9-Euro-Nachfolgeticket in Berlin: Der Zauber des Anfangs ist weg

Berlins Alleingang beim Billigticket belastet die viel beschworene Nähe mit Brandenburg. Mit etwas Fingerspitzengefühl wäre das vermieden worden.

Das Bild zeigt Berlin Regierungschefin Franziska Giffey und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide SPD).

Schienen gemeinsam auf Kurs, bis das Ticket-Gezerre kam: die Nachbar-Länderspitzen Giffey und Woidke Foto: dpa

Warum? Warum ohne Not ein Verhältnis belasten, das gerade aufzublühen schien? Warum ohne Not eine – in Luftlinie – nur 30 Kilometer vom Roten Rathaus entfernt sitzende Nachbar-Landesregierung vergrätzen? Wieso viele Brandenburger in ihrer Überzeugung bestätigen, die Berliner schon immer ein Dominanzstreben unterstellten?

Das sind mehr als berechtigte Fragen nach dem Alleingang des rot-grün-roten Berliner Senats beim 9-Euro-Nachfolgeticket. Man sei nicht einbezogen worden, es habe keine Gespräche gegeben, nicht nachvollziehbar sei das Berliner Ansinnen, ein Affront für das Nachbarland sei das – das alles war nicht etwa nur von der in Potsdam, aber nicht in Berlin mitregierenden CDU zu hören.

Nein, auch Daniel Keller, SPD-Fraktionschef im brandenburgischen Landtag, machte klar: „Wir brauchen eine bundeseinheitliche Lösung, keine Sonderwege einzelner Länder.“ Allein die Brandenburger Grünen äußerten innerhalb der rot-schwarz-grünen Koalition Verständnis für ihre Berliner Kolleginnen und Kollegen.

Dabei hatte man vorher lange das Gefühl, dass die politischen Spitzen beider Bundesländer, Franziska Giffey und Dietmar Woidke, ein Herz und eine Seele waren. Eine geborene Brandenburgerin im Roten Rathaus, deren Bruder und Vater weiter in Briesen nahe Frankfurt/Oder eine Autowerkstatt betreiben, schien der Garant dafür, dass die auch zuvor schon zu hörenden Sätze von der gemeinsamen Metropolenregion mehr als Floskeln sein würden. Woidke wiederum war bei Giffeys Wahl im Abgeordnetenhaus Ende 2021 dabei; er hatte kurz davor den Berliner SPD-Landesparteitag besucht. Woidke gilt zudem als einer derjenigen, die Giffey einst den Weg ins Bundesfamilienministerium ebneten.

Warum nicht einfach das Sozialticket billiger und mehr Menschen zugänglich machen?

Wieso also all das konterkarieren? Die Antwort ist schlicht: Aus Eigeninteresse. So sehr Berliner Politikerinnen und Politiker auch in den vergangenen Tagen und Wochen betonten, an einer gemeinsamen Lösung mit Brandenburg interessiert zu sein: Sie machten letztlich nicht den Eindruck, dieser Gemeinsamkeit wegen Abstriche von ihren eigenen Vorstellungen zu machen – entweder würden die Brandenburger mitmachen oder Berlin die Sache alleine durchziehen, trotz gemeinsamen Verkehrsverbunds.

Zurück zum Gießkannenprinzip

Vor allem der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, drängte mantrahaft darauf, der Staat müsse den Bürgern etwas zurück geben, das Geld sei da. Dass das beim 9-Euro-Nachfolgeticket nicht zielgenau, sondern nach dem „Gießkannenprinzip“ passierte, wie etwa der Berliner BUND-Chef und langjährige Landespolitik-Kenner Tilmann Heuser feststellte, war den entscheidenden Köpfen egal.

Dabei lag eine Alternative nahe, wenn man es denn ernst meinte mit echter Entlastung, konzentriert auf die weniger Begüterten: Nicht ein 29-Euro-Ticket für alle, sondern das Sozialticket – bisher für 27,50 Euro zu haben – für knapp den halben Preis anzubieten. Und zwar für eine größere Gruppe als bisher, nämlich für alle, die Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein der höchsten Kategorie 180 haben. Das hätte grob gerechnet halb Berlin erfasst.

Das wäre es vielleicht wert gewesen, einen Streit mit Brandenburg zu riskieren. Doch für das, was Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann jetzt zurecht „Wahlgeschenk“ nannte, gilt das nicht. Ein Alleingang konnte im Nachbarland nur daran erinnern, dass Berlin sich schon immer in einer anderen Liga wähnte und in der Wahrnehmung des Umlands schon zu DDR-Zeiten vorrangig versorgt wurde. Dieser skeptische Blick auf die Bundeshauptstadt sorgte bereits 1996 dafür, dass die damals geplante Länderfusion in Brandenburg bei einem Volksentscheid klar scheiterte.

Wie also jetzt weiter? Brandenburgs Ministerpräsident Woidke ist natürlich zu sehr Profi, um offen vergrätzt gegenüber Berlin aufzutreten. Aber die besondere Stimmung und Chance, die sich daraus ergab – besser: zu ergeben schien -, dass zwei Menschen an der Spitze ihrer Bundesländer standen, die sich sichtlich gut verstanden, dürfte erstmal Vergangenheit sein.

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Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

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