Film „Mona Lisa and the Blood Moon“: Ein Herz für Außenseiterinnen

Ana Lily Amirpour lässt eine junge Frau mit telekinetischen Kräften umherstreifen. Ein empathischer Blick auf das Sonderbare.

Filmstill: Eine junge Frau legt ihre Hände auf eine Schaufensterscheibe und blickt dadurch einen Mann, der in einem Diner beim Essen sitzt

Diese Mona Lisa (Jeon Jong-seo) lächelt nicht Foto: Weltkino

Als im Jahr 2014 das Debüt von Ana Lily Amirpour erschien, war es für das Indie-Kino eine kleine Sensation. Die US-amerikanische Filmemacherin iranischer Abstammung begeisterte die Kritik umgehend mit einem ureigenen Stil, der selbstbewusst – dabei aber gänzlich unaufgeregt – scheinbar unvereinbare Filmgenres und kulturelle Einflüsse kombiniert und so etwas atmosphärisch Neues und inhaltlich Unvorhersehbares schafft.

„A Girl Walks Home Alone at Night“ ist komplett in Farsi gehalten, wurde in Schwarz-Weiß gedreht, und lässt sich am besten als eine erstaunlich harmonische Melange aus Spaghetti-Western, Film Noir und Vampirfilm beschreiben. Im Zentrum steht eine namenlose junge Blutsaugerin (Sheila Vand), die des Nachts, mit Hidschab und Skateboard ausgestattet, durch eine fiktive iranische Kleinstadt treibt, wo sie allerlei absonderlichen Gestalten begegnet.

Nach Ana Lily Amirpours zweiten Langfilm, dem etwas stärker von Action getriebenem „The Bad Batch“, wirkt ihr neues Werk beinahe wie eine inoffizielle Fortsetzung ihres Erstlings. „Mona Lisa and the Blood Moon“ dreht sich erneut um eine fast tonlose weibliche Hauptfigur, deren eigentlich unübersehbare Sonderbarkeit vor den ganz alltäglichen Skurrilitäten ihrer Umgebung verblasst.

Wenn man so will, ist das eine noch bedeutendere Stärke der Filmemacherin als die Fähigkeit, eine unverwechselbare, beinahe meditative Atmosphäre zu kreieren: Der von tiefer Empathie geprägte Blick auf unwillkommene Außenseiterinnen, der sie durch die Gegenüberstellung mit der paradoxerweise akzeptierten Schlechtigkeit ihrer Umgebung still zu den eigentlichen Heldinnen erhebt.

Verwahrlosung in einer Gummizelle

Der weibliche Underdog des neuen Films ist die titelgebende Mona Lisa Lee (Jeon Jong-seo), die zu Beginn der Handlung, nahe an der Verwahrlosung, in einer Gummizelle einer psychia­trischen Einrichtung irgendwo in Louisiana festgehalten wird. Als sie von einer sadistisch veranlagten Pflegerin aufgesucht wird, macht sie Gebrauch von ihren telekinetischen Fähigkeiten und übernimmt die Kontrolle über die Motorik des Personals, um der Anstalt zu entkommen.

„Mona Lisa and the Blood Moon“. Regie: Ana Lily Amirpour. Mit Jun Jong-seo, Kate Hudson u. a. USA 2021, 106 Min.

Anschließend treibt die etwa Zwanzigjährige, zunächst nur in einer Zwangsjacke bekleidet, durch den Moloch, als den Amirpour das New Orleans der Nachtclubs in der Bourbon Street, der schäbigen Diners und finsteren Gassen präsentiert. Ebenfalls typisch für die Filmemacherin ist, dass auf Erklärungen zum Hintergrund ihrer Heldin – etwa woher das übernatürliche Talent oder sie selbst genau stammt – verzichtet wird.

Stattdessen lässt sie Mona Lisa auf ganz unterschiedliche Gestalten treffen, die sich in den nächtlichen Schatten tummeln. Mit erkennbarer Freude an ihrer schrillen Extravaganz kreiert sie abseitige Figuren, wie den vom „New Age“-inspirierten, drogendealenden Fuzz (Ed Skrein), der sich vor einer Tankstelle herumtreibt und sich ihr zunächst unangenehm annähert, letztlich aber im Glauben an ihre kosmische Verbindung zum wichtigen Beistand wird.

Ständig auf den Fersen ist ihr der behäbige. aber gutherzige Officer Harold (Craig Robinson), der sie zunächst festnehmen und zurück in die Einrichtung bringen möchte. Als er daraufhin ebenfalls Opfer ihrer mystischen Fähigkeiten wird, beginnt er die unterhaltsam erzählte Verfolgung, die eine skurrile Station bei einer Voodoo-Priesterin beinhaltet. Mit dem den Film durchziehenden Humor betritt Amirpour überzeugend neues Terrain, das dem Film gegenüber ihrem bisherigen Werk mehr Leichtigkeit verleiht.

Freundschaft mit 11-jährigem Heavy-Metal-Jünger

Charmanten Witz bringt besonders Stripperin Bonnie (Kate Hudson) ins Spiel. Mit einer bestechend-frechen „Straßenschläue“ ausgestattet, wittert sie in der komischen Fremden ihr Glück. Kurzerhand nimmt sie Mona Lisa bei sich auf, zieht mit ihrer Hilfe besonders Club-Besuchern das Geld aus der Tasche und lässt sich schließlich vor Geldautomaten von ahnungslosen Bankkunden die abgehobenen Scheine aushändigen.

Mit bedächtiger Gründlichkeit zeichnet Amirpour wiederum die freundschaftliche Beziehung zwischen Mona Lisa und dem elfjährigen Charlie (Evan Whitten), Bonnies Sohn. Als Heavy-Metal-Jünger aus schwierigen Familienverhältnissen wird er von Mitschülern gemobbt, auch das Verhältnis zur ständig arbeitenden, wenig an ihm interessierten Mutter ist angespannt.

Ihre tiefe Verbindung ergibt vor dem Hintergrund, dass Mona Lisa die letzten zehn Jahre ohne richtigen Kontakt zur Außenwelt in beinahe vollständiger Isolation verbrachte – man sich also vermutlich auf einem ähnlichen Entwicklungsstand befindet –, durchaus Sinn. Der Handlungsstrang gehört dennoch zu jenem mit den spürbarsten Längen, ist er doch zu gewollt anrührend erzählt, um tatsächlich eine Wirkung zu entfalten.

Ein treibendes Narrativ besitzt „Mona Lisa and the Blood Moon“, auch das ist eine Reminiszenz an den Erstling, nicht. Stattdessen schöpft er in seiner episodischen Erzählweise Kraft aus interessanten Figuren und einem erneut betörenden Stil, der hier von leuchtenden Neon­farben und einem abwechslungsreichen Soundtrack getragen wird.

Wirkte „A Girl Walks Home Alone at Night“ wie eine abgefilmte Graphic Novel, erinnert Amirpours neuer Film an ein langes, stylisches Musikvideo. Der Filmemacherin vorzuwerfen, Stil über Substanz zu stellen, scheint also ein Leichtes zu sein. Dafür aber müsste man das selten große Herz für Außenseiterinnen, das in ihren Filmen schlägt, gänzlich übersehen.

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