Pogrom in Rostock-Lichtenhagen: Ruf nach Konsequenzen

Am Jahrestag der Angriffe in Rostock-Lichtenhagen von 1992 fordern Politik und Zivilgesellschaft mehr Einsatz gegen Rassismus – und für Geflüchtete.

Ein verwackeltes Foto aus der Nacht, als Brandanschläge auf Unterkünfte verübt worden

Szene der Angriffen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 Foto: ap

BERLIN taz | Es sind Worte der Mahnung – und der Appelle. 30 Jahre nach den rassistischen Angriffe auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, die frühere Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber, forderten am Montag Po­li­ti­ke­r:in­nen und Zivilgesellschaft Konsequenzen. Rechtsextreme und Randalierer hatten mit Steinen und Brandsätzen das damals von Viet­na­me­s:in­nen bewohnte Haus attackiert – und die Polizei sich phasenweise zurückgezogen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „schrecklichen Tat“. „Wo Menschen Schutz suchten, wurden sie angegriffen.“ Die Angriffe sollten mahnen, „jeden Tag gegen Hetze und Rassismus zu kämpfen“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Angriffe ein „Fanal“. Sie gehörten „zu den schlimmsten rassistischen Ausschreitungen“ der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Es ist bis heute erschütternd, dass kaum einer gegen den Mob einschritt.“ Schaulustige hätten die Angreifer gar noch angestachelt, die Politik und Gesellschaft zu geringe Empathie gezeigt.

Der Angriff auf das „Sonnenblumenhaus“, die Aufnahmestelle für Geflüchtete in Rostock-Lichtenhagen, jährt sich dieser Tage zum 30. Mal. Rassismus ist bis heute ein gesellschaftliches Problem – mit dem wir uns über die gesamte Woche beschäftigen werden. Am 24. August sprechen wir auch in einem taz talk mit Gästen darüber. Alle Texte finden Sie auf taz.de.

Und Sicherheitskräfte hätten nur „zögerlich und halbherzig“ eingegriffen. „Dass kein Mensch starb, war reines Glück“. Faeser betonte: Der Rechtsextremismus sei auch derzeit „die größte Bedrohung unserer Demokratie“, die man „mit aller Entschlossenheit“ bekämpfe.

„Eine Schande, ein Tiefpunkt“

Die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, Reem Alabali-Radovan (SPD), sagte der taz: „Der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen war eine Schande, ein Tiefpunkt in der Geschichte unseres wiedervereinigten Landes. Der Schock sitzt bis heute tief.“ Viele Menschen hätten auch Jahrzehnte danach noch Angst vor rassistischen Aufmärschen und Attacken.

Heute sei die Gesellschaft stärker und gefestigter. „Dennoch mahnt der Pogrom: Wir müssen alle An­ti­ras­sis­t*in­nen und die wehrhafte Demokratie sein. Gleichzeitig müssen wir noch bestehende rassistische Strukturen aufbrechen“, so Alabali-Radovan. Dafür arbeite sie als Antirassismus-Beauftragte.

Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) wiederum plädierte für eine lebendige Erinnerungskultur „an dieses dunkle Kapitel deutscher Gegenwart“. Dazu gehörten Orte des Gedenkens, wissenschaftliche Einrichtungen und Bildungsangebote. Das Leid der Opfer müsse mehr öffentliche Beachtung finden.

Forderung nach Bleiberechtsregelung

Zivilgesellschaftliche Gruppen wie Pro Asyl und die Amadeu Antonio Stiftung geht das nicht weit genug. Sie forderten ein konsequentes Handeln gegen rassistische Gewalt, die Auflösung von Massenunterkünften für Geflüchtete und eine Bleiberechtsregelung für Opfer rassistischer Gewalt.

Die Ereignisse 1992 in Rostock-Lichtenhagen waren „ein Pogrom mit Ansage“, sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. Bis heute fehle eine richtige Aufarbeitung, stattdessen folgte „eine jahrzehntelange Verharmlosung rechter Gewalt“. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, nannte die Angriffe auch den bundesweiten Auftakt für die „Demontage des Asylrechts“.

Die Ausschreitungen begannen am Abend des 22. August 1992. Ein Mob attackierte über vier Nächte lang die Unterkunft, Feuerwehrfahrzeuge wurden blockiert. Im Haus anwesende Viet­na­me­s:in­nen mussten sich selbst über das Dach retten.

Am Donnerstag will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Rostock mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) der Ausschreitungen gedenken. Dafür wird er auch das Sonnenblumenhaus besuchen. Am Samstag wollen dann zivilgesellschaftliche und Antifa-Gruppen in Rostock demonstrieren. „Erinnern heißt verändern“, lautet ihr Slogan. Rassismus, auch institutioneller, sei bis heute aktuell. Auch das Bündnis fordert einen Abschiebestopp für Opfer rassistischer Gewalt und dezentrale Unterbringungen für Geflüchtete.

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Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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