Demonstrant blockiert Auto

Foto: Florian Boillot

Prozess gegen Autobahn-Blockierer:Klebrige Angelegenheit

Nils R. steht vor Gericht, weil er sich auf eine Straße geklebt hat. Was wiegt mehr – die Not des Klimas oder die Nötigung von Berufspendlern?​

Ein Artikel von

1.9.2022, 17:16  Uhr

Gleich nach Beginn des Prozesses liest der zwanzigjährige Nils R. eine persönliche Erklärung von einem Blatt Papier ab: „Vor nur wenigen Monaten hätte ich es mir nicht vorstellen können, in meinem Leben mal vor Gericht zu stehen“, sagt der Klimaaktivist am Dienstag vor dem Jugendrichter des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten.

Der Philosophiestudent aus Leipzig, mit einem Bartflaum auf der Oberlippe, angeklagt wegen einer von der Gruppe „Letzte Generation“ organisierten Autobahnblockade, wirkt nicht wie ein überzeugter Revolutionär, sondern eher wie ein nervöser junger Mann. Seine Erklärung liest er mit monotoner Stimme und nicht besonders laut vor. Hier vor Gericht und im Mittelpunkt zu stehen, scheint ihm sichtlich unangenehm zu sein.

Und doch sind die Worte, die er vorliest, klar: Er habe in „angenehmer Ignoranz“ gelebt, den „menschengemachten Klimawandel“ verdrängt, sich nur Gedanken um seine persönliche Zukunft gemacht – bis er sich doch mal mit dem Klima beschäftigt habe, mit Hungerkatastrophen, Waldbränden, Überschwemmungen. „Ich konnte nicht mehr einfach so weitermachen wie bisher“, sagt R. „Was bringt es mir, auf meine Lebensträume hinzuarbeiten, wenn wir auf eine Welt zusteuern, in der Lebensträume irrelevant sein werden?“

Die Klimabewegung habe viel erreicht, aber nicht genug, sagt er. R. steht dazu, dass er die Autobahn blockiert hat. Er sagt: „Es tut mir leid, dass wir stören müssen, aber wir müssen stören.“ Noch mehr jedoch tue es ihm leid, „dass die Bundesregierung weiterhin nicht unserer Lage entsprechend handelt.“

Nils R., Angeklagter, zu den Gründen für seinen Protest

„Es tut mir leid, dass wir stören müssen,aber wir müssen stören“

Nils R. ist der erste aus der Gruppe „Aufstand der Letzten Generation“, der in Berlin wegen Straßenblockaden vor Gericht steht. Er blockierte zusammen mit sechs weiteren Ak­ti­vis­t*in­nen Ende Juni um acht Uhr morgens eine Zufahrt der Stadtautobahn in Berlin-Wedding, der meistbefahrenen Autobahn Deutschlands. Seine linke Hand klebte er dafür mit Sekundenkleber auf der Straße fest und harrte vor genervten Autofahrenden aus, bis Polizisten den Kleber mehr als eine Stunde später schließlich mit Öl lösten und R. wegtrugen. Komplett frei war die Zufahrt wieder nach rund anderthalb Stunden.

Allerdings, und dies wird beim Urteil noch eine Rolle spielen, hatten sich nicht alle der Klimaschützer festgeklebt, sodass eine der drei blockierten Spuren bereits nach zehn Minuten wieder frei war und der Verkehr langsam abfließen konnte. Das sei mittlerweile Teil jedes Aktionskonzeptes, um die Durchfahrt von Krankenwagen zu gewährleisten, sagt R. Am Ende wird R. nach mehrstündiger Verhandlung nach Jugendstrafrecht zu 60 Stunden Freizeitarbeit wegen Nötigung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Angeklebte Hand auf dem Asphalt

Ist das schon Nötigung? Angeklebte Hand auf dem Asphalt Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Gekommen sind in den Gerichtssaal auch eine Handvoll weitere Klima-Aktivist*innen, die den Prozess ohne Störaktion überwiegend ruhig und hinter Masken mit Logos und Slogans der Letzten Generation verfolgen. In den Prozesspausen stehen sie bei dem Angeklagten, klopfen ihm auf die Schulter und stärken ihm den Rücken.

