Affäre um Bezirksbürgermeister: Grüne im Rachemodus

Die Eile, mit der Grüne in Mitte Stephan von Dassels Rücktritt fordern, legt nahe: Sie wollen ihn endlich loswerden. Ein Kommentar.

Das Foto zeigt den grünen Bezirksbürgermeister von Berlin-Mite, Stephan von Dassel

Unter Druck aus der eigenen Partei: Der grüne Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel

BERLIN taz | Es hat etwas Borispalmeriges, was sich da bei den Grünen in Mitte abspielt. Da gibt es eine Fraktion im Bezirksparlament, in der vielen der eigene Bürgermeister zu wenig grün ist. Und zum anderen ebendiesen Bürgermeister, der sich mehr dem Bezirk denn seiner Partei gegenüber verantwortlich sieht und der taz mal sagte: „Leider enden Wahlprogramme oft da, wo die Probleme anfangen.“ Stephan von Dassel ist zwar weit von dem oft selbst inszenierenden Auftreten eines Boris Palmer entfernt – loswerden wollen ihn viele in seiner Partei genauso. Im Umgang von Dassels mit einer Stellenbesetzung sehen sie offenbar den nötigen Hebel dazu.

„Bei Ämterkauf, Klüngelei & Bestechung braucht es keine unabhängige Untersuchung, sondern den sofortigen Rücktritt“, twitterte nicht etwa die Junge Union der CDU, sondern die Grüne Jugend. Und die eigene Fraktion im Bezirksparlament will eine offizielle Klärung nicht abwarten, sondern hat beschlossen, „sowohl einen Abwahlantrag zu stellen als auch einen Abwahlantrag zu unterstützen“.

„Ämterkauf“? „Bestechung“? Ohne dass eine Staatsanwaltschaft ermittelt oder ein Gericht entschieden hätte? Nach übereinstimmenden Darstellungen hat von Dassel versucht, einen in einem Bewerbungsverfahren für eine Leitungsposition im Bezirksamt unterlegenen Kandidaten dazu zu bewegen, das Auswahlergebnis zu akzeptieren und nicht dagegen vorzugehen. Gewonnen hatte ein Bewerber, der dem Grünen-Kreisvorstand angehört.

Danach gehen die Sichtweisen auseinander. Laut Tagesspiegel, der sich auf den unterlegenen Bewerber bezieht, hat von Dassel dem Mann für seinen Rückzieher Geld aus seiner eigenen Tasche angeboten. Von Dassel bestreitet das. Zur Klärung hat er am Montag ein Disziplinarverfahren beantragt. Das werde eröffnet, bestätigte Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag, „weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass er als Beamter gegen seine Dienstpflichten verstoßen hat“. Das streng formalisierte Verfahren werde „nicht drei Monate“ dauern.

Absägen war schon vor zwei Jahren geplant

Dass die politische Konkurrenz einen Rücktritt fordert, war erwartbar. Bei der CDU wäre Stefan Evers ein schlechter Generalsekretär, wenn er diese Gelegenheit ausließe, die Grünen über von Dassels Person anzugreifen und wie jüngst im RBB einen Rückzug als „politisch unabdingbar“ zu bezeichnen.

Dass aber von Dassels eigene Partei nicht das Disziplinar­verfahren abwarten mag, sondern aus der beamtenrechtlichen Frage eine schnelle Abwahl machen möchte, lässt nur den Schluss zu, dass von Dassels innerparteiliche Gegner hier eine Gelegenheit wittern, ihn doch noch loszuwerden.

Passieren sollte das eigentlich schon vor fast zwei Jahren, an einem Samstag im Poststadion. Damals stimmten die Mitte-Grünen über ihren Spitzenkandidaten für die Wahl im darauf folgenden Jahr. Dass es überhaupt einen Zweikampf gab, war ein Novum: Denn von Dassel war bereits seit 2016 Bezirksbürgermeister, der zweite Grüne in diesem Amt nach den Kolleginnen und Kollegen in Friedrichshain-Kreuzberg. Doch wie er agierte, passte dem linken Parteiflügel nicht, der in Mitte unter „bunt-grün“ läuft und auch durch die Grüne Jugend stark vertreten ist. Zu wenig grün sind für sie ein paar Dinge, die der Bürgermeister entschieden hat – etwa ein Obdachlosenlager räumen zu lassen.

Von Dassel aber setzte sich knapp im zweiten Wahlgang mit 127 zu 115 Stimmen gegen Tilo Siewer durch, den damaligen Chef der eigenen Fraktion im Bezirksparlament. Manche schrieben diesen Erfolg später dem Engagement des Ex-Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu zu: Der habe Stimmen für von Dassel organisiert und im Gegenzug auf Unterstützung bei der Entscheidung über die Bundestagskandidatur gehofft, die eine Woche später anstand. Sowohl von Dassel wie auch Mutlu, der mit seiner Kandidatur scheiterte, bestritten gegenüber der taz diese Darstellung.

Was sich aktuell nicht erschließt, ist, wieso die Grünen so aufs Tempo drücken – außer um von Dassel loszuwerden. Ihm wird weder vorgeworfen, Kinder angefasst noch rassistische Äußerungen von sich gegeben zu haben, und falls er tatsächlich Geld zahlen wollte, was offen ist, wäre das aus seiner eigenen Tasche gekommen. Er hat auch nicht – wie ein anderer Grünen-Stadtrat in Kreuzberg – einen Beschluss des Bezirks­parlaments ignoriert. Sondern: Ein offizielles Auswahlgremium hat ein offizielles Bewerbungsverfahren abgeschlossen, die Stelle konnte aber wegen der in solchen Fällen üblichen Klagemöglichkeit nicht besetzt werden – was wie bei jeder Vakanz naturgemäß zum Schaden der Arbeit im Bezirksamt war.

Man kann es politisch naiv nennen, sehr naiv sogar, dass von Dassel diesen Stillstand auf eine Weise beenden wollte, die man im besten Fall ungewöhnlich, in jedem Fall aber umstritten nennen kann. Es kann auch sein, dass das Disziplinarverfahren ergibt, dass ein Bürgermeister so etwas schlicht nicht tun darf und von Dassel deswegen sein Amt niederlegen muss. Aber nur dort kann die Entscheidung über seine Zukunft fallen.

Was seine innerparteilichen Gegner mit ihrem angekündigten Abwahlantrag für das Bezirksparlament tun, entwertet eine seriöse, unvoreingenommene Aufklärung. Zumal dieser Antrag nach vorliegenden Informationen allein auf einem offenbar sehr knappen Beschluss der Fraktion fußt, nicht aber einem des Kreisvorstands, eines Parteitags oder einer Mitgliederversammlung.

Mag sein, dass in von Dassels Gegnern der Ärger über ihre Niederlage von 2020 weiter kocht. Aber das rechtfertigt nicht, jegliche Unschuldsvermutung außen vor zu lassen und den eigenen Bezirksbürgermeister im Schnellverfahren abzusägen.

(Anmerkung: In einer früheren Version war unkorrekterweise zu lesen, der im Auswahlverfahren erfolgreiche Bewerber habe in von Dassels Wahlkampf eine zentrale Rolle gespielt. Richtig ist, dass er sich zwar wie andere Parteimitglieder an Grünen-Wahlkampfaktionen beteiligt hat, aber nicht in zentraler Rolle.)

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