Lkws vor dem Stillstand: Gaspreis bedroht Lkw-Verkehr

Das vorgeschriebene Abgasreinigungsmittel AdBlue wird knapp. Es ist ein Nebenprodukt der Düngerherstellung, die aufgrund hoher Gaskosten zu teuer ist.

Blick aus einem LKW auf eine Autobahn.

Wird es bald leerer auf den Autobahnen durch den AdBlue-Mangel? Foto: Bruno Kickner/imago

BERLIN taz | Der Lkw-Verkehr in Deutschland droht zusammenzubrechen, weil Lastwagen ohne das knapper werdende Abgasreinigungsmittel AdBlue nicht mehr fahren können. Denn der Kraftstoffzusatz ist ein Nebenprodukt der Kunstdüngerherstellung, die wegen der gestiegenen Erdgaspreise stark reduziert worden ist. Ohne Lastwagen würden zum Beispiel manche Lebensmittel bei vielen VerbraucherInnen nicht mehr ankommen: Über 70 Prozent aller Güter werden laut Logistikbranche per Lkw transportiert.

„Erneut gestiegene Gaspreise führten zu höheren Produktionskosten, weshalb Hersteller die Produktion drosseln oder abschalten. Dadurch ist AdBlue in Deutschland so knapp geworden, dass die ersten AdBlue-Pumpen an Tankstellen für kurze Zeiträume leerlaufen“, heißt es im aktuellen Marktkommentar der Preisberichterstattungsagentur Argus Media. Habe der Krafstoffzusatzes vor einem Jahr 130 Euro pro Kubikmeter ab Werk gekostet, seien es jetzt ungefähr 1000 Euro, so Argus-Marktexperte Hagen Reiners. „Die Situation spitzt sich derzeit zu. Uns erreichen vermehrt Meldungen von den Mitgliedsunternehmen, dass die Lieferanten und Händler Probleme haben, AdBlue zu liefern“, sagte Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, der taz.

„Wenn wir kein AdBlue bekommen, stehen in Deutschland die Lkws“, warnt der Speditionslobbyist. Rund 90 Prozent hätten einen neueren Dieselmotor, würden bei zu wenig AdBlue eine Warnmeldung geben und ließen sich nach wenigen Kilometern nicht mehr starten. Nur mit der Harnstofflösung stoßen die Motoren so wenig gesundheitsschädliches Stickoxid aus, dass sie die Abgasvorschriften einhalten. Genauso betroffen sind Busse, Traktoren und Baumaschinen. Auch viele moderne Pkws benötigen AdBlue, sie verbrauchen aber pro Kilometer weit weniger.

Doch zum Beispiel der größte deutsche AdBlue-Hersteller, die SKW Stickstoffwerke Piesteritz in Lutherstadt Wittenberg, hat die Produktion aus technischen Gründen bereits am 14. August eingestellt. „SKW steht vollkommen“, sagte Marketingleiterin Antje Bittner der taz. Dadurch fielen 40 Prozent des deutschen AdBlue-Marktes aus. „Mittlerweile ist eine der Anlagen in der Lage, wieder gestartet zu werden. Momentan ist das aber wirtschaftlich nicht sinnvoll.“

Kunstdünger aus Nordafrika billiger

Denn um Harnstoff für AdBlue zu produzieren, gewinnt SKW zunächst aus Gas Ammoniak. Aber nur ein kleiner Teil davon kann zu Harnstoff für AdBlue verarbeitet werden, ungefähr die Hälfte wird laut Bittner Kunstdünger. Der ist jedoch wegen der hierzulande hohen Erdgaspreise so teuer geworden, dass die Landwirte dem Industrieverband Agrar zufolge vermehrt billigere Konkurrenzprodukte etwa aus Nordafrika, den Golfstaaten oder den USA kaufen. Dort koste das Gas weniger. SKW und viele andere Kunstdüngerhersteller in der EU produzieren nun weniger oder gar kein Ammoniak und damit AdBlue.

Das Abgasreinigungsmittel lässt sich derzeit nicht durch Importe ersetzen. Die EU produziere bisher ihren gesamten Bedarf, sagt Marktanalyst Reiners. In Nordafrika etwa existierten keine ausreichend großen Produktionskapazitäten, ergänzt Speditionslobbyist Engelhardt. Und es fehlt laut SKW-Mitarbeiterin Bittner die nötige Logistik für Importe von außerhalb der EU.

Bittner fordert deshalb Hilfe vom Staat. „Wir brauchen Unterstützung, dass diese Gasumlage mindestens wegkommt. Und wir brauchen eine Gaspreisdeckelung“, sagt die Marketingchefin. Die SKW-Geschäftsführung sei deshalb vergangene Woche im Bundeskanzleramt gewesen. In dem Unternehmen mit 860 MitarbeiterInnen drohe Kurzarbeit ab Oktober. Das zuständige Wirtschaftsministerium ließ eine Anfrage der taz bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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