Zwei FDP-Fähnchen auf einem Tisch

Erklärungsversuche: FDP-Chef Christian Lindner und Stefan Birkner von der FDP Niedersachsen am Montag Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Die Ampel nach der Niedersachsen-Wahl:Wenn Grün der FDP die Daumen drückt

Die FDP-Krise bereitet ihren Berliner Partnern Sorgen. Denn die Schwäche liegt auch am Ampel-Gehampel. Christian Lindner will den Kurs der FDP halten.

10.10.2022, 17:30  Uhr

Lange wird er nicht geschlafen haben, aber das sieht man ihm jetzt nicht an. Etwas verspätet tritt Christian Lindner am Montagmittag in der FDP-Zentrale in Berlin-Mitte vor die Kameras. Die Hände stützt er auf das Rednerpult, mit geradem Rücken steht er da. Neben ihm: Stefan Birkner, der Spitzenkandidat aus Niedersachsen. Auch er die stoische Ruhe in Person. Dabei wartet keine einfach Aufgabe auf beide. Einen Tag nach der Wahl in Niedersachsen müssen sie die Misere der Liberalen erklären. Im Allgemeinen und im Besonderen.

„Klar ist, es wird auch wieder eine nächste Landtagswahl geben“, sagt Christian Lindner recht nüchtern und sichert dem gebeutelten Landesverband seine Unterstützung zu. Es sei ein „bitterer Abend“ gewesen, eine „klare Niederlage“, sagt dann Stefan Birkner, „schmerzhaft“.

An diesem Tag gibt es keine lange Fehleranalyse, was landespolitisch alles falsch gelaufen sein könnte. Denn allen ist klar: Niedersachsen ist nur ein Symptom eines viel weiter reichenden Problems. Nämlich: Wofür steht die FDP in der Berliner Ampel?

4,7 Prozent der Stimmen holten die Liberalen laut dem vorläufigen Ergebnis und verpassten damit den Einzug in das niedersächsische Parlament. Nach zwanzig Jahren im Landtag muss sich die FDP in die außerparlamentarische Opposition begeben. Das Ergebnis der Niedersachsenwahl ist aber viel mehr als nur ein landespolitscher Absturz. Es ist auch eine Niederlage für den Finanzminister Christian Lindner.

Eine Niederlage nach der anderen

Seit die Liberalen in die Ampel eingetreten sind, fahren sie eine Niederlage nach der anderen ein: Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen. Auch die Umfragen für die Bundes-FDP sind kein Grund für Zuversicht.

Das weiß auch Christian Lindner. Und doch zeigt er sich erstaunlich uneinsichtig. „Die FDP hat ein klares politisches Profil, sie weiß, was sie will und wer sie ist“, sagt er. Es wirkt fast ein wenig trotzig: „Wir haben kein Problem einer Strategie- oder Positionierungssuche.“ Klingt nach: Wir haben alles richtig gemacht.

Die Ampel habe insgesamt „an Legitimation verloren“, erklärt er. Die Verluste von SPD und FDP würden nicht aufgewogen durch die Zugewinne bei den Grünen. „Insofern hat nicht die FDP ein Problem, sondern die Ampel insgesamt muss sich der Herausforderung stellen, für ihre Politik mehr Unterstützung in Deutschland zu erreichen“, sagt Lindner. Es ist, nun ja, eine eigenwillige Interpretation. Die SPD ging als klarer Sieger vom Platz, die Grünen haben in Niedersachsen ein historisches Ergebnis erzielt.

Lindner

Lindner: „Es kommen wieder andere Landtagswahlen“ Foto: Kay Nietfeld

Man müsse nun über „die Balance von sozialem Ausgleich, ökonomischer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft neu nachdenken, damit die Ampel insgesamt wieder reüssieren kann“, schlussfolgert Lindner und lässt dann noch etwas Kritik zu.

