Erinnerungsort für ein Gefängnis: In der Zelle erklingt eine Stimme

Hinter einer Backsteinmauer am Berliner Hauptbahnhof verbirgt sich die Geschichte eines Knasts. Dort sperrten die Nazis politische Gefangenen ein.

Eine Illustration zeigt stilistisch das ehemalige Zellengefängnis Berlin-Moabit, wo sich heute ein Geschichtspark befindet

Der Geschichts­park: früher stand hier das ehemalige Zellengefängnis Berlin-Moabit Illustration: Sebastian König

BERLIN taz | Weder vom Berliner Hauptbahnhof noch von der neuen Euro­pa-­City ist das Gelände einzusehen. Und doch liegt dort in ihrer Mitte, eingeklemmt zwischen der Lehrter Straße und der Minna-Cauer-Straße: das ehemalige Zellengefängnis Moabit. Heute ist es ein Geschichtspark.

Tritt man durch die Betonbögen in das eingemauerte Gelände wird es plötzlich still. Es ist, als habe der Ort seine Umgebung genauso vergessen, wie sie ihn. Zwei der ehemaligen Gefängnisflügel sind durch betongerahmte Furchen in den grünen Wiesen gekennzeichnet. Im Zentrum des Areals, das viel größer ist als zum Beispiel das Denkmal der Sinti und Roma vor dem Bundestag, steht eine nachgebaute Zelle aus Beton. Nicht mehr als sechs Quadratmeter misst der Quader.

Die Nationalsozialisten sperrten vor allem politische Gefangene in solche engen Zellen. In der Nacht des 22. April 1945, nur wenige Tage bevor Berlin vollständig in die Hände der Alliierten fiel, ermordete die Gestapo sechzehn dieser Gefangenen. Darunter der Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer. Als sein Bruder ihn fand, hatte er noch die fünf eng mit Gedichten beschriebenen DIN-A4-Seiten in der Hand, die 1946 als die „Moa­bi­ter Sonette“ herausgegeben wurden. Ein Audiowalk, zu finden auf der Website der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, führt einen vom Zellengefängnis bis zu Haushofers Grab.

Nach dem Krieg nutzten die Alliierten das Gefängnis. Am 11. Mai 1949 fand hier die letzte Hinrichtung eines Straftäters in Westberlin statt: durch die Guillotine. Ende der 1950er Jahre wurde der Komplex abgerissen; der Gefangenenfriedhof entwidmet und in eine Kleingartenanlage umgebaut. Bis 2003 war das Gelände ein Parkplatz.

Kampf ums Denkmal

„Für den Kiez hat das Denkmal vor allem in den 1990ern eine Rolle gespielt, weil damals viele darum gekämpft haben“, sagt Susanne Thorka vom Betroffenenladen, einer Kiezinitiative aus der Lehrter Straße. 2003 begannen die Arbeiten an dem Geschichtspark. 2007 bekam das Projekt den deutschen Landschaftsarchitekturpreis verliehen. Heute gehen die Leute aus dem Kiez manchmal zum Spazieren durch den Park, oder wenn sie zum Hauptbahnhof müssen.

Auf der anderen Seite führt die Minna-Cauer-Straße an der vier Meter hohen Gefängnismauer entlang zur neuen Europa-City. Moderne Wohn- und Büroblocks sind hier in den letzten Jahren hochgeschossen. Auf der Straße kennt niemand das Denkmal. Nicht einmal die Betreiber des hier ansässigen Europa-City-Imbisses haben auch nur davon gehört.

Zwischen der gläsernen Hochhausstadt und dem Hauptbahnhof liegt eine Zeltstadt im Schatten der Backsteinmauer. Das Roma-Lager war früher unter der Bahnbrücke. Am neuen Standort, neben dem Geschichtspark, sind die Einwohner dem Wetter gänzlich ausgesetzt. Sie haben kein Essen und es ist kalt, sagt einer, der seinen Namen nicht nennen möchte. Zum Geschichtspark sagt er nichts.

Die „Moabiter Sonette“

In der Zelle liest eine ruhige Stimme die „Moabiter Sonette“ vor. An der östlichen Mauer steht ein Gedicht von Haus­hofer: „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, ist unter Mauerwerk und Eisengittern ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern, das andrer Seelen tiefe Not enthüllt.“

Gegenüber dem Schriftzug liegen Spielplätze. An mehreren Stellen liegen zerknüllte Pullis herum. Zwei Männer aus dem Zeltlager sitzen hier und unterhalten sich. Eigentlich scheint niemand den Park so viel zu nutzen wie die Roma.

Rund 330.000 Reisende ziehen täglich durch den Berliner Hauptbahnhof. Wie viele von Ihnen wissen wohl, an was hinter der großen Mauer, die sie aus ihren Zügen für ein paar Sekunden sehen können, erinnert wird? Ein Ort, der gegen das Vergessen kämpft, könnte kaum vergessener wirken.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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