Pandemiebekämpfung im Dornröschenschlaf: Hauchdünn und extrafreundlich

Staatliches Engagement gegen Affenpocken? Leider Fehlanzeige: Denn bislang sind vor allem schwule und bisexuelle Männer betroffen.

Regenbogenfahne

Christopher Street Day in Stuttgart 2022 Foto: dpa

Wenn es um die Bekämpfung einer Pandemie geht, wünscht man sich eigentlich Zustände wie in einer Hollywood- oder mindestens Till-Schweiger-Produktion herbei: Unzählige Menschen in Schutzanzügen rennen unter irrem Zeitdruck hin und her, Militärhubschrauber sind im Einsatz und im Zentrum des Geschehens trifft Boy ein Girl und ein Hund muss auch noch gerettet werden.

Im richtigen Leben piepsen indes nur ein paar altersschwache Faxgeräte auf langen Behördenfluren, insbesondere, wenn es um MPX geht, „Monkeypox“. Denn die betreffen (noch) keine Heteropaare, sondern vor allem Männer, die Sex mit Männern haben. Rund zweieinhalb Monate nach dem ersten Affenpockennachweis in Deutschland sind dem RKI bis Anfang dieser Woche rund 3.000 Infektionen übermittelt worden. In fast allen Fällen handelt es sich um Männer. Bislang seien nur 7 Fälle infizierter Frauen ans RKI übermittelt worden.

Dass nun die Zahlen etwa in Berlin laut der dortigen Gesundheitsverwaltung rückläufig sind – die Hauptstadt gilt als einer der internationalen Hotspots der MPX-Pandemie – liegt eher nicht an einem beherzten Eingreifen staatlicher Behörden und Institutionen. Gerade zu Beginn der Pandemie berichteten Betroffene, dass mitunter über eine Woche verstrich, bevor sich überhaupt jemand vom Gesundheitsamt meldete. Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung verharrte zu Beginn der Pandemie im Dornröschenschlaf und delegierte das Pro­blem an die Aids-Hilfe, die sich immerhin zu Wort meldete. Und an der viel zu langsam angelaufenen, unzureichend muni­tio­nier­ten Impfkampagne kann es auch nicht liegen – mitunter reichten die bislang an Schwerpunktpraxen gelieferten und zwischenzeitlich meist schon zur Neige gegangenen Impfdosen gerade einmal zur Impfung des gefährdeten Praxispersonals, insbesondere und ausgerechnet im Hotspot Berlin.

Nein, im Fall von MPX wurden bislang weder Hubschrauber eingesetzt noch Volkswirtschaften angehalten. Stattdessen greift die queere Community notgedrungen auf erlernte Techniken und Ressourcen zurück, Stichwort: Risikomanagement. Wer die Zahl seiner Sexualpartner reduziert, hat ein deutlich niedrigeres Risiko, sich mit den Pocken anzustecken. Daher sieht man in den üblichen Cruisinggebieten derzeit vor allem ältere Männer, die noch über eine einfache oder gar doppelte Pockenimpfung aus Kindertagen verfügen und vergleichsweise geschützt sind oder wenigstens auf einen milderen Verlauf hoffen können. Die beim Aufkommen der Pandemie in den Medien zum Teil mit einer gewissen Angstlust thematisierten Sexpartys scheinen gleichfalls weniger besucht, und bei den schwulen Datingportalen fällt auf, dass viele Profile derzeit deaktiviert oder auf „Suche derzeit nicht“ eingestellt sind. Andere verabreden sich zu vorübergehend exklusiven sexuellen Arrangements, vergleichbar mit den „Covid­familien“ während der Lockdownzeit.

Unbeschwertheit und Angstlosigkeit?

Böse erwischt es nun vor allem die „Generation PrEP“, also jene Jahrgänge, die mittels präventiver Einnahme antiviraler Medikamente den Schrecken von Aids entrinnen konnten, zumal es sich dabei längst um eine gut zu kontrollierende Infektion handelt. Ähnlich wie in den siebziger Jahren, der Zeit zwischen Syphilis und Aids, konnten die PrEPys ihre Sexualität bislang relativ unbeschwert entdecken und genießen – wenn man davon absieht, dass sie wie alle anderen in den Covidlockdown mussten und ihnen gerade der Rest des Planeten um die Ohren fliegt. Und doch war es schön, diese Unbeschwertheit und Angstlosigkeit zu erleben, mit der sie dem klobigen, unerfreulichen Hygieneartikel Kondom entsagen konnten, der den älteren Jahrgängen mittels Todesandrohung ans Herz gelegt worden war.

Doch Kondome schützen so wenig vor MPX wie MPX eine zwangsweise den Tod bringende Erkrankung wie Aids ist – in den meisten Fällen haben die bisher betroffenen Menschen keine schweren Symptome. Und die Zeiten haben sich geändert, denn sie sind bislang vor allem besser geworden für queere Menschen in den westlichen Ländern – eine hoffentlich nur vorübergehende Beschränkung sexueller Freiheiten, um die eigene Gesundheit und die anderer zu erhalten, ist gewiss zu verkraften. Doch die Generation PrEP muss nun noch eine andere, zunächst eher subkutan spürbare Erfahrung machen, nämlich dass es trotz aller Fortschritte noch immer ein „Wir“ und „die anderen“ gibt. Wer den MPX-Diskurs in den sozialen Medien verfolgt, wird rasch bemerken, dass es den (heterosexuellen) Menschen in dieser Öffentlichkeit vor allem darum geht, dass MPX nicht von der Minderheit auf die Mehrheit übergreifen – und genauso war es im Übrigen auch in der Hochzeit von Aids: Es ging darum, die Mehrheitsgesellschaft vor einer Infektionskrankheit zu schützen, die sich an den sogenannten Rändern der Gesellschaft ausgebreitet hatte, unter schwulen Männern, Fixer*innen, Pros­ti­tuier­ten.

Der eigentliche gesellschaftliche Umgang mit der MPX-Pandemie wird sich erst zeigen, wenn nicht mehr nur MSM betroffen sind, also Männer, die Sex mit Männern haben. Diese Woche zum Beispiel wurde die erste Infektion eines Kindes in Deutschland gemeldet, es lebt mit zwei infizierten Personen zusammen.

Was wird passieren, wenn erstmals bekannt werden sollte, dass ein queerer Kindergärtner MPX in eine Kita getragen hat? Vielleicht kommen dann endlich Hubschrauber zum Einsatz. Doch zugleich wird man sehen, ob der hauchdünne Firnis der Homosexuellenfreundlichkeit tatsächlich auch extra­reiß­fest ist.

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