taz-Sommerserie Nah am Wasser: Jetzt fahrn wir übern See

Rund 20 Minuten braucht die Fähre zwischen S-Wannsee und Alt-Kladow. Sie ist eine von sechs BVG-Verbindungen auf dem Wasser.

Das Schiff "MS Wannsee" auf dem Wannsee

Hin und her über den Wannsee: Die BVG-Fähre „MS Wannsee“ Foto: picture alliance / dpa | Stephanie Pilick

BERLIN taz | Er ist der Erste und der Letzte, der von oder an Bord geht, je nachdem, ob die Fähre an- oder ablegt: Mehmet Salin Ogur ist an diesem Dienstagmorgen der Bootsmann der F10: Die verkehrt den ganzen Tag über zwischen dem S-Bahnhof Wannsee – genauer gesagt dem Fähranleger unten am See – und Alt-Kladow, dem südlichsten Teil des Bezirks Spandau.

Es ist 7.49 Uhr, die Fähre legt gerade am Liegeplatz an. Ogur springt behände vom Schiff, ein dickes Seil in der Hand, routiniert vertäut er es, dann ein zweites – und fertig, das Schiff ist festgemacht und zum Aussteigen bereit. Als Bootsmann unterstützt Ogur insbesondere beim An- und Ablegen. So früh sind es nur wenige Fahrgäste.

„Die Berufspendler sind schon durch“, sagt Detlef Pieth, der das Schiff eben noch gesteuert hat. Er kommt gerade als Letzter von Bord, alle Fahrgäste sind schon gegangen – und raucht erst mal eine Zigarette. Mehmet Salin Ogur schließt sich an. Die beiden haben nur ein paar Minuten Pause, wegen des straffen Fahrplans. Und: Es ist die einzige BVG-Fähre, die mit einem Zweierteam unterwegs ist.

BVG-Fähren In Berlin betreibt die BVG sechs Fährlinien, davon drei im Ganzjahresbetrieb und drei als Saisonfähren. Die F11 braucht lediglich zwei Minuten über die Spree, um Baumschulenweg und Oberschöneweide zu verbinden. Die F12 verkehrt auf der Dahme zwischen Grünau und Wendenschloß, auch nur knappe zwei Minuten lang. Der Ortsteil Schmöckwitz bildet den südlichsten Punkt Berlins. Er ist von Wald und gleich mehreren Seen umgeben, die Fähre F21 braucht dort sieben Minuten von Krampenburg nach Schmöckwitz/Zum Seeblick und umgedreht. Die Fähre F23 Rahnsdorf, Müggelwerderweg – Rahnsdorf, Kruggasse am östlichen Ende des Müggelsees ist immerhin 25 Minuten unterwegs und macht zum Beispiel auch in Neu Helgoland Halt. In allen gilt das BVG-Ticket. Alle Fähren mit Abfahrtshäfen und Fahrplänen sind auf der Homepage der BVG zu finden.

Mit dem Ruderboot Die F24 ist eine Besonderheit: Die fünfminütige Überfahrt zwischen Rahnsdorf und Müggelheim erfolgt per Ruderboot. Für eine Überfahrt mit der traditionsreichen Rahnsdorfer Ruderfähre – 1911 in Betrieb genommen – von einem Ufer der Müggelspree zum anderen werden nur zwölf Ruderschläge benötigt. Im BVG-Auftrag – und ebenfalls zu deren Tarifen – unterwegs, ist sie die kleinste Fähre in Berlin und bedient damit zugleich die kürzeste Strecke.

Zur Pfaueninsel In der Stadt gibt es weitere, jedoch nicht von der BVG betriebene Fähren. Die bekannteste dürfte die Pfaueninsel-Fähre im Südwesten Berlins sein, die 1821 eingerichtet wurde und die Pfaueninsel in der Havel mit dem Festland verbindet. Sie gilt als älteste Fährverbindung Berlins. Mehr Informationen gibt es unter berlin.de/tourismus. (heg)

Die Fährverbindung ist mehr als 100 Jahre alt. Sie wird, wie fünf weitere Fährverbindungen (siehe Kasten) im Auftrag der BVG von der Kreis- und Sternschifffahrt GmbH betrieben. Die F10 fährt mit einem modernen Dieselmotor. Alle anderen BVG-Fähren fahren elektrisch und haben Solarzellen auf dem Dach.

