Umweltfrevel Schottergärten: Der Tod im Vorgarten

Laut Vorschrift sollen Gärten eigentlich grün sein. Manchen aber ist das viel zu lebendig, sie schauen lieber auf Schotter vor dem Haus.

Schottergarten vor einem Einfamilienhaus

Eine recht eingeschränkte Lebendigkeit im Garten vor dem Haus Foto: Arnulf Hettrich/imago

Es liegen immer mehr Steine in den Vorgärten. Als gingen nachts Riesen durch die Wohngebiete und rissen alle Pflanzen aus, um sie durch Steine zu ersetzen. Aber tatsächlich sind es keine Riesen, sondern Gartenbaubetriebe oder die Haus­be­sit­ze­r:in­nen selbst, die Tonnen von Schotter in ihre Gärten streuen in der Hoffnung, dass dort nie wieder etwas wachsen wird.

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Der Schotter ist auf dem Vormarsch, aber zugleich wächst der Protest dagegen, so sehr, dass auch die Politik einschreitet. Aber der Kampf gegen die Versteinerung zeigt bislang wenig Erfolg, und wer fragt, warum das so ist, kann etwas lernen über die Unantastbarkeit des Vorgartens und den Reiz vollkommener Kontrolle.

Der Berliner Biologe Ulf Soltau hat die Schottergärten schon eine Weile im Blick, zum ersten Mal sind sie ihm in den frühen 2010er Jahren begegnet, als in einer Gartengruppe Bilder davon gepostet wurden und er der einzige war, der deutliche Worte dagegen fand. So deutliche, dass die Gartengruppe und er getrennte Wege gingen, aber sein Zorn blieb.

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Offizielle Zahlen zur Verbreitung der Schottergärten gibt es nicht, nur eine Umfrage des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau aus dem Jahr 2019, und man sollte dazu sagen, dass der Bundesverband im Rahmen seiner Kampagne „Rettet den Vorgarten“ fragte. Demnach sind 15 Prozent der deutschen Vorgärten größtenteils versiegelt, also gepflastert oder mit Kies und Schotter bedeckt.

Die Unterwerfung der Natur

Die Schottergärten sind für Soltau ein „Riesen-Umweltfrevel“, weil sie oberhalb und unterhalb der Erdoberfläche alles Leben vertreiben. Das Plastikvlies, das in den Boden eingegraben wird, damit keine Pflanzen keimen, sorgt dafür, dass auch der Boden darunter wie versiegelt ist und seine Fruchtbarkeit verliert. „Der Boden gilt wegen seines Artenreichtums als unser Regenwald“, sagt Soltau, „und da wird er ohne Not mit Plastik überdeckt“.

Es ist interessant, dass der Schottergarten so starke Gefühle in seinen Gegnern hervorruft. Man „degradiere“ den Boden, sagt Soltau, und vermutlich ist es das in Verbindung mit dem „ohne Not“, was ihn so zornig macht: die Unterwerfung der Natur und das aus Gründen, die noch schlechter sind als die üblichen wie Landwirtschaft und Straßenbau.

Warum eigentlich? 80 Prozent der Schot­ter­gärt­ne­r:in­nen erklären in der Umfrage des Gartenbauverbandes, dass sie sich von ihrem entgrünten Garten Pflegeleichtigkeit erhoffen. 46 Prozent versprechen sich mehr Freizeit, etwa genauso viele mehr Platz für Fahrrad, Mülltonne oder Auto. Bei den Frauen finden 57 Prozent den Schottergarten schön, er sei „zeitgemäß und modern“.

Der Zauber des Pflegeleichten

Es ist bitter, dass die Vernichtung alles Lebendigen als zeitgemäß empfunden wird, aber wenn man zurückschaut, ist das eine konsequente Entwicklung. Schon in den 70er Jahren zogen in die deutschen Vorgärten Kirschlorbeer und Thujenhecken ein, die genauso pflegeleicht waren wie die Küchentresen drinnen und den heimischen Insekten etwa gleich viel bieten.

Natürlich will eine Gesellschaft, die glaubt, Verfall und Sterben abschaffen zu können, all das nicht im heimischen Vorgarten betrachten

Vielleicht steckt dahinter ja mehr als nur der Zauber des Pflegeleichten. Vielleicht geht es bei dem Ersetzen von Lebendigem durch Stein um einen weiteren Schritt in die wunderbare Welt absoluter Kontrolle.

Natürlich will eine Gesellschaft, die glaubt, Verfall und Sterben abschaffen zu können, all das nicht im heimischen Vorgarten betrachten. Also kein Blühen und Verblühen, kein Werden und Vergehen, sondern leblose Statik. Statt Sterben lieber gleich der Tod im Vorgarten. Wobei das letztendlich gar nicht so leblos ist, weil sich nach einiger Zeit fliegende Samen auf den Steinen niederlassen und keimen, sodass die Schot­ter­gärt­ne­r:in­nen sich doch zu Gartenarbeit gezwungen sehen und dabei, so glaubt Ulf Soltau, durchaus zu verbotenen Unkrautvernichtungsmitteln greifen.

Aber es gibt Gegenwind. Eher sanften, etwa vom Naturschutzbund (Nabu) Hamburg, wo man nicht an Verbote und Kontrollen glaubt. „Unsere Erfahrung ist, dass man mit Überzeugungsarbeit mehr erreicht“, sagt Ilka Bodmann, die dort die Öffentlichkeitsarbeit macht. Also steht der Nabu bei Stadtteilfesten bereit, um den Leuten zu erklären, was ein naturnaher Garten ist und was sie für Vögel und Insekten tun können. Es gebe viel Nachfrage und viel Unwissen, sagt Bodmann, „die Leute sind ganz erstaunt, wenn man ihnen erklärt, dass der Lorbeerstrauch den Tieren nicht hilft“.

