Entsetzen über Gewalttat in Italien: Auf offener Straße totgeprügelt

Vor den Augen mehrerer Zeu­g*in­nen hat ein Italiener einen nigerianischen Straßenhändler getötet. Umstehende filmten die Tat, niemand griff ein.

Ein Mann hält ein Bild des Getöteten in die Kamera.

Gedenken: Menschen erinnern im italienischen Civitanova Marche an den Getöteten Ogorchukwu Foto: ap

ROM taz | Wie eine Furie fiel Filippo Ferlazzo über Alika Ogorchukwu her. Am helllichten Tag mitten im Zentrum des Städtchens Civitanova Marche an der Adriaküste schlug er erst mit einer Krücke auf den 39-jährigen Nigerianer ein, setzte sich dann, als er sein Opfer zu Boden gebracht hatte, auf dessen Brustkorb, würgte und prügelte ihn minutenlang mit bloßen Fäusten, bis der Wehrlose tot war.

Italien ist entsetzt über den brutalen Mord – aber auch darüber, dass Pas­san­t*in­nen die Tat zwar filmten, aber niemand der Umstehenden eingriff, um Ferlazzo zu stoppen und Ogorchukwu zu retten.

Die Dynamik der Tat ist weitgehend bekannt. Ferlazzo war am Freitag mit seiner Verlobten auf der Einkaufsmeile von Civitanova Marche unterwegs, als sie von Ogorchukwu angesprochen wurden, der ihnen Papiertaschentücher und Feuerzeuge zum Kauf anbot. Viele Männer aus Subsahara-Afrika schlagen sich mit dieser Tätigkeit an der Grenze zwischen Betteln und Straßenhandel in Italien durch.

Ferlazzo aber regte es auf, dass er angesprochen wurde, dass Ogorchukwu insistierte und es sogar wagte, die Verlobte des 32-jährigen Täters am Arm zu berühren. Zunächst ging der Italiener weiter, dann überlegte er es sich anders, kehrte zurück und verfolgte den Nigerianer über 200 Meter. Er entriss dem Mann, der im Jahr 2021 Opfer eines Autounfalls geworden war, dessen Krücke und begann sein mörderisches Werk.

Sämtliche Medien haben Handyvideos von Pas­san­t*in­nen veröffentlicht, auf denen zwar Schreie von Umstehenden zu hören sind – „Hör auf! Du bringst ihn um!“ Auch gingen bei der Polizei sofort Notrufe ein. Doch auf den Videos ist niemand zu sehen, der sich dem Täter nähert, während er sein Opfer zu Tode prügelt.

Täglich rassistische Anfeindungen

Enrico Letta, Vorsitzender der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), kommentierte die Tat kurz und bündig: „Unglaubliche Grausamkeit. Verbreitete Gleichgültigkeit“. Auch Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega, befand, „es ist Wahnsinn, so zu sterben, ich hoffe, dass die Höchststrafe verhängt wird“, bekam dann aber sofort die Kurve zur rechtspopulistischen Auslegung des Verbrechens: „Das Problem ist, dass es Episoden der Gewalt und der Kriminalität am helllichten Tag in ganz Italien gibt“. Dabei rangiert Italien bei Gewaltkriminalität weltweit ganz unten in den Statistiken.

Auch Giorgia Meloni, Anführerin der postfaschistischen Fratelli d’Italia mit besten Chancen auf den Sieg bei den Parlamentswahlen am 25. September, erklärt zwar auf Facebook, es gebe „keine Rechtfertigungen für diese Brutalität“. Doch die Flut offen rassistischer Kommentare, gepostet von ihren Anhänger*innen, stört sie offenbar nicht weiter. In einem dieser Kommentare heißt es zum Beispiel, „in diesem Fall hat ein Mann einen Hund gebissen, das ist die Nachricht“, ohne dass diese Hetze von Melonis Facebook-Seite entfernt würde.

Die Polizei wiederum beeilte sich mitzuteilen, es gebe „keinen rassistischen Hintergrund“ der Tat. Nach allem, was bekannt ist, war Ferlazzo in der Vergangenheit mehrfach in psychiatrischer Behandlung, einmal auch mit einer Zwangseinweisung. Er erhielt eine hundertprozentige Arbeitsunfähigkeit, seine Mutter wurde für ihn zum Vormund bestellt.

Damit allerdings ist die Problematik des verbreiteten Alltagsrassismus keineswegs vom Tisch. Als am Samstag die nigerianische Community zu einer Kundgebung in Civitanova Marche aufrief, kamen jedenfalls fast nur Afrikaner*innen. Ita­lie­ne­r*in­nen waren so gut wie gar nicht präsent. Viele der dort Anwesenden beklagten, dass sie tagtäglich rassistischen Anfeindungen ausgesetzt seien – und äußerten die Befürchtung, dass der Mörder Ogorchukwus jetzt umgehend für verrückt erklärt werden und so eine hohe Strafe vermeiden könne.

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