Genderstereotype in Mangas: Hauptsache, Jungs lieben dich

Viele japanische Comics sprudeln vor Klischees und Sexismus. Insbesondere Frauen sollen stets schön, begehrenswert und passiv sein – damals wie heute.

Stapel mit Comicheften.

Stapelweise Geschlechterstereotype und Klischees: Shōjo Mangas aus Japan Foto: Jorge Gonzalez/imago

Als Japanerin in Deutschland ist es fast unmöglich, an einem Klischee vorbei zu leben, ohne darauf angesprochen zu werden: Manga und Anime. Nicht selten lernte ich Menschen kennen, die für Japan schwärmen, weil sie diese Comics so sehr liebten. Oder mich aufgrund meiner Herkunft damit in Verbindung brachten. Selbst Besichtigungstermine für WGs habe ich bekommen, nur weil ich Japanerin bin. Die Zimmer blieben mir dennoch verwehrt, da die Be­woh­ne­r:in­nen schnell feststellten, dass ich mit ihren heißgeliebten Comics nicht viel anfangen konnte.

Dabei war ich als Kind durchaus nicht abgeneigt, mir ähnliche Bücher reinzuziehen. Die Geschichten waren Zufluchtsorte, an denen ich Sprache und Kultur verstand. Die meisten Mangas, die ich konsumierte, nannten sich Shōjo Mangas, also Comics, die für junge Mädchen geschrieben sind. Das Pendant dazu nennt sich Shōnen Manga, also Comics für Jungs. Darunter fallen bekannte Werke wie „Dragonball“, „One Piece“ oder „Naruto“.

So sehr ich auch Spaß mit den Büchern hatte, hatten Shōjo Mangas eine unglückliche Nebenwirkung: Sie sind voller Geschlechterstereotype und Klischees. Die Stories haben fast alle dieselbe Handlung: Ein gewöhnliches Teenagermädchen verliebt sich in den einen Jungen aus der Klasse, der die Perfektion in Person ist. Und dann gibt es noch seinen besten Freund, der der Protagonistin in jeder Not beisteht.

Am Ende liefern sich die beiden Jungs einen Kampf mit dem einzigen Zweck, das Mädchen für sich beanspruchen zu können. Die Besagte schaut übrigens voller Sorge dabei zu. Dass sie bei deren Aktion kein Mitspracherecht hat und als Trophäe missbraucht wird, scheint sie nicht zu stören. Hätte mich übrigens als Kind damals auch nicht gestört.

Nur wenige autonome Frauen als Rolemodels

Die meisten Shōjo Mangas handeln von monogamer Heteroliebe, Schönheitsnormen, Modeling, Film- und Musikindustrie, manchmal von Familie oder Freundschaft und selten von Sport. Rivalitäten gibt es trotzdem viele. In Form von hinterlistigen Klassenkameradinnen und eifersüchtigen Freundinnen suggerieren die Geschichten, dass Mädchen stets in Konkurrenz mit anderen Mädchen stehen und diese sich gegenseitig nichts gönnen.

Seit ich klein bin, bin ich mit dieser Vorstellung von Weiblichkeit aufgewachsen – Disneys Prinzessinnen als giftiges Sahnehäubchen on top. Und Frauen, die heute Teenies sind, werden sich in 15 Jahren genauso mit solchen Idealen rumschlagen müssen. Denn ein Ausflug in mehrere Bücherläden zeigt, dass sich Shōjo Mangas seit dem nicht groß verändert haben. Nur in seltenen Fällen gibt es Ausnahmen, die nicht ausschließlich von Boys und Beauty handeln.

Ein weltweit bekanntes Beispiel ist “Sailor Moon“, in welcher die Protagonistinnen gegen Bösewichte kämpfen. Schön, schlank und begehrt sind die Kriegerinnen trotzdem. Bekannte Charaktere, die einen gewöhnlichen Alltag mit Familie thematisieren, sind Chibi Maruko Chan und Sazae san. Alle anderen Shōjo Mangas senden eine klare Botschaft an junge Mädchen: Seid begehrenswert. Koste es, was es wolle.

Mangas für Jungs kommen weltweit besser an

Abenteuer, Freundschaften und Gerechtigkeit, wie sie häufig in Comics für Jungs zu finden sind, bleiben aus. Im Vergleich zu den Geschichten für Mädchen sind Shōnen Mangas auch weltweit beliebter. Die Stories sind kaum auf Romantik, dafür umso stärker auf Gruppenzusammenhalt ausgerichtet.

Aber auch hier ist die Darstellung der Frau sehr einseitig: In den meisten Geschichten sind Frauen Nebencharaktere und das schöne Objekt der Begierde. Manchmal sind sie schlau oder schlagfertig, aber in Notsituationen müssen sie von ihren männlichen Begleitern gerettet werden. Ihre Körper sehen aus, als hätten sie mehrere Schönheitsoperationen hinter sich. Insbesondere die Brüste.

Die Adultversion von Frauen als Lustobjekt zeigt sich in pornografischen Mangas. Die meisten werden ausschließlich für ein männliches Publikum geschrieben und verraten, was sie beim Sex von Frauen erwarten: Sie soll passiv und selbstopfernd sein. Von den monströsen Körperidealen brauche ich gar nicht erst anfangen.

Vergeudetes Potenzial

Aufgrund vieler solcher Bücher, ob nun für Teenies oder Erwachsene, haben Mangas in kultivierten Kreisen Deutschlands eher einen schlechten Ruf. Hinzu kommt, dass Comics ein Kinderimage haben: Erwachsene sollen schön „richtige“ Bücher mit vielen Buchstaben lesen und ihre Zeit nicht mit Bildern vertrödeln.

Dabei haben Mangas durchaus einen großen Vorteil: Sie können komplizierte Sachverhalte mit Bildern anschaulich darstellen. Nicht selten werden Mangas als Lehrmaterial genutzt, um Kindern Mathe, Englisch oder Biologie zu erklären.

Ähnliche Angebote gibt es auch für Erwachsene. Egal ob Wirtschaft, Geschichte oder Politik: In Buchhandlungen gibt es stets Mangas, die einem Themen wie Steuererklärung, den Ersten Weltkrieg oder den Aktienmarkt verständlich wiedergeben. Le­se­r:in­nen können dadurch die Inhalte nicht nur schneller verschlingen, sondern haben auch oft Spaß beim Wissen-Ansammeln. Das ist bei einer Steuererklärung keine Selbstverständlichkeit, sondern eine große Kunst.

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In Tokyo und Hamburg aufgewachsen, Auslandsjahr in Shanghai. Studium in Berlin, Chongqing und Halle. Schreibt seit 2021 für die taz. Kolumnistin des feministischen Magazins an.schläge (Foto: Hella Wittenberg)

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