Olaf von Drachenfels glaubt nicht mehr ans Informieren, zumindest nicht bei Schottergärten. Der Landschaftsplaner ist Mitglied bei der Nabu-Ortsgruppe im niedersächsischen Barsinghausen, wo die Politik kein zusätzliches Verbot der Schottergärten wollte. In den meisten Landesbauordnungen sind die ohnehin nicht erlaubt. Denn die verlangen, dass nicht überbaute Flächen begrünt werden. Explizit verboten hat bislang nur Baden-Württemberg die Schottergärten in seinem Naturschutzgesetz, dem sind einzelne Städte und Kommunen in ihren Bebauungsplänen gefolgt.

In Barsinghausen breiten sich die Schottergärten weiter aus, als habe es nie ein Begrünungsgebot gegeben. Was nützt ein Gesetz, das niemanden inter­essiert?

Notwendigkeit von Kontrollen

Von Drachenfels fordert, dass es kontrolliert wird, stichprobenartig wie bei den Geschwindigkeitskontrollen. Damit wäre auch das Argument der Politik, dass Kontrollen zu aufwendig wären, vom Tisch. Einen Mitarbeiter des Ordnungsamts dafür für einen Tag abzustellen, würde völlig ausreichen, sagt von Drachenfels, es wäre auch denkbar, mit Luftbildern zu arbeiten, um die Arbeit zu erleichtern.

Warum das nicht passiert? „Die Politik will nicht als Verbotspartei wahrgenommen werden“, sagt von Drachenfels, und es gelte der Grundsatz vom kleinen König auf seinem Grundstück. Wobei das Königtum genau betrachtet gar nicht so absolut ist, schließlich gebe es da jede Menge Vorschriften bis zum Grad der Dachneigung.

Wie zaghaft ist die Politik? In Hamburg gab es 450 Verfahren wegen Schottergärten, hat Ulf Soltau zufrieden am Telefon gesagt, und das klang zumindest aus dem fernen Berlin so, als wehe hier ein entschiedener Wind, ein Anti-Schotter-Sturm. Tatsächlich hat das Bezirksamt Hamburg-Eimsbüttel zwischen 2019 und 2021 ein sogenanntes Verfahren zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände eingeleitet, so heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der örtlichen SPD. Die hat dann in einer Pressemitteilung gewürdigt, dass der Bezirk „konsequent gegen Schottergärten vorgeht“ und die Medien haben getitelt „Hamburger Bezirk kämpft gegen Schottergärten an“.

Aber fragt man in Eimsbüttel nach, dann will man keinesfalls als Schotterpolizei gesehen werden. „Teil der Wahrheit ist“, so schreibt der Sprecher des Bezirksamts, „dass wir als Bezirks­amt keinen Schwerpunkt oder eine besondere Aktion gegen Schottergärten gesetzt und initiiert haben“. Eine regelhafte Überwachung gibt es nicht, das Amt kontrolliert allenfalls stichpunktartig oder geht Hinweisen nach, die vor allem von An­woh­ne­r:in­nen kommen. Sogar die Zahl der 450 beanstandeten Gärten korrigiert der Sprecher, weil darunter auch andere Vergehen fallen, etwa rechtswidrig gebaute Carports.

Lustig, dass das Bezirksamt den Ruhm als Schottergartenjägerin gar nicht will, obwohl doch eine gefühlte Mehrheit die Schottergärten ablehnt. 70 Prozent, so schätzt Olaf von Drachenfels, seien dagegen, 30 Prozent seien dafür oder es sei ihnen gleichgültig. Woher er die Zahlen nimmt? Er hat es sich abgeleitet aus der Summe der Nicht- und der AfD-Wähler:innen, bei denen, so glaubt er, auch keine Infokampagne verfängt, egal wie gut sie ist. Von Drachenfels, in dessen Nachbarschaft fast zur Hälfte Schotterwüste herrscht, glaubt, dass sie sich noch weiter ausbreiten wird.

Die Schottergegner stehen vor den Gärten wie die Rad­fah­re­r:in­nen vor der Flut neu zugelassener SUVs und wenn man sie fragt, wie es wohl weitergeht, dann geben sie zwiespältige Antworten. Beschämen müsse man die Schotterleute, sagt Ulf Soltau, ihre Gärten gesellschaftlich unmöglich machen und dann verweist er darauf, wie viele Kommunen Verbote prüften, das sei doch ein „Super-Erfolg“. Olaf von Drachenfels sagt, dass 100 Kommunen die Broschüre aus Barsinghausen gegen Schottergärten hätten haben wollen, jenem Barsinghausen, wo die Politik niemandem auf die Füße treten will. Und sein Vortrag sei so nachgefragt, dass er über die Dörfer ziehe „wie ein drittklassiger Schlagersänger“. Wobei zu den Vorträgen die kämen, die ohnehin schon Feinde der Schottergärten sind.

Soltau und von Drachenfels sind aus Sisyphos-Holz geschnitzt, wären sie es nicht, hätten sie längst das Feld geräumt. Kürzlich saß Soltau in einer Talkshow und zeigte seine Bilder von den „Gärten des Grauens“ (die unter diesem Titel auch samt einer Fortsetzung als Buch erschienen sind), woraufhin sich alle anderen Gäste schockiert gaben auf eine Weise, die vor allem ihre ästhetische Überlegenheit dokumentieren sollte, doch das genügt ja schon für Soltaus Projekt der gesellschaftlichen Ächtung. Aber ein Gast, ein früherer US-Auslandskorrespondent, war nicht überzeugt: Die Schottergärten, so meinte er, seien doch eine sinnvolle Alternative angesichts der Hitzewellen, da müsse man nicht gießen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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