Rassistische Bedrohung in Celle: Messer auf der Brust

Ein Pizzabote wird von einem Mann überfallen und beschimpft. Er vermutet einen rassistischen Hintergrund. Die Polizei sieht dafür keine Hinweise.

Ein Mann hält eine Machete in der Hand

So könnte die Tatwaffe ausgesehen haben: Machete Foto: Roland Weihrauch/dpa

HANNOVER taz | Eigentlich dachte Saad Khaiat (Name geändert) am Samstagabend, seine Schicht sei gleich zu Ende. Was der 56-jährige Pizzalieferant in Altenhagen, einem 850-Seelen Ortsteil am Rand von Celle, erlebte, klingt wie aus einem Horrorfilm. Gegen halb elf sei er zur letzten Lieferung aufgebrochen, erzählt er. Zehn Bier und vier Burgermenüs im Wert von 60,50 Euro hatte er dabei. Auf der Bestellung war ein Vermerk: „nur klopfen. meine tochter schläft. ich warte an der tür“.

Als er vor dem dunklen Haus wartete, habe er eine Person hinter sich gespürt, erzählt Khaiat. „Ich habe mich umgedreht und einen Mann mit Handschuhen und einem großen Messer in der Hand gesehen“, erinnert er sich. Mit seinen Händen deutete er eine Klingenlänge von etwa 50 Zentimetern an. Der Mann habe zunächst sein Telefon verlangt und ihn rassistisch beleidigt, erzählt Khaiat.

Weil er Todesangst gehabt habe, könne er sich nur noch an Wortfetzen erinnern. Er sei sich aber sicher, der Mann habe ihn als „Araberschwein“ und „Scheiß Ausländer“ beschimpft. Er habe dann sein Handy hergegeben und angeboten, die Bestellung ohne Bezahlung dort zu lassen. Daraufhin habe der Mann ihm das Messer auf die Brust gelegt und sei noch näher gekommen. Khaiat habe keinen anderen Ausweg gesehen, als die Klinge zu greifen, den Mann zu schubsen und wegzulaufen.

Während er spricht, massiert er seine Handfläche, auf der mehrere kleinere und eine größere Schnittwunde zu sehen sind. Er habe vergeblich laut nach Hilfe gerufen. Ein Fahrradfahrer habe ihn nicht unterstützt. Er habe auch versucht, ein Auto anzuhalten. Das sei von dannen gebraust. Der Angreifer habe gerufen, er solle zurückkommen.

Passanten halfen nicht

Eine Nachbarin sei dann gekommen, habe aber auch nicht die Polizei gerufen, sondern auf eine irakische Familie verwiesen, die ein paar hundert Meter weiter lebt. Die rief daraufhin die Polizei, die einen 38-jährigen Verdächtigen in der Nähe vorläufig festnahm, wie Khaiat erzählt. Im Gras habe sich noch ein zweites bereitliegendes großes Messer gefunden.

Khaiat, der ein Polohemd trägt, wirkt gestresst. Die Vorfälle sind keine 24 Stunden her, als er sich an die taz wendet. In der letzten Nacht habe er nicht geschlafen, erzählt er. Am Morgen sei er zur Polizei gegangen. Man habe ihm ein Bild des Verdächtigen in einer Uniform gezeigt, erzählt er. Er habe auch auf die Beleidigungen hingewiesen; man habe ihm aber gesagt, es handle sich nicht um eine rassistische Tat.

Khaiat ist sich aber sicher, dass es sich nicht um einen Raubüberfall gehandelt habe. Alle Lie­fe­ran­t*in­nen des Kurierdienstes, für den er arbeitet, haben eine Migrationsgeschichte und auch der Inhaber habe ­einen nicht deutsch klingenden Namen. Das könnte bei der Auswahl des Opfers eine Rolle gespielt haben.

In der Pressemeldung der Polizei findet das alles keine Erwähnung. Auf Nachfrage der taz heißt es, es hätten sich keine Hinweise auf eine politische Motivation ergeben. Der Tatverdächtige sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Zusätzlich wird ihm ein Überfall auf eine Tankstelle einige Stunden zuvor zur Last gelegt. Dort erbeutete er Bier und Zigaretten.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt wegen schweren Raubs, sowie schwerer räuberischer Erpressung. Bisher sei der Mann unbestraft und habe auch keine Verfahren offen. Es hätten sich keine Hinweise ergeben, dass der Auswahl des Tatopfers ein fremdenfeindliches Motiv zugrunde liege, heißt es weiter.

„Sollten rassistische Beleidigungen während der Tat ausgesprochen worden sein, wird dies im Rahmen der Ermittlungen berücksichtigt“, sagt die Staatsanwaltschaft. Derlei Äußerungen ließen aber keinen zwingenden Rückschluss auf das Tatmotiv, sowie die Auswahl des Opfers zu.

Während er spricht, massiert er seine Handfläche, auf der Schnittwunden zu sehen sind

Khaiat ist sehr enttäuscht von den Äußerungen der Polizei, die die rassistische Dimension direkt klein geredet habe. „Wir leben in einem demokratischen Land, ich hoffe auf Gerechtigkeit“, sagt er.

Die Nach­ba­r*in­nen des Verhafteten wollen möglichst wenig über die Geschehnisse sprechen. Die Vorgärten der Gegend sind akkurat zurechtgemacht. Ein großes CDU-Plakat gegen „kriminelle Clans“ hängt an einer Laterne. Ein pensionierter Polizist ruft gleich die Polizei, als ein taz-Reporter Fragen stellt. Beim Verhafteten handle es sich um einen Eigenbrötler, erzählen andere Anwohner*innen.

Nicht zum ersten Mal

Der Garten des Wohnhauses, schräg gegenüber vom Tatort, wirkt verwildert. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten wurden zwei Macheten, die als Tatwaffe in Betracht kommen, sowie zwei Beile gefunden,teilt die Staatsanwaltschaft mit. Rechte Devotionalien hätten sich nicht unter den sichergestellten Gegenständen befunden.

Nicht zum ersten Mal wird durch die Polizei in Celle vorschnell eine rassistische Dimension bei einer Gewalttat gegen Geflüchtete ausgeschlossen. Am 7. April 2020 ist Arkhan Khalaf, ein 14-Jähriger Junge, der mit seiner Familie vor dem Terror des so genannten Islamischen Staates geflohen war, niedergestochen und getötet worden. Obwohl der Täter rassistische Beschimpfungen bei seiner Verhaftung rief und auch davor einen Taxifahrer rassistisch beleidigt haben soll, wurde dem zunächst nicht weiter nachgegangen.

Die Polizei schloss ein rassistisches Motiv sofort – wie im vorliegenden Fall – öffentlich aus. Erst nach Presseberichten über das online Verhalten des Täters, geriet dessen Ideologie mehr in den Fokus. Vor Gericht wurde eine mögliche rassistische Dimension der Tat dann nur oberflächlich thematisiert. Erst durch den WDR-Cosmo-Podcast “Schwarz – Rot -Blut“ stellte sich heraus, dass dem Verfassungsschutz einschlägige Straftaten bekannt waren. Bis heute ist unklar, wie genau es in diesem Fall zur Auswahl des Opfers kam.

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