Football in den USA: „Weiße Besitzer, schwarze Spieler“

Der Sportjournalist David Zirin hat einen Film über die Footballliga NFL gedreht. Seit Jahren kritisiert er die Zustände im US-Sport.

Szene aus einem Footballspiele der NFL

„Ist es weiße Suprematie, wenn weiße Fans gucken, wie schwarze Körper sich gegenseitig zerstören?“ Foto: imago/USA Today Network

taz: David Zirin, Sie waren ein enthusiastischer Footballfan, nun pflegen Sie eine kritische Distanz zu diesem Sport. Genießen Sie ihn manchmal dennoch?

Dave Zirin: Es ist für mich schon sehr schwer geworden, den Sport einfach zu genießen. Ich weiß zu gut, was alles hinter dem Produkt steckt. Ich weiß zu gut, was die Spieler durchmachen, um sich jeden Sonntag für das Spiel fit zu machen. Ich weiß zu viel über den Schmerz, der mit dem Spiel zusammenhängt. Trotz allem ist es natürlich noch immer eine formidable Form der Unterhaltung und vielleicht das einzige, was noch immer das ganze Land kulturell zusammenbringt. Football ist so allgegenwärtig, dass man als Journalist nicht daran vorbeikommt, vor allem nicht, wenn man, wie ich, über Sport und Politik schreibt. Wenn man Football nicht wahrnimmt, kann man nicht wirklich an unseren gesellschaftlichen Debatten teilnehmen.

Was hat der Football, das er alle Amerikaner anspricht?

Der Sport ist in vielerlei Hinsicht Amerika. Es hat mit großem Erfolg seine Kultur exportiert, egal ob man von Hollywood, Popmusik oder auch von Basketball spricht. Doch Football bleibt auf eine sture Art rein amerikanisch. Ich denke, der Sport bildet auf grundlegende Weise die amerikanische Erfahrung ab. Oder besser: die weiße amerikanische Erfahrung von der Besiedlung und Eroberung des Kontinents und der Idee, dass man sich durch Gewalt beweisen und erneuern kann. Die Nachfolgegenerationen der Siedler können das auf dem Footballplatz jedes Wochenende noch einmal durchleben. Football ist ein Substitut für den verlorenen amerikanischen Westen, für die „Frontier“, aber auch für alle anderen Kriege der amerikanischen Geschichte. In vielerlei Hinsicht ist Football eine pubertäre Vision des Krieges und somit durch und durch amerikanisch. Alles ist heroisch und glanzvoll, aber es stirbt niemand. Im Fernsehen sieht man ja nicht einmal die Verletzungen, wenn ein Spieler sich weh tut, dann kommt die Werbepause.

David Zirin

Der Sportkommentator der linken Wochenzeitung „The Nation“ beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Sport und Politik in den USA. Jetzt hat er einen Dokumentarfilm („Behind the Shield.The Power & Politics of the NFL. Featuring Dave Zirin“) über die Footballliga NFL und ihre Relevanz produziert.

Dieser Mythos der „Regeneration durch Gewalt“, den der Kulturkritiker Richard Slotkin schon in den 1970er Jahren beschrieben hat, wirkt nach wie vor?

Auf jeden Fall. Man muss sich nur die Anzahl der Waffen im Land anschauen oder die Art und Weise, wie das Land auf die vielen Schulmassaker reagiert. Ich denke Football reflektiert diese Akzeptanz der Gewalt.

Eine der zentralen Thesen Ihres Films ist, dass es keinen unpolitischen Sport gibt. Wie würden Sie die Politik beschreiben, welche die NFL vertritt?

Ich bin froh, dass Sie die Frage so stellen. Wenn man sonst über Politik in der NFL spricht, dann wandern die Gedanken der Leute sofort zu Colin Kaepernick und zu den Spielerprotesten. Die Reaktion der Kommentatoren auf diese Proteste, die leider oft darin besteht zu sagen: „Haltet euer Maul und spielt“, ist ja nur eine andere Art zu sagen, der Sport sei eigentlich apolitisch und diese politisierten Athleten würden das verderben. Aber die Realität ist natürlich, dass der Sport selbst eine sehr politische Entität ist. Die Politik, die der Football traditio­nell vertritt ist eine des Hypernationalismus, des Hypermilitarismus und der Männlichkeit. Es geht darum, was einen echten Mann ausmacht. Und weil die NFL eine so mächtige kulturelle Kraft ist, ist es wichtig, dass wir das analysieren und dekonstruieren. Sonst sickern Militarismus und toxische Männlichkeit, die dieser Sport verkörpert, immer tiefer in unsere Kultur ein.