Seiner Partei gelinge „es gegenwärtig nicht, für ihr klares Profil hinreichend Unterstützung zu bekommen“. Änderungen an den Grundpositionen? Fehlanzeige. Die FDP stelle sich nun der Herausforderung, das als richtig erkannte Profil „jetzt herauszuarbeiten und zu stärken“. Er wiederholt dann auch die Forderung, die noch verbliebenen drei Atomkraftwerke am Netz zu lassen. „Das ist nicht Politik, sondern Physik.“

Der Bremser vom Dienst

Die Frage nach der stärkeren Profilierung wirft aber Fragen auf: Was genau heißt das? Schon jetzt wird die FDP wie der Bremser in der Koalition wahrgenommen, wie der Neinsager vom Dienst, eine Art innere Opposition. Schon seit geraumer Zeit betonen Liberale, dass die Ampel nicht ihr Wunschbündnis gewesen sei, aber notwendig aus „staatspolitischer Verantwortung“. Vom Spirit der Koalitionsverhandlungen, dem viel beschworenen Aufbruch, ist nicht viel übrig geblieben. Kein Wunder.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine befindet sich die Regierung im permanenten Krisenmodus: explodierende Energiepreise, Inflation, Eier, Butter, Brot verteuern sich. Begleitend dazu: Corona. Dem Finanzminister bleibt nichts anderes übrig, als Hilfspakete in Milliardenhöhe zu schnüren. Man kann es auch so sagen: Die Idee des Neoliberalismus hat gerade nicht ihre Hochzeit. Dennoch klammert sich Lindner an das Wort Schuldenbremse, will einen „finanziellen Dammbruch“ verhindern.

Der Graben zwischen FDP einerseits und SPD und Grünen andererseits wird damit sichtbarer. Und dennoch ist der Handlungsspielraum der FDP in der Ampel begrenzt: Sie kann nicht hinwerfen (Stichwort: „Besser nicht regieren als schlecht regieren“) und sie darf nicht nur im Oppositionsmodus agieren. Sonst droht ihr ein ähnliches Schicksal wie 2013, als sie aus dem Bundestag flog.

Niemand weiß das besser als Christian Lindner. Er war es, der damals den liberalen Scherbenhaufen übernommen hatte. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn er sagt: „Eine Stärkung der FDP ergibt sich aus erfolgreichem Regierungshandeln.“ Es heißt übersetzt: Die Liberalen sind gefangen in der Ampel.

Thomas Sattelberger, Ex-FDP-Abgeordneter

„Mir blutet das Herz. Die Ampel-Koalition ist politische Vergewaltigung der FDP“

Lindners Aufgabe wird demnach sein, darauf zu achten, dass die Fliehkräfte in seiner Partei nicht zu groß werden. Und die sind jetzt schon sichtbar: Thomas Sattelberger, der erst vor Kurzem sein Bundestagsmandat niedergelegt hat, twitterte am Wahlabend: „Mir blutet das Herz. Die Ampel-Koalition ist politische Vergewaltigung der FDP.“

Auch der FDP-Finanzpolitiker Max Mordhorst sieht ein Problem in der „strategischen Uneinigkeit“. Die Partei müsse sich entscheiden: „Entweder weniger Störenfried oder mehr eigenes Profil.“ Für ihn ist die Entscheidung klar. „Mehr Eigenständigkeit und klare Kante, wenn die Grünen mal wieder Opposition in der Regierung spielen“, sagt er der taz. Nach konstruktiver Regierungsarbeit klingt das nicht.

Interessant wird auch sein, wie sich die FDP künftig beim Russlandkurs positioniert. Laut ZDF-Politbarometer gibt es unter den FDP-Anhängern nämlich eine deutliche Mehrheit, die sich eine größere Zurückhaltung bei der militärischen Unterstützung für die Ukraine wünscht. Es mag auch ein Erklärungsansatz dafür sein, warum die FDP so viele Stimmen an die AfD verloren hat.

Derzeit ist es aber vor allem die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die durch Forderungen nach mehr Waffen auffällt. Einen Grund für einen Kurswechsel sieht sie nicht. Die Liberalen gäben „ihre grundsätzliche Haltung nicht an der Garderobe ab“, sagt sie der taz. Die Partei werde sich „der Ernsthaftigkeit entsprechend national und international“ weiter engagieren. Ob das jedoch alle so sehen, ist fraglich. Im August forderte FDP-Vize Wolfgang Kubicki die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2.

Nouripour zittert mit der FDP

Die Orientierungslosigkeit der FDP bereitet denn auch den Koalitionspartnern Sorge. Sie fürchten, dass das Regieren in der Ampel noch ungemütlicher werden könnte. Am Wahlabend gegen 21 Uhr sitzt Grünen-Chef Omid Nouripour im Zug von Hannover nach Berlin. Auf der Rückfahrt von der Wahlparty der Landesgrünen gibt er im ICE ein Interview. Als die Bahn am Wolfsburger Hauptbahnhof einfährt, unterbricht er das Gespräch kurz: Endlich wieder Handy-Empfang, er muss die neuesten Zahlen checken. Nicht so sehr den Wert der Grünen, der hat sich schon zuvor über 14 Prozent eingependelt. Nouripour fiebert jetzt mit der FDP mit – und schaut enttäuscht wieder vom Handy auf. Weiterhin unter 5 Prozent, wie schon eine halbe Stunde zuvor bei der Abfahrt in Hannover.