Schon 131 Verfahren anhängig

Zu der öffentlichen Verhandlung ist es gekommen, weil R. Einspruch gegen einen Strafbefehl wegen Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte der Staatsanwaltschaft eingelegt hat. Dabei ist das Verfahren von R. nur eines von bisher 131 wegen der Autobahnblockaden in Berlin. Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation, hat angekündigt, dass die Ak­ti­vis­t*in­nen in fast allen Verfahren Einsprüche einlegen wollen – auch um die Prozesse als Bühne zu nutzen. In 66 Fällen sind bisher Strafbefehle ausgesprochen worden, in 24 Verfahren liegt schon ein Einspruch vor.

Man könnte also sagen: Nachdem die Autobahnen blockiert wurden, werden nun Gerichte blockiert. Gerichtssprecherin Lisa Jani sagt nach dem Prozess, dass künftig mit vielen dieser Fälle zu rechnen sei.

Die Letzte Generation hat sich als radikalere Variante der „Fridays for Future“-Bewegung gegründet. Ihr Motto lautet: „Wir sind die erste Generation, die den beginnenden Klimakollaps spürt, und die letzte Generation, die noch etwas dagegen tun kann.“ Die zunächst kleinere Gruppe machte erstmals mit einem Hungerstreik im Bundestagswahlkampf auf sich aufmerksam und erzwang ein Gespräch mit dem gerade gewählten Bundeskanzler Olaf Scholz – nachdem einige Ak­ti­vis­t*in­nen zusammengebrochen waren und ins Krankenhaus gebracht werden mussten.

Sitzblockaden Sie sind durch die Demonstrationsfreiheit geschützte Versammlungen. Blockaden können rechtmäßig sein, wenn sie friedlich sind. Strafbar können sie als Nötigung trotzdem sein, der Einzelfall ist zu prüfen.

Die Zweite-Reihe-Rechtsprechung Sie gilt für Sitzblockaden von Autofahrern: Dies hat das Bundesverfassungsgericht 2011 bestätigt, im Falle einer Blockade eines US-Militärstützpunktes 2004. Demnach sei es keine gewaltsame Nötigung, durch Hinsetzen einen einzelnen Autofahrer zu blockieren. Aber sobald ein zweiter Autofahrer wegen des ersten blockierten Fahrzeugs nicht weiterfahren kann, sei das eine strafbare und gewaltsame Nötigung.

Die Demonstrant*innen Sie stellen demnach kein physisches, sondern lediglich ein psychisches Hindernis dar. Aber für Gewalt brauche es einen physischen Zwang, der erst bei der zweiten Reihe gegeben sei, die durch die stehenden Autos der ersten Reihe zustande kommt. (gjo)

Ihre Aktionen laufen friedlich ab, aber ansonsten riskieren die Ak­ti­vis­t*in­nen viel: Sie nehmen Festnahmen in Kauf, mögliche Strafen, Wut und Gewalt von Blockierten und der Polizei, riskieren ihre Gesundheit und ihre Zukunft. Sie verlegen eine symbolische Pipeline vor das Wirtschaftsministerium, verspritzen Kunstöl und -blut und versuchen gar, Gaspipelines zu sabotieren.

Zuletzt kleben sie sich an die Rahmen von Gemälden in Museen an oder stürmen beim Bundesliga-Topspiel den Platz, um sich an den Torpfosten zu ketten. Zum Ablauf des 9-Euro-Tickets wollen die Ak­ti­vis­t*in­nen kollektiv ohne Fahrschein fahren.

Die Letzte Generation erhält nach eigenen Angaben bundesweit regen Zulauf. Mittlerweile sollen sich rund fünfhundert Menschen beteiligen. Aktionen gab es mittlerweile rund zweihundert, die Mehrheit davon in Berlin, aber auch in zweiundzwanzig weiteren Städten.