War diese Ideologie von Anfang an Teil des Football?

In seinen Anfängen im 19. Jahrhundert war der Football ein Werkzeug, um Studenten der Elite Universitäten zu echten Männern zu erziehen. Es gab nach dem Bürgerkrieg unter der herrschenden Klasse das Gefühl, dass es eine Krise der Männlichkeit gibt, weil junge Männer nicht mehr die Erfahrung der Eroberung des Westens und des Krieges hatten. Das waren die Ursprünge des Sports und sie gingen einher mit vielen Todesfällen auf dem Spielfeld. Aber zum zentralen Bestandteil der amerikanischen Psyche wurde Football erst mit dem Anbruch des Fernsehzeitalters. Football ist wirklich der perfekte Sport für das Fernsehen. Das hat viele Gründe. Es gibt die Spielunterbrechungen, die perfekt für Werbepausen sind, es gibt das Überraschungsmoment, was wohl passiert, wenn der Ball aus dem Kamerablickfeld hinausfliegt. Seit den 1950er Jahren, als sich das Fernsehen ausbreitete, gab es auch eine massive Expansion des Footballsports.

In den 1960er Jahren wurde die NFL auch zu einem Propagandawerkzeug für den Vietnamkrieg und für die Nixonregierung. Wie das?

Das ist vor allem Pete Rozelle zu verdanken, der damalige Commissioner der NFL. Er hat nicht nur die Macht des Fernsehens erkannt, sondern auch die Macht, die darin lag, sich mit dem amerikanischen Militär zu verbünden. Als die Gegenkultur der 60er Jahre sich dann trotzdem in der NFL einnistete, stellte er sicher, dass sie so sehr entpolitisiert wurde wie möglich. Man erlaubte lange Haare und buschige Koteletten aber keine freie Meinungsäußerung.

Die NFL hat also von Anfang an in dem Kulturkrieg, der Amerika bis heute zerreißt, Stellung bezogen.

Ja, deshalb räume ich in meinem Film auch einem eher unbekannten Spieler namens Dave Meggyesy großen Raum ein. Er hat seine Karriere damals aufs Spiel gesetzt, weil er es nicht ertragen konnte, dass die Liga den Vietnamkrieg unterstützt.

Und er wurde genauso kaltgestellt wie heute Colin Kaepernick heute.

Ja, die NFL hat eine lange Tradition, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Wer setzt diese ultrakonservative Haltung durch?

Das sind ganz sicher die Teameigner. Das sind beinahe durchweg sehr konservative, sehr wohlhabende Männer. Pete Rozelle hat die Liga auf diese Spur gehoben, aber er hatte sehr reiche und einflussreiche Unterstützer. Die NFL-Besitzer repräsentieren das rechte Establishment der USA. Und weil die Teams meist innerhalb der Familien vererbt werden, gibt es über die Jahrzehnte auch eine starke politische Kontinuität innerhalb des Sports.

Eine Art von Oligarchie.

Ja, in der Tat. Die Oligarchie der NFL gibt es wirklich. Und wie jede Oligarchie wird sie von Generation zu Generation intellektuell immer schwächer.

Sie schlagen zum Ende des Films einen hoffnungsvollen Ton an, dass sich der Sport doch wandeln kann. Verlieren die Besitzer an Macht?

Nun, sie widersetzen sich dem Wandel, aber es gibt eben auch eine neue Generation rebellischer Athleten, die ein enormes Potenzial besitzen. Sie haben begriffen, was für eine formidable Plattform der Sport ihnen bietet. In dieser Hinsicht ist der Geist aus der Flasche. Die Tage, in denen Spieler einfach nur das Maul halten und spielen, sind endgültig vorbei.

Woran liegt ’s?

