nachdruck dafür ein, diese Vereinbarung umgehend ins Wirken zu setzen“, sagt Eichwede.

Auch bei den Kaltmieten besteht laut der SPD-Politikerin dringender Handlungsbedarf: „Dazu müssen wir die im Koalitionsvertrag festgelegten Mieterschutzvorhaben unverzüglich umsetzen.“ Besonders wichtig sei dabei, „dass Mieterinnen und Mieter mit einer Nachzahlung der ausgebliebenen Miete eine ordentliche Kündigung abwenden können“, so Eichwede.

Angesichts der Krise nannte sie zudem die weiteren im Koalitionsvertrag vereinbarten Mie­te­r*in­nen­schutz­vor­ha­ben als besonders dringend: Absenkung der Kappungsgrenze, die Verlängerung der Mietpreisbremse, die Einbeziehung der Mietverträge der letzten sieben Jahre in die Berechnung qualifizierter Mietspiegel sowie die Verpflichtung zur Erstellung qualifizierter Mietspiegel für Gemeinden über 100.000 Einwohner*innen.

Keine Rede ist weiterhin von einem Mietendeckel auf Bundesebene, wie ihn auch mietenpolitische Bündnisse immer wieder gefordert hatten. Dieser Forderung mit großen Entlastungspotential will wiederum das Mietenstopp-Bündnis mit 160 Initiativen, Verbänden und Organisationen in 50 Städten bei einem bundesweiten Protesttag am 8. Oktober auf die Straße bringen.

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