Schornsteinfeger übers Energiesparen: „Wir müssen uns halt selbst helfen“

Schornsteinfeger Alain Rappsilber wird immer mehr zum Energieberater. Im taz-Gespräch erklärt er, wie jedeR selbst ökologisch sinnvoll sparen kann.

Schreibende Hände vor einem Messgerät an Heizungsanlage

Viele kleine Veränderungen an der Heizung können Rechnung und Klima entlasten Foto: Klaus-Dietmar Gabbert

taz: Herr Rappsilber, Sie haben auf Ihrer Homepage eine Liste veröffentlicht mit 22 Energiespartipps von Ihrem Schornsteinfeger“. Was hat Sie dazu bewogen?

Alain Rappsilber: Wir Schornsteinfeger haben festgestellt, dass das, was von den Politikern gepredigt wird, nichts damit zu tun hat, was wir tagtäglich in den Wohnungen erleben.

Was wird denn gepredigt?

Dass die Leute kalt duschen und die Heizung auf 19 Grad runterdrehen sollen. Das ist keine Lösung, wir holen uns dadurch nur Schimmel, Asthmaprobleme und Erkältungskrankheiten ins Haus. In Zeiten von Corona dürfte das die Lage in den Krankenhäusern nicht gerade verbessern. Aber dass jemand den Menschen richtiges Heizverhalten erklärt – das habe ich bisher von keinem dieser Politiker gehört. Deshalb kam ich auf die Idee, die Liste zu machen.

Alain Rappsilber

geboren 1973 in Wilmersdorf, arbeitet seit 33 Jahren in Berlin als Schornsteinfeger. Verantwortlich ist er für den Kehrbezirk 0211 in Kreuzberg und einzelne Wohnblöcke in Hellersdorf und Marzahn. In der Schornsteinfegerinnung ist er zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.

Das sind alles Tipps, die Ihren Bereich betreffen.

Ja, es geht nur um die Heizung. Ich habe da noch keinen Kühlschrank angesprochen, keine LED-Lampe, es gibt ja viele Möglichkeiten, im Haushalt ein paar Grad einzusparen.

Ihre Vorschläge sind ziemlich kleinteilig.

Wenn gesagt wird, wir müssen 20 Prozent Energie sparen, ist immer von großen Baumaßnahmen die Rede, die viel Geld kosten. Meine Meinung ist: Man muss bei jedem Einzelnen im Kopf für eine Veränderung sorgen. Wenn jeder bewusst mit Energie umgeht, kann man in den Haushalten schon viel sparen, ohne dass es Geld kostet. Nein, man spart sogar noch Geld. Ich denke mal, das ist der erste Weg. Und dann muss man überlegen, was kann die Hausverwaltung oder der Eigentümer tun.

Geben Sie uns doch mal ein paar Tipps, was man selber machen kann.

Heizung richtig einstellen, Heizkörper frei stellen, also die Couch oder den Schreibtisch davor wegrücken, die Handtücher runter nehmen oder die Bücher- und die Plattensammlung 20 Zentimeter verschieben von der Heizung weg, so dass die Wärme wirklich zirkulieren kann. Hinter den Heizkörpern dämmen, so dass die Wärme wirklich in den Raum strahlt und nicht nach außen. Wichtig ist auch, dass man die Zimmertüren geschlossen hält. Und nicht zu vergessen: Heizkörper reinigen.

Wie bitte?

Ja! Ich war vorhin gerade wieder bei einer Abnahme von einer neuen Gastherme in einer Küche und habe mir gleich noch die Heizkörper angesehen. Bei dieser Frau waren die Heizkörper alle verschmutzt – inwendig, von außen waren sie total sauber. Ich habe die Blende abgemacht und alle Lamellen waren voller Fusseln und Staub. Ein bis zwei Millimeter Ablagerungen und Staub können bis zu 6 Prozent Verlust der Wärmestrahlung ausmachen. Ich habe der Frau geraten, sich dringend darum zu kümmern. Lange schmale Bürsten gibt es in jedem Baumarkt. Für all diese Dinge braucht man keinen Experten. Bei einer Millionen Heizkörper käme man da auf ein Sparpotenzial in Megawattbereichen.

Wann wäre es ratsam, eine Fachkraft einzuschalten?

Bei der Heizungwartung und -optimierung. Das sollte man auf jeden Fall machen lassen, denn: Jede dritte Heizung läuft mit zu hoher Wärmeleistung. Im Frühjahr 2022 haben die Berliner Schornsteinfeger kurzzeitig mehr als 4.000 Gasetagenheizungen überprüft. Dabei wurde festgestellt, dass circa 90 Prozent der Heizungen mit zu hohen Einstellungen im Verhältnis zur Wohnungsgröße laufen. Das ist so, als würdest du einen Trabi mit Porschemotor fahren, immer im ersten Gang auf 180.

