Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Kein rechter Terror ohne Trauma

Dass die Opfer im Neukölln-Komplex keine Nebenkläger sein dürfen, ist ein Armutszeugnis – für den Umgang mit Betroffenen und den Kampf gegen Rechts.

Ein Auto steht direkt neben einem Wohnhaus in Flammen.

2018 wurde das Auto von Ferat Kocak von Neonazis abgefackelt Foto: Ferat Koçak

Rund um die rechtsextreme Neuköllner Anschlagserie wurden schon viele Fehler gemacht. So viele, dass sich mittlerweile ein Untersuchungsausschuss mit den zahlreichen Pannen bei den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden beschäftigt.

Doch wer geglaubt hat, mit der Anklageerhebung gegen die beiden Hauptverdächtigen Sebastian T. und Thilo P. sei das Schlimmste für die Betroffenen vorbei, der irrt: In dieser Woche wurde bekannt, dass Ferat Koçak, auf dessen Auto die beiden Neonazis 2018 einen Brandanschlag begangen haben sollen, bei dem der Neuköllner Linke-Politiker und seine Familie nur knapp mit dem Leben davonkamen, nicht als Nebenkläger in dem Prozess auftreten darf, der am 29. August beginnt.

Entschieden hat das die zuständige Richterin, da sie zu wissen glaubt, dass Koçak, der nach eigenen Angaben bis heute an Angstzuständen, Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche leidet und sich mehrfach in eine psychologische Krisenberatung begeben hat, “keine körperlichen und seelischen Schäden“ erlitten hat, die eine Zulassung als Nebenkläger rechtfertigen würden.

Diese Begründung macht sprachlos. Zum einen, weil dadurch das Leid von Ferat Koçak, das dieser infolge des rechtsextremen Terrors durchleben muss, mir nichts, dir nichts relativiert wird. Zum anderen, weil es durchaus Ermessensspielraum für eine andere Entscheidung gegeben hätte.

So können Nebenklagen zugelassen werden, wenn besonders schwere Folgen wie Traumatisierungen gegeben sind. Wer nachts aufwacht, weil Neonazis dein Auto anzünden, das direkt neben dem Haus steht, in dem deine Familie schläft, und das fast explodiert, weil das Feuer beinahe auf die Gasleitung übergreift, der kann schon mal eine Traumatisierung erleiden – auch wenn es sich bei der Brandstiftung formal nur um eine Sachbeschädigung handelt. Umso mehr, wenn die betroffene Person sich nicht auf den Schutz durch die Sicherheitsbehörden verlassen kann – weil diese zwar von der rechten Bedrohungslage wussten, eine Warnung aber für unnötig hielten.

Keine Einsicht in das Leid der Opfer

Der Richterin jedoch scheint derlei Einsicht in die Leidenswelt von Opfern rechtsextremen Terrors fremd zu sein. Sie dreht sich vermutlich auch nicht mehrmals am Tag auf offener Straße um, weil sie befürchten muss, wegen ihres antifaschistischen Engagements von Neonazis angegriffen zu werden.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, die sich bereits seit über 10 Jahren durch den Neukölln-Komplex mit seinen mehr als 70 Vorfällen zieht: Die Betroffenen von neonazistischen und rassistischen Gewalttaten werden mit ihrem Leid alleine gelassen. Die Berliner Justiz hat dies wieder einmal eindrücklich bewiesen. Da helfen auch die aus der Politik gebetsmühlenartig vorgetragenen Beteuerungen nichts, dass das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden wieder hergestellt werden müsse.

Justiz und Polizei müssen begreifen, dass Rechtsextremismus das Leben von Menschen nachhaltig zerstören kann. Umso wichtiger ist es, Betroffene rechter Gewalt ernst zu nehmen und ihnen ihre Handlungsmacht zurückzugeben. Das Mittel der Nebenklage ist genau dafür da: Die Opfer können die Tat verarbeiten, indem sie aktiv an ihrer Aufklärung beteiligt werden. Den Opfern der Neonazis, die Neukölln seit Jahren unbehelligt in Angst und Schrecken versetzen, wird dieses Recht nun genommen. Das ist kein gutes Zeichen – weder für den anstehenden Prozess, noch für den Kampf gegen Rechts.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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