Die Wahrheit: Heizen mit Gästen

Eine sensationelle, schwer wissenschaftliche Entdeckung könnte die Energiekrise beenden und den frierenden Menschen eine warme Zukunft bringen.

Seit der bekannten Anekdote, dass der Mediziner Alexander Fleming das Penicillin beiläufig erfand, weil ein vergessenes und verschimmeltes Marmeladenbrot mit dessen Pilzsporen eine in der Nähe stehende Bakterienkultur in einer Petrischale erledigt hatte, weiß man um die Rolle, die der Zufall bei großen Erfindungen spielt. Das konnte ich nun vor ein paar Tagen in den eigenen vier Wänden selbst erleben.

Wir hatten zum ersten Mal seit dem Ende der Warmzeit in Europa einen Gast zu Besuch. Und weder an diesem Abend noch an irgendeinem anderen Tag in den sieben Monaten seit Kriegsbeginn haben wir geheizt. Es ist unser Beitrag gegen den Imperialismus und nährt die Hoffnung auf eine Gasrechnung im Null-Euro-Bereich.

Überall sind nun Decken ausgebreitet und ein Digitalthermometer mit Dezimalskala misst in Echtzeit den Fortgang der Brown’schen Molekularbewegung. Der Ausgangswert an dem Abend betrug übrigens 16,4 Grad Celsius, und der tapfere Gast bestand zum Glück weder auf das Anheizen noch auf eine Alpakadecke. Er ist freilich auch im Norden groß geworden, nämlich in Nordhessen.

Die Gespräche liefen gut, während ein nebenherlaufendes Fußballspiel eher faulig wirkte. Als der Gast nach Stunden ging, schaute ich aufs Thermometer. Es zeigte 17,3 Grad an, also fast ein ganzes Grad mehr als zu Beginn des Abends, obwohl man eher mit einer weiteren Abkühlung hätte rechnen können. Es konnte also nur einen Grund für die Raumerwärmung gegeben haben: den Gast! Ihm war die unentgeltliche Wärmezufuhr zu verdanken.

Schnell waren wir uns einig, dass in der Entdeckung ein großes politisches Potenzial verborgen liegt. Gegen die drohende Heizkrise hilft demnach nur: Besuch einladen! Und der Spareffekt ist sogar ein doppelter, denn der Besuch spart für die Wärme, die er auswärts erzeugt, zu Hause die Heizung. Eine Win-win-Situation an Thermostat und Heizungsknopf.

Selbstverständlich wäre die umgehende Gründung einer Großfamilie auch eine Möglichkeit, den Heizbedarf durch humanoide Körperabstrahlung zu minimieren, und ein historischer Rückblick ins bäuerliche, vorindustrielle Zeitalter ohne Zentralheizung und Fernwärmeversorgung lässt die Weisheit solcher Gesellschaften sofort erahnen. Der kuschelige Gewinn lässt sich sogar berechnen: Unseren Gast in eine Großfamilie von zwölf Personen potenziert, würde 11 Grad Zimmererwärmung ergeben – und dabei wären Tiere nicht einmal mitgerechnet.

Denn das waren damals mitnichten kalte Rehpinscher oder kühle Chihuahuas, sondern heißblütige Pferde und warmherzige Kühe gleich nebenan im Stall. Und so geht mir das kleine schwarze Pony, das kürzlich während der Trauerprozession für die Queen am Wegesrand stand, nicht mehr aus dem Kopf. Das jetzt hier im Wohnzimmer zu haben, wäre heizungstechnisch perfekt. Selbst farblich würde es gut passen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.