Grüne diskutieren wieder

Beim Parteitag der Grünen von Freitag bis Sonntag in Bonn wird es insbesondere um Energiepolitik gehen. Im Fokus: die AKW-Laufzeiten und das Abbaggern von Lützerath

Hat bei der Diskussion um AKW-Laufzeiten viel Expertise: Grünen-Politiker Jürgen Trittin Foto: Stefan Boness

Von Sabine am Orde
und Tobias Schulze

Gleich acht Änderungsanträge von Jürgen Trittin für den Grünen-Parteitag am Wochenende sind am Donnerstag online gegangen. Alle beziehen sich auf einen Antrag des Bundesvorstands zur „Sicheren Energieversorgung“, genauer: auf einen möglichen Weiterbetrieb von Isar 2 und Neckarwestheim 2, den beiden AKWs im Süden. Trittin und seine Mit­un­ter­zeich­ne­r*in­nen stimmen darin einer befristeten Einsatzreserve der beiden AKWs bis April für den Notfall zu. Man darf davon ausgehen, dass sie dies zähneknirschend tun. Aber sie wollen den Spielraum für ihren Wirtschaftsminister Robert Habeck, der FDP noch weitere Zugeständnisse zu machen, maximal verkleinern.

Die Einsatzreserve ist eines der Themen, die auf dem dreitägigen Parteitag in Bonn kontrovers debattiert werden dürften. Für die Grünen ist das eine Gratwanderung. „Die Partei braucht Debatten“, sagt etwa Emily Büning, die Bundesgeschäftsführerin der Partei. Sie betont aber auch das große Verantwortungsgefühl angesichts der aktuellen Krisen.

Bei der Einsatzreserve ist die Lage kompliziert. Nach ihrer Niederlage bei der Landtagswahl in Niedersachsen will die FDP einem bereits gefundenen Kompromiss nicht mehr zustimmen. Sie will eine weitergehende Laufzeitverlängerung aller drei verbleibenden AKW samt des Kaufs neuer Brennstäbe, was für die Grünen ein No Go ist.

Grüne Jugend für Lützerath

Die Regierung habe mehr aus politisch-symbolischen als aus sachlichen Gründen eine Verabredung getroffen, sagt Trittin, der die Notwendigkeit für den Streckbetrieb ohnehin nicht für erwiesen hält. „Wir wollen sicherstellen, dass die Bedingungen dafür eingehalten werden: dass in dem Gesetz klare, überprüfbare Kriterien für den Weiterbetrieb festgesetzt werden, dass dieser am 15. 4. endgültig endet und die beiden AKWs dann rückgebaut werden“. Im Antrag des Bundesvorstands ist dies nicht so klar formuliert.

Während in der AKW-Frage mit Jürgen Trittin ein Grünen-Veteran in die Debatte gehen wird, rebelliert in einer anderen Energiefrage die junge Generation: Mehrere Anträge wenden sich gegen die Einigung, die Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur in der vergangenen Woche mit RWE getroffen haben. Der Energiekonzern darf demnach die Braunkohle unter dem Dorf Lützerath im Rheinischen Revier abbaggern. Anträge gegen den Deal kommen unter anderem von der Grünen Jugend, ein Antrag dafür von den NRW-Grünen.

Während in vielen anderen Themenfeldern noch Verhandlungen zwischen An­trag­stel­le­r*in­nen und Bundesvorstand laufen und Kompromisse offen ausgetragene Konflikte verhindern könnten, läuft es hier wohl auf eine Abstimmung zwischen beiden Positionen heraus. „Vom Parteitag erwarten wir ein deutliches Zeichen, dass wir unseren Einsatz für Lützerath nicht aufgeben, und das haben wir beantragt“, sagt Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend. Einerseits dürften durch „die Zerstörung rund um Lützerath“ keine Fakten geschaffen werden. Andererseits müsse bei Stromeinsparungen und dem Ausbau der Erneuerbaren mehr passieren.

Eine Einigung schien am Donnerstag dagegen in der Diskussion über Rüstungsexporte an Beteiligte des Jemenkriegs möglich. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Bundessicherheitsrat Lieferungen an Saudi-Arabien und dessen Alliierte genehmigt hat. Kritisiert wird das in einem Antrag des Bundestagsabgeordneten Max Lucks, der flügelübergreifend breit unterstützt wird.

Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, „zu einer vollständigen Umsetzung des Waffenembargos für Saudi-Arabien zurückzukehren“. Der Bundesvorstand würde den Antrag gerne entschärfen und Passagen herausnehmen, die als Kritik an den eigenen Regierungsmitgliedern gelesen werden könnten. Denkbar ist ein Kompromiss, in dem nach vorne gerichtet dennoch klare Erwartungen an die Bundesregierung formuliert werden.

Gespräche liefen am Donnerstag ebenfalls noch zu Anträgen im Bereich Sozialpolitik und Umverteilung. Im Leitantrag des Bundesvorstands werden in erster Linie die Maßnahmen aus den bisherigen Entlastungspaketen der Ampel sowie die geplante Gaspreisbremse gelobt. Mehrere An­trag­stel­le­r*in­nen wollen, dass die Partei darüber hinaus für konkrete weitere Maßnahmen eintritt. Eine flügelübergreifende Gruppe um Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt fordert beispielsweise eine Vermögensabgabe. Die Europa-Abgeordnete Katrin Langensiepen will 100 Euro mehr bei den Bürgergeld-Regelsätzen.

Der Bundesvorstand würde solche konkreten Formulierungen gerne vermeiden und setzt sich in Verhandlungen für weniger verbindliche Forderungen ein. An manchen Stellen könnte er zwar damit zwar in den Stunden bis zum Parteitag noch Erfolg haben. Trotzdem ist es gut möglich, dass es wie bei der Kohle auch in sozialpolitischen Fragen zu offenen Abstimmungen kommt.