Maximale Aufmerksamkeit, minimale Zustimmung

Ihr Ziel ist die maximale Aufmerksamkeit – zur Not auf Kosten anderer, etwa der morgendlichen Pendler, die wegen ihnen zu spät zur Arbeit kommen. Genau damit stoßen ihre Sitzblockaden auf Straßen auf großen öffentlichen Widerhall und regen nicht nur eine Debatte über Protestformen an, sondern auch über die Verschwendung von Lebensmitteln. Die Ak­ti­vis­t*in­nen hatten bei ihren Blockaden nämlich auch schon ein Lebensmittel-Retten-Gesetz gefordert und noch frische, aber von Supermärkten weggeworfene Lebensmittel auf die Straße gekippt.

Im Frühjahr und im Juni nervte die Letzte Generation beinahe täglich Au­to­fah­re­r*in­nen und produzierte öffentlichkeitswirksame Bilder und viel Unverständnis. Einige Autofahrer rissen gar Blockierer von der Straße.

Poliziste und Blockierer

Mühsam: Polizisten lösen mit Sekundenkleber an die Straße gebundene Hände. Das dauert Foto: Christian Mang/reuters

Zwischenzeitlich wurde es zur Paradedisziplin mancher Medien, genervte Autofahrer zu interviewen. Allgemeiner Tenor: Was gegen Klimawandel tun ist richtig, aber doch nicht so! Kurzum: Der Protest ist schwer vermittelbar.

Die Letzte Generation aber will gar nicht vermittelbar sein, wie der Aktivist Lars Werner kürzlich in einem Streitgespräch sagte. Lösungswege und Verantwortlichkeiten für die Klimakrise hätte die Klimabewegung hinreichend und seit Jahrzehnten herausgearbeitet. Allein: Es passiere zu wenig. Deswegen müsse man „sich dem System in den Weg stellen“, wie Lars Werner sagt. Er wolle auch im Herbst wieder „über Wochen die Straßen in Berlin und ganz vielen anderen Städten lahmlegen, damit wir in den Notfallmodus schalten“.

Werner hat seine Arbeit als Psychologe in einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie für den Vollzeitaktivismus aufgegeben, sagt er. Er lebe von Spenden und Erspartem. Auch er hat gerade seinen Strafbefehl bekommen, will Einspruch einlegen und vor Gericht sehen, auf welcher Seite der Richter steht. „Urteile werden keine abschreckende Wirkung für uns haben, darüber machen wir uns ja vorher Gedanken“, sagt Werner. Zur Not will er ins Gefängnis gehen.

Seitdem er sich an Blockaden beteilige, fühle er sich selbstwirksam, habe er angesichts der Klimakrise viel weniger Ohnmachtsgefühle. Werner habe eigenhändig Pipelines abgedreht, das habe aber kaum jemanden interessiert. Am Frust der blockierten Au­to­fah­re­r*in­nen käme hingegen niemand vorbei, sagt Lars Werner. „Wir haben mit 24 Menschen Straßen blockiert und haben eine nationale Debatte ausgelöst über Essen retten bis in die Ministerien hinein.“

Einfach nur rechtswidrig?

Das stimmt allerdings: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) entgegnete, dass er an geeigneten Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung mit Hochdruck seit Dezember arbeite, man aber dafür keine Krankenwagen aufhalten müsse. Diskutiert wurden auch die Legitimität der Aktionsform. So wies Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) seine Kabinettskollegin vom Umweltressort Steffi Lemke (Grüne) öffentlich zurecht, nachdem diese Verständnis für das Anliegen der Blockierenden geäußert hatte. Buschmann twitterte: „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig.“

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) forderte ein härteres und schnelles Durchgreifen, die Polizeigewerkschaft GdP sprach von „Geiselhaft“ der Autofahrer, die extrem rechte AfD gleich von Terror.

Demgegenüber hält der Verfassungsrechtler von der Uni Erfurt Tim Wihl friedliche Sitzblockaden für eine Protestform von höchsten demokratischen Weihen – als Ausdruck eines zivilgesellschaftlichen Korrektivs und „ungezähmten“ Ausdruck des demokratischen Prinzips, die verfassungsrechtlich auch legitim sein können.