Bis zu 16 km/h – dank Sondergenehmigung

Die F10 verkehrt im Sommer werktags ab 6 Uhr, am Wochenende später, aber jeden Tag bis 21 Uhr. „Ich habe gerade die Frühschicht von 5 bis 13 Uhr“, sagt Detlef Pieth. „Bei uns fahren viele Stammgäste mit.“

Sobald die Fahrgäste ausgestiegen sind, nehmen die neuen Fahrgäste das Schiff in Besitz, ja, sie warten schon und stehen Schlange auf dem langen Anlegesteg. Gerade mal sieben Fahrräder werden an Bord geschoben, es gibt Abstellplätze für immerhin 60 Räder. Und gerade mal 16 Menschen wollen jetzt um 8 Uhr nach Alt-Kladow übersetzen – die rund 44 Meter lange Fähre ist für 300 Passagiere zugelassen.

Immer zur vollen Stunde legen sie Richtung Alt-Kladow ab. „Pünktlichkeit“, sagt Pieth, „ist wichtig, vor allem im Pendlerverkehr, die Leute wollen ja zur Arbeit oder zu Terminen.“ Die Fähre ist im Durchschnitt „mit etwa 15,6 Kilometer pro Stunde unterwegs“, erklärt Pieth.

Bis zu 16 km/h schafft das Schiff, „es hat eine Sondergenehmigung, um den Fahrplan einhalten zu können“. Mit der sonst vorgeschriebenen Geschwindigkeit für Schiffe im Linienverkehr von 12 km/h „würde der Fahrplan nicht klappen“. Die F10 braucht 20 Minuten, manchmal reichen aber auch 19 oder sogar 18 Minuten.

Schiffsführer und Tourist:innen-Guide

Weil so wenig los ist zu so früher Stunde, ist Zeit für ein Gespräch mit Detlef Pieth, während er die Fähre steuert. Der Reporter darf mit in die Kabine, mit weitem Blick aufs viele Wasser und die Landschaft ringsum.

Der 57-Jährige will erst mal eine Sache klarstellen: „Ich bin kein Kapitän, ich bin Schiffsführer“, sagt er. „In aller Welt heißt es Kapitän, nur in Deutschland nicht“, sagt er. Ein Kapitän habe ein Patent für Seewasserstraßen, „Binnengewässer zählen nicht dazu, das sind Binnenwasserstraßen“ – und auf denen verkehren Fahrgastschiffe oder eben Fähren wie die F10.

Schiffsführer Detlef Pieth vor der "MS Wannsee"

Detlef Pieth ist – korrekt bezeichnet – nicht Kapitän, sondern Schiffsführer Foto: Andreas Hergeth

Frachtschiffe gibt es auf dem Wannsee nicht. „Aber da“, streckt Detlef Pieth die Hand nach vorne, Richtung Alt-Kladow, „da ist die Havel und damit die Fahrrinne für Frachtschiffe.“ Da muss auch die Fähre durch.

Wie zum Beweis blinkt auf seinem Computerbildschirm ein dreieckiges Symbol, das sich ganz langsam von rechts Richtung Fähre schiebt. „Das ist Gegenverkehr“, erklärt Pieth, „ein Frachtschiff, aber das kommt uns nicht in die Quere.“ Auch die Position der Fähre und deren Route ist auf dem Bildschirm zu erkennen. Aber Schiffsführer Pieth fährt „nach Sicht“, wie er sagt. „Ich weiß doch, wo ich hin muss“, sagt er verschmitzt.

Detlef Pieth hat einen ausgesprochenen Sinn für Humor. Auf einigen Touren, auf dem Müggelsee oder auf dem Tegeler See, greift er gern zum Mikrofon und erklärt die Sehenswürdigkeiten. Viele Kollegen würden inzwischen ein Band laufen lassen. Er macht es lieber selbst.

