Rede zur Lage der Union in Straßburg: Die Frau der großen, vagen Worte

In ihrer Rede zeigt sich Kommissionspräsidentin von der Leyen solidarisch mit der Ukraine. Wie es mit dem Krieg weitergehen soll, bleibt jedoch offen.

Ursula von der Leyen in gelber Jacke von oben gesehen, sie steht mit ausgebreiteten Armen am Rednerpult

Große Geste, richtige Farben – Ursula von der Leyen hält ihre Rede vor dem Europäischen Parlament Foto: Foto: Frederick Florin/dpa

BRÜSSEL taz | Eine große Rede zur „Lage der Europäischen Union“ hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt. Um die Energiekrise und die Ängste der Menschen in diesem Kriegsherbst sollte es gehen, viele Hoffnungen waren mit dem Auftritt im Europaparlament in Straßburg am Mittwoch verbunden.

Doch dann drehte sich erst mal alles um die Ukraine. In der ersten Reihe saß Olena Selenska, die First Lady aus Kiew, sie war eigens angereist. Dann kam von der Leyen: Sie war demonstrativ in den ukrainischen Landesfarben gekleidet: gelber Blazer auf blauer Bluse. Blau und gelb ist dann auch ihre Rede. „Nie zuvor wurde in diesem Haus über die Lage unserer Union debattiert, während auf europäischem Boden Krieg herrscht“, setzt die CDU-Politikerin an. „Slava Ukraini“ – Ruhm der Ukraine – ruft sie an einer zentralen Stelle aus.

Nicht weniger als 28-mal wird von der Leyen an diesem Tag die Ukraine ansprechen, sie ist Dreh- und Angelpunkt ihres 57-minütigen Vortrags. Doch wer große Neuigkeiten erwartet hatte, wird enttäuscht. Die Ukrainer sollen bald keine Roaminggebühren fürs Handy mehr bezahlen und besseren Zugang zum Binnenmarkt erhalten, das war’s.

Ansonsten: Im Osten nichts Neues. Keine neuen Waffen, keine weiteren Sanktionen, auch keine diplomatische Initiative, die angesichts des ukrainischen Vormarschs endlich denkbar wäre. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt auf eine Verhandlungslösung, von der Leyen offenbar nicht. „Das ist die Zeit für uns, Entschlossenheit zu demonstrieren und kein Appeasement“, betont die ehemalige Verteidigungsministerin. Europa habe seit dem ersten Tag an der Seite der Ukraine gestanden und werde dies auch weiter tun. „Putin wird scheitern, die Ukraine und Europa werden sich durchsetzen.“

Der Beifall ist mäßig. Er wird auch nicht größer, als sich die Kommissionspräsidentin endlich den Themen zuwendet, die den Menschen in der EU wohl auf den Nägeln brennen. Werden wir heil durch Herbst und Winter kommen, wie sollen wir die Strom- und Gasrechnung bezahlen? Und was tut Brüssel konkret für uns? Von der Leyen weicht diesen unangenehmen Fragen aus. Sie flüchtet in die hohe Politik – und attackiert erst mal Kremlchef Wladimir Putin. Der führe einen „Energiekrieg“ gegen Europa und manipuliere den Markt. Nur deshalb gebe es Probleme. Eigene Versäumnisse kann sie nicht erkennen.

Den Sommer verschlafen

Dabei diskutiert die EU schon seit einem Jahr über die explodierenden Gas- und Strompreise. Die EU-Kommission habe viel zu spät auf die explodierenden Preise reagiert, klagt Ratspräsident Charles Michel. „Wir haben den Sommer verschlafen“, kritisiert sogar der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber.

Doch nun soll plötzlich alles ganz schnell gehen. Die geplante Abschöpfung der Gewinne von Stromerzeugern werde den Mitgliedstaaten „mehr als 140 Milliarden Euro einbringen“, sagt die Kommissionspräsidentin. Das Geld werde „denjenigen zugute kommen, die es am meisten brauchen“.

Wie das gehen soll, bleibt allerdings offen. Darüber müssen die Energieminister auf einer Krisensitzung Ende September entscheiden. Das letzte Treffen am vergangenen Freitag war ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen. Danach hatte von der Leyen ihren radikalsten Vorschlag – einen Preisdeckel für russisches Gas – fallen lassen. Er fand keine Mehrheit.

Weniger Wettbewerbsfähigkeit

Nun versucht sie es mit unverbindlichen Vorschlägen, die allen gefallen und niemandem weh tun. In der Krise müssten auch die Krisengewinner zur Kasse gebeten werden, sagte sie. Das sei ein Gebot der sozialen Marktwirtschaft. Ob das reicht, um die EU durch die Krise zu bringen, ist offen. Die Gewerkschaften sind skeptisch.

Nun gehe es darum, die „warmen Worte“ in einen konkreten Schutz der Arbeitnehmer umzusetzen, sagte der Chef des Europäischen Gewerkschaftsbunds, Luca Visentini. Die Kommissionspräsidentin habe kein einziges Mal die Löhne erwähnt. Dabei laufen den Menschen die Lebenshaltungskosten davon. Sorgen machen sich auch die Unternehmen. Wegen der explodierenden Energiekosten verlieren sie rasant an Wettbewerbsfähigkeit, einigen Firmen droht das Aus. Doch wieder weicht von der Leyen aus. „Die bevorstehenden Monate werden nicht leicht“, räumt sie ein. Direkte Hilfen sind jedoch nicht geplant.

Stattdessen gelobt von der Leyen, die Bürokratie abzubauen – ein Dauerthema, das schon Edmund Stoiber (CSU) in Brüssel beschäftigt hat. Zudem kündigt sie ein „Jahr der Aus- und Weiterbildung“ an – sogar auf Deutsch, damit es die Arbeitgeber in Berlin oder München besser verstehen.

Danach wurde es bunt und beliebig. Von der Leyen würdigte Queen Elizabeth („eine Legende“), klagte über das Ende der alten Weltordnung und kündigte eine neue Außenpolitik an, die sich auf westliche Werte stützen soll. Künftig werde man mehr mit gleichgesinnten Partnern zusammenarbeiten und sich von China unabhängiger machen.

Zudem versprach sie, die Staaten des westlichen Balkans sowie Moldau und die Ukraine in die EU aufzunehmen: „Ohne euch ist unsere Union nicht komplett.“ Damit schloss sich der Kreis, jedenfalls aus Sicht der EU-Präsidentin. Am Abend reiste sie nach Kiew, um mit Präsident Wolodymyr Selenskyj über die künftige, noch engere Zusammenarbeit zu beraten. Die Probleme der EU wird sie dort allerdings nicht lösen können. „Von der Leyen unterschätzt die sozialen Probleme“, kritisierte der SPD-Europapolitiker Jens Geier nach der Rede in Straßburg. „Wir vermissen Action bei der Durchsetzung des Rechtsstaats“, sagte Ska Keller von den Grünen.

Vor allem Ungarn und Polen setzen sich immer wieder über Demokratie und Rechtsstaat hinweg. Doch von der Leyen hat diese Länder in ihrer Rede mit keinem Wort erwähnt. Es ist ihr offenbar leichter gefallen, über die Ukraine zu sprechen, als über die Probleme vor der eigenen Haustür.

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