Wihl kritisiert, dass der Bundesjustizminister entscheidende Details unterschlägt: „Es gibt beim Nötigungsparagrafen die zwingende Verwerflichkeitsprüfung, um zu prüfen, ob die Handlung wirklich rechtswidrig ist.“ Die Aktion nur strafrechtlich zu bewerten, sei falsch, sagt Wihl: „Da ist Buschmann auf Abwegen. Er als Justizminister müsste auch das Verfassungsrecht verteidigen und nur nicht das Blackletter-Law aus dem Strafgesetzbuch.“ Buschmann hätte wissen müssen, dass das Demonstrationsrecht hier stark einwirke, das auch auf Autobahnen gilt. Die Strafbarkeit hänge ab von der Dauer der Blockade oder ob auch ein Krankenwagen blockiert wurde und dadurch ein Schaden entstanden ist. Und auch die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers empfahl etwas mehr Zurückhaltung.

Am Amtsgericht Tiergarten sieht Jugendrichter Günter Räcke in der Blockade von Nils R. bei allem Verständnis für die Dringlichkeit der Klima­krise den Straftatbestand für Nötigung als erfüllt an. Aus Sicht des Richters sei es demnach Gewalt, Autofahrende zu blockieren. Zu berücksichtigen seien nicht nur die Versammlungsfreiheit und der Demonstrationszweck, sondern eben auch die Rechte der Autofahrer, sagt Räcke: „Die da im Stau stehen müssen, haben auch Grundrechte.“ Man dürfe unabhängig vom Versammlungsthema deren Rechte nicht einschränken und „ihre Genervtheit nutzen, um Öffentlichkeit herzustellen“.

Günter Räcke, Richter

„Wenn jeder in Anspruch nehmen würde, S-Bahn-Gleise zu blockieren, glaub ich nicht, dass die Gesellschaft das aushalten würde“

Schließlich gebe es gute und dringende Gründe, das Auto zu benutzen: „die Mutter, die mit einem kranken Kind zum Arzt will“, „der Klempner, der eine Verstopfung beseitigen muss“. Man dürfe nicht Unbeteiligte zum politischen Druckmittel machen. Wie schrecklich die Klimakrise sei, legitimiere nicht alles. Kurzum sei die Nötigung als verwerflich zu werten, so der Jugendrichter: „Wenn jeder mit seinem Anliegen in Anspruch nehmen würde, S-Bahn-Gleise zu blockieren, glaub ich nicht, dass die Gesellschaft das ohne Schaden zu nehmen aushalten würde.“

Gleichwohl äußert Günter Räcke auch Verständnis für Klimaaktivismus: „Wir haben ein großes Problem. Das bestreitet kein vernünftiger Mensch mehr.“ Er habe selbst Kinder und Enkel, aber es gebe nun einmal keine Einigkeit darüber, welche Schritte wie im Einzelnen gegangen werden müssten – da könne nicht eine Person sich erheben und sagen, er wisse es besser als alle anderen.

Lukas Theune, ein in der Berliner linken Szene beliebter Anwalt, der den Angeklagten vertritt, widerspricht. Zum einen handele es sich bei der Blockade nicht um Gewalt, schließlich sei ein langsames Abfließen des Verkehrs bereits nach zehn Minuten wieder möglich gewesen, das reiche nicht, um von Gewalt zu sprechen. Zum anderen aber gelte auch die Versammlungsfreiheit, die gegen die allgemeine Handlungsfreiheit der Au­to­fah­re­r*in­nen abgewogen werden müsse – zumal der Blockadeort wesentlich mit dem Protestgrund zusammenhinge.

Und so entwickelt sich der Prozess zu einem Rechtsseminar, Theune und der Richter wägen über Stunden Verfassungsgerichtsurteile über Sitzblockaden, den Gewaltbegriff, zivilen Ungehorsam und verfassungsrechtliche Sondervoten ab. Verteidiger Theune sagt irgendwann, noch nie ein so langes Rechtsgespräch geführt zu haben. Richter Räcke antwortet: „Ich auch nicht.“ Dass der Richter dies so ausführlich zulässt, soll wohl auch den Angeklagten wie die Ak­ti­vis­t*in­nen auf den Zuhörerrängen beeindrucken – schließlich haben Jugendrichter auch einen erzieherischen Auftrag.