Ich denke, dass Athleten sich von sozialen Bewegungen inspirieren lassen, das hat es in der Geschichte oft gegeben. Die Black-Lives-Matter-Bewegung, die ja weltweit verbreitet ist, hat die Spieler zutiefst verändert. Sie hatten ganz stark das Gefühl, um es mit einer Sportmetapher zu sagen, nicht nur an der Seitenlinie stehen zu können. Sie hatten das Gefühl, Teil dieser Bewegung sein zu müssen und sie empfanden eine starke Solidarität mit den Communities, aus denen sie stammen und denen sie ihren Wohlstand verdanken. Aber es war nicht nur Black Lives Matter, es war auch die Verbreitung der sozialen Medien. Die Athleten konnten auf einmal die klassischen Medien umschiffen, die im Sport dazu neigen, sehr konservativ zu sein. Sie haben es als Befreiung empfunden, direkt mit den Fans sprechen zu können. Was man schließlich auch nicht vergessen darf, ist, dass Courage ansteckend ist. Erst sagt ein Spieler etwas, dann ein zweiter und plötzlich hat man eine kollektive Stimme.

Man kann also die Wirkung von Colin Kaepernick gar nicht überschätzen?

Sein großer Beitrag war es, dass er für den Kampf um Bürgerrechte eine neue Methode des Protestes gefunden hat. Er hat durch seinen Kniefall Protest machtvoll, authentisch und wichtig wirken lassen und hat damit eine ganze Generation von Sportlern geprägt. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass das alles schon sechs Jahre her ist, obwohl wir darüber reden, als sei es erst gestern gewesen. Es gibt Athleten, die damals 16 waren, die heute Profis sind. Für sie war Colin Kaepernick von Anfang an ein Vorbild.

Die NFL selbst bekennt sich ja nun auch immer mehr zu Inklusion und Bürgerrechten. Wie ernst darf man das nehmen?

Es ist das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche, das es gibt, seitdem es Bosse und Arbeiter gibt. Auf der einen Seite gibt es Leute wie Kaepernick und Megyessey, die die Peitsche bekommen. Auf der anderen Seite schreibt man „End Racism“ auf Werbetafeln und lässt Snoop Dogg beim Superbowl auftreten. Letztlich geht es nur darum, die Spieler davon abzuhalten, den Mund zu weit aufzumachen.

Im Kern hat sich die NFL also nicht verändert?

Richtig. Sie ist nur in ihren Mitteln, mit Widerspruch umzugehen, raffinierter geworden.

Wenn wir über Kaepernick und Black Lives Matter reden, müssen wir auch über „race“ im Football sprechen. Sie sagen, dass der Sport in seinem Kern zutiefst rassistisch ist.

In den Jahren 1930 bis 1947 waren schwarze Spieler komplett von dem Sport ausgeschlossen. Das Ganze wurde vorangetrieben von einem bestimmten Teambesitzer, der ein offener Rassist war, George Preston Marshall. Er weigerte sich für sein Team, die Washington Redskins, bis in die 1960er Jahre, schwarze Spieler aufzustellen. John F. Kennedy hat ihn schließlich dazu gezwungen.

Wie das?

Das Washingtoner Stadion steht auf Land des Bundes. Kennedy hat gedroht, Marshall von dem Land zu jagen, wenn er keine Integration seiner Mannschaft zulässt.

Ist die NFL Ihrer Meinung nach im Kern rassistisch?

Sie müssen sich doch nur anschauen, wer die Teams besitzt und wessen Körper zerstört werden. Es ist eine Liga, die zu 100 Prozent weißen Besitzern gehört und zu 70 Prozent schwarze Spieler hat. Es ist eine Liga, in der Besitzer Teams erben, während Spieler schnell reich werden müssen, weil sie aus der Armut kommen und nur ein paar Jahre Zeit haben. Also gibt es hier einen Geruch der weißen Suprematie? Hat es etwas mit weißer Suprematie zu tun, wenn weiße Fans sich anschauen, wie schwarze Körper sich gegenseitig zerstören? Natürlich ist das eine Vereinfachung, es gibt auch weiße Spieler, es gibt auch schwarze Fans. Aber im Kern ist etwas dran an der These vom Spektakel der Zerstörung schwarzer Körper zur Erbauung weißer Zuschauer.

100 Prozent der Spieler tragen langfristige gesundheitliche Schäden davon. Wie kann man diesen Sport noch seinen Kindern empfehlen?

Das ist ja das Erstaunliche. Die Popularität des Sports ist ungebrochen. Es gibt keinen wirklichen Aufstand gegen die NFL. Es gibt nur meinen kleinen Film. Aber ich glaube schon, dass die Leute langfristig von der NFL immer mehr angewidert sein werden. Von der Gewalt, von der Korruption, der Geldwäsche mit Staatshilfe. Der Sport wird von seinen Hardcorefans so lange verteidigt werden, bis es keinen Sport mehr gibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.