Lützerath als Protestsymbol: Bewegung sucht Energie

Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen brauchen dringend Erfolge. Doch im Kampf gegen den Abriss des Dorfes Lützerath lässt sich nicht viel gewinnen.

Portest mit Plakaten wie "Lützerath lebt " vor dem Wirtchafts- und Klimaschutzministerium

Das Protestplakat behauptet: „Lützerath lebt“ – das stimmt so leider nicht mehr Foto: Florian Boillot

Für viele schöne Dinge im Leben gibt es ein nicht ganz so schönes, dafür umso längeres Wort in der deutschen Sprache. Selbstwirksamkeitserfahrung, zum Beispiel. In anderen Worten: das berauschende Gefühl, das sich einstellt, wenn man mit dem eigenen Körper eine Straße oder eine Zugstrecke blockiert. Wenn das, wofür man demonstriert, auch umgesetzt wird.

Die Klimabewegung braucht nach Jahren der Niederlagen einen Erfolg, der ihr dieses Gefühl zurückgibt. Viele sind frustriert, weil trotz der Offensichtlichkeit der Klimakatastrophe nichts passiert.

Seit Anfang dieser Woche die NRW-Landesministerin Mona Neubaur gemeinsam mit Klimaminister Robert Habeck angekündigt hat, dass das Dorf Lützerath abgerissen wird, weil es auf Braunkohle gebaut ist, hoffen viele auf neue Energie – nicht für das Stromnetz, sondern für die Bewegung. Auf die Chance, endlich mal wieder einen Konflikt zu gewinnen. #StandWithLützi, twittern Luisa Neubauer und andere.

Natürlich gibt es Gründe, die Entscheidung der Grünen und ihren faulen Kompromiss mit RWE zu kritisieren: Der frühere und auch nur freiwillige Kohleausstieg 2030 wäre so oder so gekommen. Die Vorstellung, dass in acht Jahren noch Braunkohle verstromt werden könnte, ist so oder so absurd. Gutachten zeigen zudem, dass die Braunkohle unter Lützerath für die „Versorgungssicherheit“ nicht notwendig ist. Und überhaupt, Versorgungssicherheit, schon wieder so ein Wort. Als wäre die wichtiger als, sagen wir, Überlebenssicherheit.

Orte waren für Bewegungen immer wichtig: Gorleben und der Hambacher Forst sind zu Symbolen geworden. Hier lassen sich komplexe Konflikte vereinfachen, kann eine Bewegung gegen die Staatsmacht und Konzerne gewinnen. Aber eignet sich Lützerath als neues Symbol?

Gorleben wurde über Jahrzehnte zu einem Symbol, lange waren nur ein paar vermeintliche Kauze gegen Atomkraft. Die Endlagerfrage ist zudem bis heute ungelöst. Als der Hambacher Forst zum Symbol wurde, regierte in NRW Schwarz-Gelb und der Kohleausstieg war weit entfernt. Heute ist der Ausstieg beschlossen und gesellschaftlicher Konsens. Die Klimabewegung hatte sich deshalb zuletzt auf den Kampf gegen LNG-Gas konzentriert.

Kämpfe um Orte sind Abwehrkämpfe: Das war so in Gorleben, das war so im Hambacher Forst. Die Bewegung kann wenig gewinnen, wenn sie die Kohlebagger in Lützerath ein paar Monate aufhält. Sie kann die Kompromisse der Grünen als faul entlarven, die Klimapolitik der Regierung als ungenügend. Und dann? Besteht die Gefahr, dass sich die Bewegung an ein verlassenes Dorf klammert, indem niemand außer ihr selbst ein Symbol erkennen will.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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