„Wir machen unseren Job und die machen ihren“, wird Nouripour am nächsten Tag auf einer Pressekonferenz des Grünen-Vorstands in Berlin sagen. Er sei als Parteichef für die Grünen zuständig, nicht für die FDP. Und doch: Bis spät in den Abend habe er den Liberalen die Daumen gedrückt.

Birkner

Stefan Birkner(FDP) ist jetzt Teil der außerparlamentarischen Opposition Foto: Kay Nietfeld/dpa

Kaum jemand bei den Grünen ging es anders. Zwar kamen nicht alle guten Wünsche von Herzen. Der Verstand aber sagt vielen in der Partei: Eine krachende Niederlage der Liberalen in Niedersachsen und eine FDP im Krisenmodus machen das Regieren im Bund nur noch schwieriger. Die Sorge ist groß, dass die Kompromissbereitschaft des Koalitionspartners jetzt noch weiter sinkt. Bei den Landesgrünen in Hannover kommt hinzu, dass sie mit der FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag in der gemeinsamen Opposition gute Erfahrungen gemacht haben. Dass die Opposition künftig nur noch aus der erstarkten AfD und einer orientierungslosen CDU bestehen wird, bereitet der künftigen Regierungspartei Sorgen.

Aber was tun? Ein Mitleidsbonus in Form einer größeren Kompromissbereitschaft in inhaltlichen Fragen wäre Grünen-intern schwer durchzusetzen. In der Partei ist ohnehin schon die Ansicht verbreitet, dass die FDP in der Ampel viel zu viele Geschenke erhalte. Konzilianz in atmosphärischen Fragen ist da schon leichter zu machen. Auffallend freundlich reden schon seit Tagen viele Grüne über die Liberalen, wenn die Kameras laufen. Auf Twitter verzichtet am Wahlabend sogar die Grüne Jugend auf hämische Kommentare über das FDP-Aus. Nur: Mit Nettigkeiten alleine wird sich die FDP wohl kaum einfangen lassen.

SPD verständnisvoll wie noch nie

Auch die SPD hätte die FDP lieber im niedersächsischen Landtag gesehen. Im Willy-Brandt-Haus spricht SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil am Montag von einem „bitteren Ergebnis“ und sieht so aus, als leide er wirklich mit. Denn dass die Arbeit der Dreierkoalition mit einem wundgeriebenen Partner nicht leichter wird, liegt auf der Hand. „Dass das Regieren gerade schwierig ist, und dass wir es mit vielfältigen Krisen zu tun haben, ist offensichtlich“, sagt Klingbeil. Er glaube aber nicht, dass es ab nun schwieriger werde. Er klingt beschwörend und ermahnend zugleich. „Ich habe ein festes Verständnis davon, dass man in dieser Regierung zusammenarbeiten muss, damit am Ende alle erfolgreich sind.“

Das heißt umgekehrt: Scheitert die Ampel, kann das auch auf SPD und Grüne zurückfallen.

In der SPD bemüht man sich um einen möglichst schonenden und einfühlsamen Umgang mit dem Wahlverlierer. „Die FDP ist gerade in der schwierigsten Situation von uns dreien, denn sie hatte die Ampel nie als Wahlziel“, äußert sich der altgediente SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer verständnisvoll. „Dass die FDP jetzt Flagge zeigt und beweisen muss, wir sind noch da“, kann er ebenfalls nachvollziehen. Vielleicht müsse man den Spielraum der FDP in der Ampel symbolisch ein bisschen erweitern, überlegt Schäfer.

Das sind ganz neue Töne eines Parteilinken. Was das denn heiße, wenn es konkret um die Schuldenbremse gehe? Lindner will diese im nächsten Jahr unbedingt einhalten, aber dass im Falle einer Rezession keine neuen Kredite nötig sein werden, glaubt auch Schäfer nicht. Man müsse eben deutlich machen, dass es nicht um die Aussetzung der Schuldenbremse gehe, sondern darum, eine Situation gemeinsam zu meistern, in der das Gemeinwesen bedroht sei, so Schäfer. Bei Olaf Scholz sieht er dabei kommunikativ noch Luft nach oben.

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