Wohl auch deswegen erlaubt der Richter der Verteidigung nach einer der Prozesspausen, in aller Ausführlichkeit eine lange Erklärung zum Klimawandel vorzutragen. Mit dieser will Anwalt Theune begründen, warum er für den Prozess einen Sachverständigen vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung für ein Gutachten in den Prozess laden will.

Über eine dreiviertel Stunde lang malt Theune die Folgen der Klimakrise entlang der allgemein anerkannten Fakten etwa des IPCC-Berichts aus. Die Schilderung soll belegen, dass es sich eben nicht um einen normalen Protest handele, sondern um die existenziellen Lebensgrundlagen der Menschheit. Um Erderwärmung, versauerte Meere, Kipppunkte, zerstörte Lebensgrundlagen, Naturkatastrophen, Massensterben und fehlende Gegenmaßnahmen.

Am Ende seines Vortrags bekommt Theune Applaus aus dem Zuschauerraum von den Aktivist*innen, die abgesehen von dieser Störung den Prozess ganz ohne Krawall und Festkleben verfolgen.

In seinem Schlussplädoyer fordert Theune einen Freispruch, weil es an Gewalt mangele, R. sich zudem nur an einer Aktion beteiligt habe und nicht vorbestraft sei. Staatsanwalt Matthias Rebentisch sieht demgegenüber die mangelnde Reue des Aktivisten als einen Grund, das Strafmaß hinaufzusetzen und fordert eine Verurteilung wegen Nötigung und Widerstands nach dem Erwachsenenstrafrecht mit 50 Tagessätzen zu je 30 Euro.

„Ich werde lange nachdenken“

Kurz vor der Urteilsverkündung zeigt sich R. zumindest ein wenig geläutert: Er will den Prozess auch mit seinen Eltern besprechen, die ebenfalls Juristen seien und das mit der Gewalt ähnlich wie der Richters sähen – „ich werde lange nachdenken“, sagt er, etwas kleinlaut.

In der Urteilsbegründung des Richters heißt es am Ende: „Es ist Gewalt, andere zum Werkzeug zu machen.“ Aus der Versammlungsfreiheit ergebe sich keine Handhabe, andere zum Werkzeug für politischen Druck zu machen. Die Fernziele der Proteste müsse er als Richter außen vorlassen, sagte Räcke: „Die Klimakrise und Dinge, die herbei blockiert werden sollen, dürfen hier keine Rolle spielen.“

Den Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte hingegen verwirft er, weil er das Festkleben als sanfte Methode wertet und keine Gewalteinwirkung gegenüber Vollstreckungsbeamten stattgefunden habe. Zudem sei Jugendstrafrecht anzuwenden, weil R. nicht wie ein unbelehrbarer Rechtsbrecher wirke, finanziell von seinen Eltern abhängig sei und erst vergangenen Herbst von zu Hause ausgezogen. „Ich glaube, er hat heute einiges verstanden“, sagt Räcke. Das könne er sich bei den 60 Stunden Freizeitarbeit noch mal vor Augen führen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

Während R. das Urteil ruhig, fast regungslos hinnimmt, sorgt der Schuldspruch im Zuschauerraum für Kopfschütteln. Letzte-Generation-Sprecherin Carla Hinrichs sagt danach: „Hier wurde ein junger Mensch verurteilt, der mutig und friedlich Widerstand gegen den zerstörerischen Kurs der Bundesregierung geleistet hat.“ Sein Hilferuf sei vom Gericht verurteilt worden. „Es ist schmerzhaft, dass sich das Gericht nicht mit den Gründen des Protests auseinander setzen will“, sagt sie.

Für den nächsten Gerichtstermin, einem nach Erwachsenenstrafrecht eines deutlich älteren und erfahrenen Aktivisten, kündigt sie eine größere Aktion mit Hunderten Un­ter­stüt­ze­r*in­nen an. Es ist eine Kampfansage.

Ganz am Ende, als fast alle Re­por­te­r*in­nen schon verschwunden sind und Nils R. vor dem Amtsgericht zwischen anderen Ak­ti­vis­t*in­nen steht, brandet Applaus auf. Eine Frau nimmt R. in den Arm, die Umstehenden jubeln. R. lächelt und wirkt erstmals an diesem Tag erleichtert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.