Klasse und Kontakte: Das Unbehagen bei Netzwerkorgien

Manche Menschen sind nicht von Haus aus ans Netzwerken gewöhnt. Wer aufsteigen möchte, muss sich auch um das soziale Kapital kümmern.

Eine Hand hält eine ZIgarette

„Es ist immer so anstrengend, dieses Netzwerken“ Foto: Felix König/Agentur 54 Grad/imago

Mit dem Networking ist es so wie mit Geld oder Fußpilz: Alle beschäftigen sich damit, aber niemand redet gerne darüber. Weil man entweder den Anschein erwecken will, dass man selbst so cool ist und auf so etwas Niederträchtiges nicht angewiesen ist. Oder weil manche nie Fußpilz bekommen, einfach genug Geld haben oder eben von Haus aus netzwerken können, wie sie atmen. Es gibt nicht nur ökonomisches, sondern auch soziales und kulturelles Kapital, die sich ineinander übersetzen lassen, hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu die Bedeutung eines Netzwerks beschrieben.

Wer nicht ausreichend Geld hat, sollte sich auch um sein soziales und kulturelles Kapital kümmern, möchte er etwas an seinem sozialen Status ändern. Es gibt natürlich auch andere Gründe, weshalb Menschen das Netzwerken schwerfällt. Aber Menschen, die aus Verhältnissen mit wenig Geld kommen, kommen meistens auch aus Milieus, in denen nicht regelmäßig Netzwerkorgien stattfinden.

Das ist die Theorie. In der Praxis geht es darum, in solchen Situationen einfach klarzukommen. Letztens stehe ich bei einer Konferenz zwischen zwei Vorträgen in einem Raum, in dem die Pause produktiv genutzt wird. Niemand spricht mich an. Ich könnte jemanden ansprechen. Oder mich irgendwo dazustellen. Irgendwas hält mich davon ab. Ist es die Angst vor Ablehnung? Die Angst davor, nicht mithalten zu können? Oder einfach der intuitive innere Widerstand gegen den Karriereschwanzvergleich, der stattfindet, wenn man jetzt jemanden anspricht? Ich schaffe es nicht.

Aber Vorsicht! Jetzt nur nicht auffallen! Weglaufen wäre feige. Deshalb lieber bleiben. Aber nicht zeigen, dass es unangenehm ist. Einfach durchziehen. Ich hole mir ein Mini-Schokocroissant vom Buffet, schenke mir langsam Kaffee ein. Weitere wertvolle Sekunden gewinne ich, indem ich Milch in den Kaffee kippe. Ich zücke mein Handy raus, lese darauf erregt, tippe wichtig herum – bis endlich die Pausenglocke läutet und die nächste Stunde beginnt.

Locker, aber seriös

Falls es Ihnen auch so geht mit dem Netzwerken, Sie sich aber manchmal überwinden können, wie ich es mittlerweile immer wieder kann, dann beachten Sie bitte: Locker sein, aber seriös bleiben, mit den Sprüchen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen! Verbindlich tun, aber bitte ja nicht zu nahe kommen! Wahnsinnig interessiert an den anderen tun, aber auf jeden Fall mehr auf die eigene Performance konzentrieren!

Bei längeren Netzwerkorgien gibt es manchmal networkingfreie Zeitfenster, wo man eine Zigarette vor dem Netzwerk-Lokal raucht und ein Leidgenosse mitkommt, der keine Angst hat, wertvolle Networkingzeit mit Rauchen zu verschwenden, und der so etwas sagt wie: „Es ist immer so anstrengend, dieses Netzwerken!“ Dann nicke ich, lamentiere meinerseits und merke: Ich bin nicht allein! Anschließend rauchen wir auf und gehen wieder zurück in das Lokal. Weil Bourdieu recht hatte.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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