Die deutsche Nüchternheit: Von Protz und Pathos

Deutsche Führungsfiguren kleiden sich bevorzugt wie Sparkassen-Azubis. Was das mit der verinnerlichten Abneigung gegen Protz und Pathos zu tun hat.

Ein Paar abgewetzter Herrenschuhe

Schuhe von Robert Habeck. In Deutschland vertraut man stilbewussten Menschen nicht Foto: Michael kappeler/dpa

Wenn es zwei Dinge gibt, die der Deutsche hasst, dann sind das: Protz und Pathos. Letzteres ist natürlich nur eine Pose, die Pose des Pathoshassens, denn niemand hat je wieder ein annähernd nerviges Pathos zustande gebracht wie die Deutschen in der Romantik. Aber der moderne Deutsche gibt sich eben nüchtern. Ihm missfällt alles, was über die Stränge schlägt. Was zu grell, zu laut, zu offensichtlich, zu selbstbewusst und zu schön ist.

Als der US-Rapper Kanye West diese Woche auf seinem Instagram-Account Porträts einer gesamten Management-Etage veröffentlichte, wusste man sofort: Man blickt in deutsche Gesichter. Und zwar gar nicht vom Phänotyp, sondern vom Style her. Die matten Frisuren, die angestrengten Blicke, die biederen Brillen, alles an diesen Personen schrie „bodenständig“, sodass man sich förmlich vorstellen konnte, wie sie alle gewissenhaft in Herzogenaurach sitzen und Adidas verwalten – einen der mächtigsten Modekonzerne der Welt. Hintergrund des Posts war ein Streit zwischen dem Konzern und West, der seit einigen Jahren seine eigene Kollektion für Adidas designt. Mit dem kommentarlosen Post der Porträts, die anscheinend von der Adidas-Website kopiert waren, schien der Rapper implizit zu fragen: Was verstehen diese Menschen überhaupt vom Modebusiness?

Kanye West ahnt nichts von der deutschen Nüchternheit

Was West möglicherweise nicht ahnt: In Deutschland vertraut man stilbewussten Menschen nicht. All unsere Politiker_innen und Manager_innen und Führungsfiguren kleiden sich wie Sparkassen-Azubis im zweiten Lehrjahr. Das gehört eben dazu. Wir haben keine Theresa May mit knallbunten Designerschuhen, keine AOC in gutsitzenden Zweiteilern, keine arschwackelnde Sanna Marin in Hotpants und Lederjacke. Wir haben Karl Lauterbach und Nancy Faeser und Cem Özdemir. Und es sind nicht einmal nur die Klamotten und Frisuren und Brillen. Es ist eine ganz bestimmte Haltung, die suggeriert: „Ich bin so fleißig und bodenständig, ich schaue nicht mal in den Spiegel, mache bloß meinen Job, also vertrau mir.“

Und dann haben wir noch Patricia Schlesinger, die nicht nur ziemlich gut gekleidet ist, sondern, so der Vorwurf, auch noch Steuergelder verprasst; die sich in eine unverschämt selbstwusste, geradezu pathetische Pose wirft und die Deutschen diese Woche damit ein weiteres Mal zur Weißglut brachte. Das Foto der geschassten rbb-Intendantin vom Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit ging auf Social Media viral. Darauf hockt Schlesinger breitschultrig und mit zurückgeworfenem Haar auf einem schwarzen Ledersofa, wirft eine Hand fordernd in die Luft und blickt herab. Auf uns alle. Nur schade, dass Schlesingers Antworten nicht ansatzweise so draufgängerisch sind wie ihr Blick in die Kamera.

Patricia Schlesinger in pathetischer Pose

Oops, sie habe nicht gewusst, dass das teures italienisches Eichenparkett war, das sie in ihrem Büro auslegen ließ. Och, die Massagesitze in ihrem Audi A8 habe sie ja nie benutzt. Na, der Massagesessel in ihrem Büro sei für Mitarbeiter_innen mit Rückenproblemen gewesen. Tja, einen Chauffeur habe sie bloß gebraucht, damit sie auf Autofahrten emsig habe weiterarbeiten können. Ach so, und die beim rbb abgerechneten Champagner-Abende in ihrem Zuhause seien ja wohl reine Arbeitstreffen zum Netzwerken gewesen. Das sollen also die Antworten des auf dem Foto posierenden, hollywoodreifen Bösewichts sein? Eine klassische Text-Bild-Schere.

Man wünschte, Schlesinger würde nach dem Verlust ihres Postens wenigstens reinen Tisch machen und uns erklären, welchen Unterschied es macht, mit dem Massagestuhl über hochwertiges Eichenparkett zu rollen oder über Laminatplanken von Poco Domäne. Wenigstens in Gedanken möchte man doch an dem Luxus teilhaben. Diesen Protz und dieses Pathos ist sie uns schließlich schuldig.

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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