Umgang mit der Kunststätte Bossard: Drei Hektar Schwieriges

Johann Michael Bossard baute ab 1911 ein krudes Gesamtkunstwerk samt Hakenkreuz in der Lüneburger Heide. Die Frage ist: Was tun damit?

Unter blauem Himmel sind Wohnhaus und Kunsttempel der Kunststätte Bossard in Jesteburg östlich von Buchholz in der Nordheide zu sehen.

Taugt nicht zum Feiern, aber auch nicht zum Ignorieren: die Kunststätte Bossard Foto: dpa / Michael Chmella

JESTEBURG taz | „Die Leute sind doch verrückt!“, sagt der ältere Mann; halblaut, aber so, dass es die anderen Besucher doch noch hören. Starr richtet er den Blick auf den mit Ornamenten verzierten Fußboden vor sich: „Das sind doch nur Muster! Was denken die sich denn immer?“ Seine Frau inspiziert derweil die bunten, verzierten Glasfenster, die den kathe­dralenartigen Raum in mildes Licht tauchen. „Das ist der heutigen Zeit geschuldet“, sagt sie gelangweilt und dreht sich weg.

Was die beiden zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht wissen: Das berüchtigte Hakenkreuz ist nicht im sogenannten „Kunsttempel“ in den Fußboden eingelassen, sondern nebenan, im „Edda-Saal“. Dort erzählt aber auch eine Erklärtafel davon, dass man das Hakenkreuz einerseits übermalt habe; die Farbe aber andererseits jederzeit wieder entfernen könne. Immerhin steht doch der Saal mit all den Skulpturen und Verzierungen unter Denkmalschutz; überhaupt soll alles so erhalten werden, wie es einst geschaffen wurde.

Jahrzehntelang fiel die Kunststätte Bossard bei Jesteburg nicht weiter auf; kursierte eher als skurriler Ausflugstipp, wo man Station machen könne, mit dem Auto, mit dem Fahrrad, bei einer Heidetour.

Ein drei Hektar großes Grundstück erwarb 1911 der Expressionist Johann Michael Bossard (1874–1950), der hier, fern der verderblichen Großstadt, ein Gesamtkunstwerk erbauen wollte und auch sich selbst versorgen. Zwei Jahre später begann Bossard, seit 1907 Lehrer für Bildhauerei an der Hamburger Kunstgewerbeschule, mit dem Bau seines Wohn- und Atelierhauses.

Heike Duisberg-Schleier, Leiterin der Kunststätte

„Es ist im Stiftungszweck nicht formuliert: ‚Bossard war ein toller Künstler, und alles ist gut.‘ Wir erhalten die Gebäude, wir erhalten die Kunst – und setzen sie in den richtigen Kontext“

Dann kam ihm ein Krieg dazwischen, von dem man damals noch nicht wissen konnte, dass er der Erste Weltkrieg werden würde; einer, auf den sich Bossard aufrichtig freute: „Einen notwendigen, einen herrlichen Krieg“ nannte er ihn in einer „Werbeschrift an meine Freunde“, gedacht für Unterstützer und vor allem für Mäzene, auf die er zeitlebens angewiesen war.

Spätestens jetzt ahnt man, dass sich hier nicht nur ein etwas verschrobener Künstler zwischen Heide und Wald eben bildnerisch und skulptural ausgetobt hat, erst recht, als er 1926 seine einstige, 29 Jahre jüngere Kunstschülerin Jutta Krull (1903–1996) geheiratet hatte und die beiden ihr Refugium mehr und mehr ausgestalteten: in klarer Opposition zu den modernen künstlerischen und kulturpolitischen Strömungen der Weimarer Jahre, mit Rückgriff auf die Lebensreformbewegung und einen teilweise wüsten Mix aus Germanenmythologie und Okkultismus.

Was sich nach 1933 fortsetzte, auch wenn nach derzeitigem Stand der Forschung Johann Bossard kein glühender Nationalsozialist war. Aber mitgemischt hätte er gern bei den Nazis, sie mit seinen völkisch-geerdeten Kunstidealen beglückt.

Ein bunt gefliester Raum mit einem Altar in der Mitte und kleinteiligen Wandverzierungen.

Beherbert tausende Kunstwerke: Der Kunsttempel der Kunststätte Bossard Foto: dpa | Peer Körner

Umso tiefer enttäuscht und wohl auch persönlich gekränkt war Bossard, als 1933/34 in Hamburg sein Entwurf für ein „Denkmal für die Kämpfe um die nationale Erhebung gefallenen SA-, SS- und Sta-Männer auf der Moorweide“ klanglos durchfiel. Auch ein lange herbeigesehnter Besuch des damaligen NS-Kunst-Beauftragten Alfred Rosenberg im August 1934 endete desaströs: Bossards Kunstanwesen war den Nazis einfach zu versponnen und abseitig; zu sphärisch und vor allem zu wenig heldenhaft, nicht zielgerichtet und nicht propagandistisch praktikabel genug. Rosenberg blieb nur zum Mittag­essen.

