Uhrmacherhäusl-Prozess in München: Hohe Geldstrafe für Abriss

Ein Münchner hatte 2017 sein eigenes denkmalgeschütztes Gebäude zerstören lassen. Dafür muss er nun mehr als 130.000 Euro Strafe zahlen.

Die Schriftzüge „Empört euch!“, „Gier zerstört!“ und „Denkmal und Ensemble gekillt“ sind auf Schildern an einer Häuserlücke zu lesen, in der bis 2017 das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl gestanden hat.

Protest an der Häuserlücke, wo bis 2017 das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl gestanden hat Foto: Matthias Balk/dpa

MÜNCHEN taz | Im Prozess um den Abriss des denkmalgeschützten Uhrmacherhäusls im Münchner Stadtteil Giesing ist das Urteil gesprochen: Nach Auffassung des Amtsgerichts hat der Besitzer Andreas S. einen Bauunternehmer beauftragt, sein eigenes Haus zu zerstören – um auf dem Grund einen lukrativen Neubau zu errichten.

Dies wird als gemeinschädliche Sachbeschädigung angesehen. Zudem hält es das Gericht für erwiesen, dass S. die letzten verbliebenen Bewohner, eine Familie mit einem Kind, kalt entmietet und auf die Straße gesetzt hat. Das Gericht verurteilte Andreas S. deshalb zu einer Geldstrafe von 132.500 Euro und den Bauunternehmer zu 4.400 Euro.

Der Fall hatte in München und darüber hinaus für große Aufmerksamkeit gesorgt, schien er doch ein besonders brutales Beispiel dafür zu sein, wie sich Immobilienhaie auf dem extrem teuren Wohnungsmarkt verhalten.

„Kriminelle Energie“

In seiner Urteilsbegründung nahm Richter Martin Schellhase kein Blatt vor den Mund und kritisierte den 44-jährigen S., der einen Handwerksbetrieb im Münchner Umland führt, auf harte Weise. S. habe eine „äußerst kriminelle Energie“ an den Tag gelegt und mit der Entmietung auch eine „Gesundheitsgefährdung“ der Familie in Kauf genommen.

Fotos aus dem Haus, in dem S. den Strom und damit auch die Elektroheizung abgestellt hatte, hätten das Treppenhaus als einen „Eisschrank“ aus gefrorenem Wasser gezeigt. „Die Familie war im tiefsten Winter vier Tage obdachlos.“ Dies ist für Schellhase „schlichtweg unanständig und menschenverachtend“.

S. hatte das rund 180 Jahre alte sanierungsbedürftige Baudenkmal 2016 laut Anklage für 650.000 Euro gekauft. Einst hatte in der Oberen Grasstraße 1 ein Uhrmacher gelebt und gearbeitet, deshalb der Name. Als die Mieter rausgeekelt waren, kam am 31. August 2017 ein Bagger und riss ein Loch in die Fassade.

Anwohner stellten sich in den Weg und verhinderten weiteres, die Polizei brachte Absperrband an. Tags darauf jedoch erschien erneut ein Fahrer im Bagger und war erfolgreicher: Innerhalb von 15 Minuten wurde das Haus fast völlig niedergerissen.

Orignaltreuer Wiederaufbau

Daraufhin gründete sich der Verein „Heimat Giesing“, der bis heute Aktionen und Mahnwachen abhält und den originalgetreuen Wiederaufbau des Hauses verlangt. Diesen hat die Stadt dem Besitzer Andreas S. auch auferlegt, laut Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) soll er unter keinen Umständen nicht doch noch Profit aus seiner Tat ziehen können.

Der völlig anderen Version der Verteidiger, die Freispruch gefordert hatten, folgte das Gericht in keinster Weise. Sie hatten von einem Abriss „aus Versehen“ gesprochen. S. habe durchaus sanieren wollen. Der Bagger sei fälschlicherweise nicht zu einer Baustelle nach Neuenstein bei Schwäbisch Hall, sondern ans Uhrmacherhäusl gebracht worden.

Der Bauunternehmer habe sich an diesem Tag in einem psychischen Ausnahmezustand befunden wegen Eheproblemen und einem Drohanruf aus seiner türkischen Heimat. So habe er in einer „Kurzschlusshandlung“ das Haus abgerissen.

Richter Schellhase zerlegte in seiner Begründung diese abenteuerlich wirkende Konstruktion. „Das Elend begann mit einer Lüge und das Drama endete mit einer Lüge“, sagte er. So habe Andreas S. schon nach dem Kauf des Hauses die Mieter mit einer gelogenen Eigenbedarfskündigung loswerden wollen. Er habe nicht, wie behauptet, mit Partnerin und Kind nach Giesing ziehen wollen – denn das Paar war längst getrennt, die Frau lebte mit dem Kind woanders.

Für die angebliche Sanierung sei keinerlei Baumaterial bestellt gewesen, so der Richter. Auch stimme die Bagger-Geschichte nicht: In Neuenstein sei zu diesem Zeitpunkt keine Baumaschine mehr benötigt worden, da das dortige Haus längst abgerissen war.

Zeuge packte aus

Vor allem aber schenkte das Gericht dem Hauptbelastungszeugen Sebastian O., im Wesentlichen Glauben. O. war einst bei S. beschäftigt. Als Zeuge sagte er aus, dass er beim Uhrmacherhäusl „mehr oder weniger die rechte Hand“ seines Chefs gewesen sei. Ihm und auch in der Firma allgemein sei bekannt gewesen, dass S. das Gebäude einreißen wollte. Er plante, so S. in seiner Aussage, dort mehrstöckig zu bauen: „Er wollte das Maximalste raushauen.“

Angelika Luible-Gariboldi von „Heimat Giesing“ zeigte sich zufrieden mit dem Urteil: „Das Gericht hat die Märchen von S. nicht geglaubt.“ Die Verteidigung kann Rechtsmittel einlegen. Der verurteilte Andreas S. verließ noch während der Urteilsbegründung als Erster den Gerichtssaal. Er musste zum Flieger in den Urlaub.

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