Orte des Wissens
: Ein bisschen Arkadienim Ödland

Am Hanse Wissenschaftskolleg wird interdisziplinär gedacht – in Delmenhorst, also abseits des akademischen Betriebs

Tag der offenen Tür 24. 9., 11–16 Uhr, Delmenhorst, Hanse Wissenschaftskolleg (Lehmkuhlenbusch 4).

Jubiläumsvorträge „Nicht ohne uns!“ (Mark Schweda, Oldenburg): 19. 9. 19.30 Uhr, Markthalle Delmenhorst;

„Die Grenzen der Wissenschaft“ (Armin Nassehi, München: 5. 10., 19.30 Uhr, HWK.

Delmenhorst ist nicht gerade ein Tou­ris­t*in­nenmagnet. Hoch verschuldet und mit einer hohen Arbeitslosenquote ist die Stadt im Jahr 2015 in einer Statistik zu der Anzahl der Übernachtungen auf dem letzten Platz gelandet. Und doch kommen jedes Jahr Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Künst­le­r*in­nen aus aller Welt angereist, um dort ihren Projekten nachzugehen: Das liegt am Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK). Dieses „Institute for Advanced Studies“, das jährlich 40 bis 60 Gast­wis­sen­schaft­le­r*in­nen empfängt, wird jetzt 25 Jahre alt.

Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen erhalten ein Stipendium, ein sogenanntes Fellowship. „In ihrer Zeit im Institut widmen sie sich dem Forschungsprojekt, mit dem sie sich beworben haben“, sagt Pressesprecher Bijan Kafi. Die Projekte können aus allen Bereichen kommen, wobei es einige teilweise regional bedingte Schwerpunkte gebe.

Dazu gehören Meeresforschung und erneuerbare Energien, aber auch auf Neuro- und Kognitionswissenschaft liege ein Fokus des Instituts. Zudem gebe es einen sozial- und geisteswissenschaftlichen sowie einen literarisch-künstlerischen Forschungsbereich. „Es ist etwas Besonderes, dass es bei uns Geistes- und Naturwissenschaften unter einem Dach gibt“, sagt Kafi, die meisten Institute seien auf eine der Richtungen spezialisiert.

Susan M. Gaines, ehemalige Fellow und Gründerin des Forschungsprogramms „Fiction Meets Science“, sieht darin eine der Stärken des Instituts: „Gespräche zwischen Geistes- und Na­tur­wis­sen­schaft­le­r*in­nen kommen normalerweise nicht zustande, aber am HWK finden sie täglich statt.“ Die Romanautorin Gaines war 2002 zufällig auf das Institut aufmerksam geworden, als ein Professor der Universität Bremen ihr vorschlug, ein Sachbuch am Kolleg zu schreiben. „Ohne das HWK hätte ich das Buch nie geschrieben“, sagt sie.

Auch die Künstlerin und Regisseurin Lena Kußmann, die dieses Jahr über das Programm „Artists in Residence“ am HWK war, um an ihrem Projekt über Wasser zu arbeiten, findet den Austausch zwischen Künst­le­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen verschiedenster Disziplinen produktiv: „Wenn man an der Uni forscht, bleibt man meistens an seinem Fachbereich.“ Den Dialog mit anderen Bereichen müsse man dort forcieren, während er durch die Struktur des HWK von selbst geschehe. Beide ehemaligen Gäste des Instituts erinnern sich gern an die wöchentlichen Fellow Lectures zurück, bei denen jeweils ein Fellow einen Vortrag über sein Thema hält, sodass es alle verstehen können. „Im Prinzip ist es wie eine WG für Forschende“, sagt Kußmann.

„Im Prinzip ist es wie

eine WG für Forschende“

Das Kolleg wurde immer mal wieder infrage gestellt, 2012 durch den Bremer Haushalts- und Finanzausschuss, zuletzt 2020 vom dortigen Landesrechnungshof. Dabei ist es ein weltweit angesehenes Institut, das laut Gaines sowohl die regionale Wissenschaft ankurbelt als auch die Sichtbarkeit der Universitäten von Bremen und Oldenburg steigert. So zog der Gründungsrektor des HWK und bekannte Hirnforscher Gerhard Roth Wis­sen­schaft­le­r*in­nen an. Nach ihm leitete es der renommierte Schweizer Biologe Reto Weiler. Aktuell heißt die Rektorin Kerstin Schill: Die Informatikerin und Humanbiologin ist zugleich Vize-Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Zur Feier des Jubiläums gibt es eine Reihe öffentlicher Vorträge: So referiert Starsoziologe Armin Nassehi am 5. Oktober über die Grenzen der Wissenschaft, schon am 19. September untersucht der Oldenburger Bioethiker Mark Schweda die Risiken und Nebenwirkungen partizipativer Forschung. Beim Tag der offenen Tür am 24. September erhalten Gäste einen Einblick in die Forschung der Fellows. „Ich glaube, dass es in der heutigen Zeit wichtiger denn je ist, diesen internationalen Austausch zu fördern“, sagt Kußmann. Emma Rotermund