Das hätten wir jetzt gern genauer.

Bei 70 Quadratmeter Wohnung bräuchte ich zwischen 7 und 8 Kilowatt Heizleistung in der Therme. Die Gastherme läuft aber meistens mit 18 oder 24 Kilowatt. In Zusammenarbeit mit der SHK-Innung in Berlin…

… der Innung für Sanitär, Heizung und Klima …

… könnten wir ein enormes Einsparpotenzial erzielen, wenn man die Thermen richtig einstellt beziehungsweise an den Wärmebedarf anpasst. Bei 225.000 Gasthermen in der Stadt hätte Berlin fast 20 Prozent eingespart, vorausgesetzt, die Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz schafft dafür die gesetzlichen Grundlagen. Das haben wir der zuständigen Senatorin Bettina Jarasch im Frühjahr auch schon alles vorgerechnet.

Und?

Frau Jarasch hat das sofort verstanden und weitergegeben. Aber ihre Fachabteilung hat es bis heute noch nicht verstanden, und jetzt rennt uns die Zeit weg. Wir Schornsteinfeger sind zurzeit ja ohnehin in den Wohnungen, um die jährliche Abgasmessung durchzuführen. Dabei könnten wir auch die Kilowatt-Leistung der Thermen zur Wohnungsgröße in Bezug setzen. Das würde den Mieter vielleicht 70, 80 Euro extra kosten, aber das Geld hat er innerhalb von Tagen raus. Manchmal habe ich den Eindruck, bestimmte Stellen wollen überhaupt nicht, dass Energie gespart wird.

Was liegt noch im Argen?

Es gibt Häuser, da ist nicht eine einzige Dämmung um die Rohre, oder die Treppenhäuser sind beheizt. Das Problem ist: In solchen Häusern gibt es oft keine Kontrolle, wenn sich die Mieter beschweren. In der Regel sind das Fernheizungshäuser, wir Schornsteinfeger sind da nicht zuständig. Wenn man guckt, wer der Eigentümer ist, ist es meist die soundsovielte Luxemburg-Trust. Das Einzige, worum es geht, ist Geldoptimierung.

Haben sich schon viele Leute mit elektrischen Zusatzgeräten eingedeckt – was sehen Sie da so in den Wohnungen?

Viele Leute haben sich Radiatoren und Heizlüfter zugelegt, aber nicht nur das: Die Leute haben sich auch Heizpilze gekauft. Vier-, fünfmal habe ich diese Dinger schon gesehen, und das ist ja nur ein kleiner Ausschnitt, ich komme ja bei Weitem nicht in alle Wohnungen. Als Schornsteinfeger frage ich mich, was da noch so alles rumsteht. Heizpilze sind brandgefährlich, man kann sich damit unter Umständen vergiften.

Wo sehen Sie bereits Veränderungen?

Viele, die früher Gasetagenheizung hatten und inzwischen an Fernwärme angeschlossen sind, haben sich Öfen in die Wohnungen gestellt. Sie sagen, damit kriege ich es wenigstens warm und es kostet nicht ganz so viel. Ich rate auch jedem, der noch irgendwo einen alten Ofen zu stehen hat, zu gucken, ob man den nicht reaktivieren kann. In den Altbauten gibt es fast überall noch Kamine. Als Schornsteinfeger würde ich auch kein Gewese machen, wenn der Ofen über 30 Jahre alt ist. Besser, die Menschen haben es warm und richten mit Strom oder Gas keine andere Katastrophe an.

Auch Kohle ist mittlerweile knapp.

Richtig. Inzwischen wird sogar schon nasses Holz an die Leute verscherbelt. Man muss den Ofen natürlich mit den richtigen Brennstoffen heizen, damit das sauber ist. Aber wenn Leute frieren, wird die Moral eine andere sein. Mal gucken, ob der Tiergarten noch lange steht.

Die Innungen der Schornsteinfeger und SHK haben zusammen mit den Berliner Stadtwerken, dem Energieberaterverband, Gasag, Vattenfall und anderen eine Berliner Energie-Einspar-Initiative gegründet. Was genau ist der Plan?

Wir haben Vorschläge mit dem Ziel erarbeitet, 20 Prozent Einsparungen zu erreichen. Dazu gehören sowohl kostengünstige Maßnahmen als auch Informationsveranstaltungen. Über mehrsprachige Flyer wollen wir zudem versuchen, über die Hausverwaltungen auch an problematische Gruppen heranzukommen. In den nächsten Tagen werden wir das Programm der Öffentlichkeit vorstellen. Wenn die Regierung es nicht schafft, müssen wir uns halt selbst helfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.