„Da rechts vor uns liegt Schwanwerder“, zeigt der Schiffsführer auf ein kleines Inselchen, das schon in der Havel liegt, am Ausgang des Wannsees. „Wissen Sie, was Werder bedeutet?“, fragt er unvermittelt. „Land, das von Wasser umgeben ist. Eine Insel eben.“

Dahinter, kaum im Dunst des Morgens zu erkennen, liegt der Grunewaldturm – „204 Stufen hoch, also nichts für Leute mit Knieproblemen!“. Etwas weiter rechts ist die ehemalige Abhörstation auf dem Teufelsberg zu sehen. „Und linker Hand, kurz vor Alt-Kladow, das ist die Insel Imchen. Betreten nicht empfohlen“, sagt Pieth. „Nicht nur wegen der vielen Kormorane, die in den Bäumen sitzen, sondern auch wegen der vielen Mücken.“

Detlef Pieth kann erzählen und weiß Bescheid. Mit seiner sonoren Stimme könnte er gut übers Bordmikrofon Gäste unterhalten – nur hier auf dieser hin und her pendelnden Fähre nicht. Aber er hat in mehr als 30 Jahren Berufsleben „einiges erlebt“, wie er sagt. Früher als Frachtschiffer habe er in ganz Europa gearbeitet, habe „alles Mögliche transportiert, Getreide oder Sand oder Stückgut“. Und nun eben Menschen.

Bis zu 5.000 Fahrgäste am Tag

Überall Wasser Da kann man nicht heulen, Seen gibt es genug in der Stadt und drum herum in Brandenburg. Und überhaupt: Berlin liegt am Fluss, die Spree fließt mittendurch und ganz im Westen dann die Havel. Wasserwerke säumen ihren Verlauf, und weil Berlin am Wasser liegt, ist die Trinkwasserversorgung auch in Dürresommern etwas unkomplizierter als anderswo.

Und der Klimawandel? Was bedeutet die Wasserlage für Berlin – gerade in Zeiten des Klimawandels? In unserer Sommerserie widmen wir uns dem Wasser in all seinen Facetten: Wir statten einem Eismeister einen Besuch ab, trinken aus Trinkbrunnen und checken, wo man von Motorbooten nicht so schnell vom Stand-up-Paddling-Bord geworfen wird.

Nachlesen Alle Folgen online unter taz.de/berlin/wasser. (taz)

„Am Wochenende geht es hier zu wie auf dem Hauptbahnhof“, sagt Pieth. Dann ist die Fähre ausgelastet. Zu Stoßzeiten seien es mehr als doppelt so viele Fahrgäste wie zugelassen. Und wer nicht reinpasst? „Da hilft nur, die nächste Fähre zu nehmen.“ Aber das dauert. Einmal pro Stunde legt die F10 in Wannsee beziehungsweise Alt-Kladow ab.

Genaue Fahrgastzahlen für die F10 gibt es nicht, verlautet aus der BVG-Pressestelle, da die BVG die Fähre ja nicht selbst betreibt. Pro Tag soll die „MS Wannsee“ – wie das Schiff offiziell heißt – im Durchschnitt etwa 2.000 bis 3.000 Fahrgäste haben. An Spitzentagen, also vor allem an sonnigen Wochenenden, können es auch rund 5.000 sein. Und natürlich schwanken die Zahlen nach Jahreszeit, Wochentag und Witterung.

Bei der Stern- und Kreisschifffahrt GmbH, die diese Fähre im Auftrag der BVG betreibt, arbeitet Detlef Pieth als sogenannter Ablöser und Springer, weil er alle Schiffe fahren kann. Auf der F10 sitzt er gerade eine Woche lang, weil der eigentliche Schiffsführer krank geworden ist. Immerhin hat die Stern- und Kreisschifffahrt 31 verschiedene Schiffe auf unterschiedlichsten Touren oder eben Fährverbindungen zu bieten. Alle kann er steuern. „Langweilig wird es nie“, sagt Pieth sichtlich zufrieden.

„Ich mache jeden Spaß mit, mache auch Fotos von den Leuten, wenn die das wollen“, erzähl der Schiffsführer. Aber er kann auch anders: „Auf meinem Schiff bestimme ich! Wenn es junge Leute gibt, die zum Beispiel dem Alkohol zu stark zugesprochen haben und zu laut werden, mache ich ihnen klar, dass das nicht geht – oder sie von Bord gehen müssen.“

Diese Zufriedenheit von Detlef Pieth muss auf seine Fahrgäste ausstrahlen. Denn ganz Berlin-untypisch fällt sowohl am Wannsee als auch bei der Rückfahrt von Alt-Kladow auf, dass so gut wie jeder Mensch, der an Bord geht, von sich aus „Guten Morgen“ sagt. Schiffsführer und Bootsmann, beide meist rauchend vor der „MS Wannsee“ stehend, grüßen jedes Mal freundlich zurück.

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