Richtig publik wurde all das, als 2018 Pläne bekannt wurden, die Kunststätte erheblich zu erweitern: Eine Art Kunsthalle der Lüneburger Heide sollte entstehen. Geschätzte Kosten: elf Millionen Euro, wobei der Bundestag gleich eine 50-Prozent-Förderung in Aussicht stellte. Auch weitere Geldgeber signalisierten Zustimmung, der Landkreis Harburg etwa winkte mit zwei Millionen.

Die Kunststätte Bossard beteiligt sich am „Tag des offenen Denkmals“: Sonntag, 11. 9., 11 bis 18 Uhr, der Eintritt ist frei; weitere Infos: www.bossard.de

Doch dann protestierten nicht nur lokale Na­tur­schüt­ze­r gegen die ihrer Meinung nach unpassende „Betonoptik“ eines Neubaus; mehr Wirkung zeigte ein Artikel des Spiegel-Journalisten Martin Doerry – Überschrift: „Steuergeld fürs Hakenkreuz“. Er löste bundesweites Presseecho aus, aber vor allem Nachfragen, und mancher Bezirkspolitiker, eben noch träumend von einem Touristenmagneten jenseits frisch gekürter Heidekönigin und handgeschleuderten Honigs, bekam kalte Füße.

In der Folge trat man energisch auf die Bremse. Statt zu bauen beauftragte die Kunststätte mit dem Institut für Zeitgeschichte eine unabhängige Institution, sich mit Leben und Werken des Künstlerpaars zu beschäftigen. Seit vergangenem Jahr liegt ein bemerkenswert detailreiches Vorgutachten des Historikers Tobias Hof vor, zu finden auch auf der Homepage der Stätte; es ist sehr lesenswert.

Und was soll jetzt mit der Kunststätte passieren, die von einer Stiftung geführt wird? Heike Duisberg-Schleier, seit 2020 Leiterin des Hauses, reizt gerade die Auseinandersetzung mit dem schwierigen Künstler und seinem Umfeld: „Wir können hier eine Stätte bilden, in der wir uns dem Wirken eines Künstlers und seiner Zeit widmen, der ganz sicher nicht die Gesinnung und die Haltung hatte, die wir heute gutheißen.“

Dieses Vorgehen sei durch die Stiftungsstatuten selbstverständlich gedeckt: „Es ist im Stiftungszweck nicht formuliert: ‚Bossard war ein toller Künstler, und alles ist gut.‘ Sondern: Wir erhalten die Gebäude, wir erhalten die Kunst – und wir vermitteln sie und setzen sie in den richtigen Kontext.“

Dabei ergebe sich vor allem eine Perspektive durch die weitere Forschung und die Aufgabe, diese an das breite Publikum weiterzugeben und sie nicht in Fachkreisen zu belassen: „Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann ein Projekt, das über ein Jahr geht, wo wir mit Studierenden, mit Doktoranden oder Postdoktoranden zusammenarbeiten, um ein neues Vermittlungskonzept zu erarbeiten, um unsere Forschungsergebnisse zu vermitteln.“ Entsprechende Fördergelder seien beantragt.

Im kommenden Jahr soll auf das Vorgutachten das eigentliche Gutachten folgen. Konzentrieren will man sich besonders auf zwei Fragestellungen: „Es geht zum einen um den Blick ins Private des Ehepaars Bossard“, so Duisberg-Schleier. „Dabei wollen wir besonders die Figur der Jutta Bossard in den Fokus nehmen, die bisher nur am Rande auftaucht.“ Auch weil es noch Zeit­zeu­gen gebe, die sie gekannt haben. „Zum zweiten wollen wir den Künstler in den Kontext zeitgenössischer Künstler stellen; wollen schauen, welche Parallelen, aber auch welche Unterschiede es gibt.“

Fortgesetzt wird auch die begleitende Veranstaltungsreihe „Reden wir über Bossard“, der man auch auf Youtube folgen kann. Und am 26. September lädt man zu einer Fachtagung: „Zum Umgang mit schwierigem Erbe“. Zu Gast sein wird unter anderem die Nolde-Stiftung Seebüll und das Berliner Georg-Kolbe-Museum – zwei weitere Häuser, die einen produktiven Umgang mit „ihren“ Künstlern finden müssen; und mit deren Verhältnis zum Nationalsozialismus. Es gibt noch freie Plätze.

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